Europas Banken am Abgrund

29.09.2008 / VON STEPHAN BRÄNDLE UND ANNA SLEEGERS, FR-Online

Erst vor ein paar Tagen hat Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Bankenkrise als Problem der Amerikaner abgetan. Jetzt ist die Welle mit voller Wucht nach Europa geschwappt: Um Pleiten zu verhindern, stieg der Staat bei dem belgisch-niederländischen Finanzkonzern Fortis, dem britische Baufinanzierer Bradford & Bingley und bei der isländischen Glitnir Bank ein. Der Münchner Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate überlebt nur dank einer Staatsgarantie. Und überall an den Europa-Börsen fallen die Kurse der Bank-Aktien wie Bleiklumpen.
In Deutschland gerieten am Montag vor allem die Aktien der Commerzbank unter die Räder. Am späten Nachmittag notierten die Titel des zweitgrößten deutschen Geldinstituts rund 20 Prozent im Minus. Analysten führen den Rutsch darauf zurück, dass der konzerneigene Immobilienfinanzierer Eurohypo ein direkter Konkurrent der Hypo Real Estate ist, der am Wochenende knapp an der Pleite vorbeischrammte.

"Die Anleger befürchten daher offenbar, dass auch die Eurohypo in Schwierigkeiten geraten könnte", sagte Sebastian Reuter, Analyst bei der Privatbank Hauck & Aufhäuser. Er hält den Kursrutsch jedoch für übertrieben. "Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Immobilienfinanzierern ist, dass die Eurohypo sich zum Teil über die Commerzbank refinanzieren kann, während die Hypo Real Estate stärker auf den Kapitalmarkt angewiesen ist", sagte er.

Eine nicht weniger spektakuläre Beinahe-Pleite hielt Westeuropa in Atem. Der belgisch-niederländische Finanzkonzern Fortis, der sich im vergangenen Jahr an der feindlichen Übernahme seines niederländischen Wettbewerbers ABN Amro beteiligt hatte, überstand das Wochenende nur dank einer Finanzspritze aus Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Die Benelux-Staaten übernehmen für 11,2 Milliarden Euro 49 Prozent des Bankgeschäfts. Im Gegenzug verlangen sie, dass das Institut die ABN-Sparten wieder verkauft, für die es 24 Milliarden Euro bezahlt hat. Presseberichten zufolge kommt als Käufer vor allem die niederländische ING Bank in Frage. Der Kaufpreis soll angeblich nur bei rund zehn Milliarden Euro liegen.

Auch dieser Beinahe-Kollaps zog Kreise an der Börse. Die Papiere des französisch-belgischen Staatsfinanzierers Dexia und der französischen Investmentbank Natixis verloren zeitweise ein Drittel ihres Wertes. Beiden Instituten wird nachgesagt, dass sie frisches Kapital brauchen, um die Verluste ihrer US-Töchter zu verkraften. Besonders bei Dexia ist ein staatlicher Eingriff sehr wahrscheinlich, da das Institut vor allem Gemeinden und Lokalkörperschaften in Frankreich und Belgien beleiht. Schon vor dem heutigen Bankengipfel in Paris erklärte die französischen Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, dass die staatliche Depotkasse als Großaktionärin von Dexia "ihre Verantwortung wahrnehmen" werde.