Hintergrund, Positionierung und Fragen zur Rettungsaktion der Hypo Real Estate (HRE) und zu staatlichen Rettungsaktionen allgemein

01.10.2008 / Dr. Axel Troost

Vorbemerkung:

Die Tatsache, dass Steinbrück, Weber und Sanio in die Fraktion kommen, um uns vom Ernst der Lage und der Notwendigkeit des Rettungspakets zu überzeugen, deutet dar­auf hin, dass es möglicherweise um mehr als nur den aktuellen Fall HRE geht.

Situationsbeschreibung:

Die irische Tochter Depfa der Hypo Real Estate hat insbesondere langfristige Kredite an staatliche und staatsnahe Institutionen vergeben. Diese Schuldner sind quasi 100% sicher.

Zur Refinanzierung hat sie sich überwiegend über Pfandbriefe langfristig Kapital be­schafft. Ein Teil der Refinanzierung lief aber über kurzfristige Geldmarktanleihen (z.B. 60 oder 90 Tage). Zuletzt im Juni 2008 wurden kurzfristige Geldmarktanleihen („Com­mercial Papers“) im Umfang von ca. 50 Mrd. von der HRE herausgegeben und wurden Ende September fällig.

Nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers ist der Geldverleih zwischen den Banken („Interbanken-Markt“), wie schon mehrfach seit Beginn der Finanzkrise im Juli 2007, wieder zum Erliegen gekommen und für neue kurzfristige Geldmarktanleihen der HRE im Umfang von 50 Mrd. gab es keine Käufer, d.h. keinen Kapitalgeber.

Damit stand die Hypo Real Estate kurzfristig vor der Zahlungsunfähigkeit, auch wenn ihre Schuldner, d.h. Staaten und staatsnahe Institutionen, weiterhin planmäßig ihre Kredite gegenüber der Depfa bedienen.

Vom akuten Liquiditätsbedarf in Höhe von 50 Mrd. Euro. kann sie 15 Mrd. durch den Verkauf von Vermögenswerten selbst aufbringen, 35 Mrd. werden ihr als Kredit gewährt

– davon 15 Mrd. von Seiten anderer Privatbanken und 20 Mrd. von Zentralbanken. Die Privatbanken und die Notenbank rücken diese 35 Mrd. Euro aber nur gegen Bürgschaf­ten raus. Diese Bürgschaften kommen vom Bund und von einem Konsortium von Pri­vatbanken. Sollte die Bürgschaft in Anspruch genommen werden, weil die HRE die Kredite über 35 Mrd. an Privatbanken und Notenbank nicht zurückzahlen kann, müss­ten für den Ausfall der ersten 14 Mrd. Euro zu 60% die beteiligten Privatbanken haften, zu 40% der Bund. Für einen Ausfall des zweiten Teils von 21 Mrd. Euro müsste der Bund komplett haften. Steinbrück bezeichnete die Wahrscheinlichkeit, dass der staatli­che Garantiefall in den nächsten Jahren überhaupt eintrete, als „gegen Null“ tendierend.

Jenseits von der Frage, warum genau die Hypo Real Estate in Liquiditätsprobleme ge­riet und offenbar als nicht ausreichend Kreditwürdig betrachtet wird, bleiben für eine Bewertung des Rettungspakets der Bundesregierung verschiedene offene Fragen. Zu­dem sollten wir grundsätzliche und allgemein gültige Eckpunkte unserer Positionierung zu staatlichen Rettungsprogrammen (Bail Outs) festlegen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Hypo Real Estate die letzte deutsche Problembank gewesen ist.

Wenn wir als Fraktion die Sinnhaftigkeit des Rettungspakets seriös prüfen sollen, brau­chen wir eine Unmenge zusätzlicher Informationen von der Bundesregierung, der Auf­sicht, etc. Dazu fordern wir eine „Hotline“ im BMF, über die wir unsere Fragen kurzfristig stellen können und beantwortet bekommen.

1.) Was wären die Auswirkungen einer Pleite (ist die Bank „too big to fail“?)? Vor einer staatlichen Rettungsaktion (egal ob „nur“ Garantien übernommen werden, oder, wie im Modell USA geplant, direkt Schrottpapiere gekauft werden) muss klar sein, was für Auswirkungen im Falle eines Zusammenbruchs der betroffenen Bank zu erwarten wären – jenseits von einem ominösen „Vertrauensverlust“ oder ähnlichem.

Bei der Hypo Real Estate (HRE) ist das unklar. Steinbrück spricht von großen Gefahren für die Realwirtschaft, wegen der „weiten Vernetzung“ der HRE in die Wirtschaft und ihrer besonderen Funktion bei der Staatsfinanzierung. Nach Urteil der Bafin der EZB und anderer „Experten“ sei die Rettung nötig.

Wir müssten für eine Bewertung der Rettungsaktion genau wissen: Wer wäre im Falle einer unkoordinierten Pleite der HRE wie stark betroffen? Warum können die Betroffenen die Ausfälle nicht schultern? Haben beispielsweise Versiche­rungskonzerne und ähnliche bei der HRE Einlagen oder sind sie in relevantem Ausmaß im Besitz von Pfandbriefen und Commercial Papers der HRE und findet die Rettungsaktion zur Rettung der privaten Altersvorsorgen und Riester-Renten statt?

Es wird zu prüfen sein, ob die von Steinbrück angekündigte „Expertise“, die er dem Parlament zur Verfügung stellen will, Antworten auf diese Fragen enthält.

Schon jetzt aber tun sich gravierende Widersprüche auf: Wenn die Schuldner im wesentlichen Staaten sind, wieso können dann überhaupt Risiken für die bege­benen Pfandbriefe entstehen? Und warum konnte sich die Depfa bei so guten Schuldnern nicht einfach durch Hinterlegung dieser Sicherheiten bei der EZB re­finanzieren?

2.) Ist die Bürgschaft der Bundesregierung das geeignete und angebrachte Mittel?

Der akute Brandherd der Krise verlagert sich zunehmend nach Europa. Anders als die USA haben einzelne europäische Staaten weder die nötigen finanziellen noch die politischen Mittel, um ein tragfähiges Sicherungsnetz für ihre grenz­überschreitend tätigen Großbanken aufzuspannen. Fortis' Verbindlichkeiten etwa sind um ein Vielfaches höher als die Wirtschaftsleistung Belgiens. Das Dilemma der Europäer ist, dass viele Finanzinstitute dort nicht nur eventuell "too big to fail" sind, sondern vor allem auch "too big to be saved". Bevor auch im deutschen Fall erneut und weiterhin Steuergelder riskiert werden, ist es an der Zeit, eine europä­ische Lösung einzuleiten: Zinssenkungen, die die Liquiditätsversorgung der Ban­ken ebenfalls erleichtern und Konjunkturprogramme. Eine Inflation ist in Zeiten von Abschwung und Finanzkrise kaum zu befürchten.

3.) Wie wird eine „Sozialisierung der Verluste“ verhindert oder beschränkt? Wenn davon ausgegangen wird, dass eine Pleite der betroffenen Bank nicht nur „die richtigen trifft“, sondern weitreichende negative Folgewirkung für die Ge­samtwirtschaft, Arbeitsplätze etc. haben würde, müssen an ein Rettungspaket Bedingungen geknüpft werden:

Keinesfalls dürfen Haushaltsposten zugunsten eines Bail Outs gekürzt wer­den – überzogene Haushaltskonsolidierungsziele müssen aufgegeben wer­den. Für den Fall, dass der Staat in den kommenden Jahren für einen Kredit­ausfall bürgen muss, muss die Neuverschuldung entsprechend angehoben werden.

• Wir als LINKE dürfen nicht hinter den Forderungen des US-Kongresses zu­rückbleiben, was die Konditionierung von Rettungspaketen angeht. Die bis­lang vom US-Kongress durchgesetzten Bedingungen sind:

a. Finanzwirtschaft soll an den Kosten beteiligt werden, in dem der Präsident eine „Gebühr“ verlangen kann, falls es der Regierung nicht gelingt, inner­halb von 5 Jahren die Ausgaben durch den Verkauf der übernommenen Wertpapiere wieder hereinzuholen.

b. Als Gegenleistung der Banken werden stimmrechtslose Aktien übernom­men, die eine Gewinnbeteiligung sichern sollen.

c. Banken, die faule Kredite an Staat verkaufen, müssen Bezüge ihrer Ma­nager kappen, und Manager sollen keine hohen Abfindungen kassieren können.

d. Transaktionen des Finanzministeriums werden schärfere Kontrolle unter­worfen, sowohl durch einen unabhängigen Rat als auch durch den ameri­kanischen Rechnungshof.

e. Ausgaben sollen im Internet veröffentlicht werden.

f. Eine Versicherung für faule Kredite (Sicherungsfonds) wird eingerichtet, Beiträge zahlen die Finanzinstitute.

g. Die 700 Mrd. Dollar werden nicht auf einmal freigegeben, sondern erst 250 Mrd. $, dann nochmals 100 Mrd $ nach Zustimmung vom Weißen Haus. Die letzten 350 Mrd. $ erst, wenn der Kongress nicht dagegen vo­tiert hat

Sollte sich im Falle Hypo Real Estate herausstellen, dass die Sicherungs-Aktion vor allem deshalb nötig ist, weil sonst private Altersvorsorgen oder Riester-Renten „nicht sicher“ sind, muss umso stärker daraufhin gewirkt wer­den, dass endlich die gesetzliche Rente wieder gestärkt wird und vom Zwang zur privaten Vorsorge Abstand genommen wird.

Unsere Forderungen, die im Finanzkrisen-Sofortprogramm und unserem Kon­junkturprogramm formuliert sind, sollten in jedem Fall und bei allen Bail-Out-Fragen als dringender Richtungswechsel zur Bedingung gemacht werden.

4.) Richtungswechsel im Repo-Geschäft der Zentralbank

• Bedeutet die Annahme der von der HRE bei der EZB hinterlegten Sicherhei­ten ein Aufweichen der Geschäftspolitik in Anlehnung an die Praxis der FED?