Gregor Gysi: Nach dem Crash. Lehren aus der Finanz- und Bankenkrise
Impulsreferat bei der Internationalen Konferenz der Fraktion mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung »Linke Auswege aus der Krise − ökonomische und soziale Perspektiven«.
Manche Linke scheinen mir etwas voreilig mit ihren Reaktionen auf die wohl dritte globale systemische Krise nach der Großen Depression 1873 bis 1896 und der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932. Schon der Titel dieser Konferenz ist irreführend: »Nach dem Crash…«. Wir sind mittendrin – und es gibt nicht Wenige, die behaupten, dass uns das Schlimmste noch bevorsteht.
»Lehren« sollen aus der Krise gezogen werden. Aber welche bitte?
Und die dritte voreilige These ist die, dass der Neoliberalismus tot, gescheitert sei. Dabei tun ausnahmslos alle Regierungen alles, um den finanzgetriebenen Kapitalismus zu retten.
Ursache der Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus ist nicht vornehmlich die Habgier von Managern, Spekulanten und Akteuren der so genannten „Finanzindustrien“; auch nicht die im neoliberalen Zeitalter vor 30 Jahren von den Regierungen in den USA, in Großbritannien, später dann auch von der rot-grünen Bundesregierung Gerhard Schröders zu verantwortenden Privatisierungen und Deregulierungen der Finanzmärkte.
Die tiefere und eigentliche Ursache liegt in einer gigantischen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. In der EU-15 der alten Mitgliedsländer sank die Lohnquote hinsichtlich der Gesamteinkommen seit 1975 um 10 Prozent, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stiegen um den gleichen Betrag. In Deutschland sank sie sogar noch stärker.
Eine andere Zahl: während sich 1980 das weltweite Sozialprodukt und die liquiden Finanzressourcen noch weitgehend deckten, übertrafen dann die Finanzmittel das Sozialprodukt um das Vierfache – 50 Billionen Dollar Weltsozialprodukt, bei 200 Billionen Dollar Finanztiteln. Um sich den Größenunterschied vor Augen zu führen, sei eine weitere Zahl genannt, die den Unterschied zwischen klassischem Bankwesen und der so genannten Finanzwirtschaft unterstreicht. Der Wert aller Einlagen bei Banken lag im September 2008 bei rund 20 Billionen Dollar. Doch der Gesamtwert der Kreditversicherungen – der Credit Default Swaps – lag bei knapp 60 Billionen Dollar.
Das Volumen der gehandelten Derivate beträgt sogar 600 Billionen
Dollar, also das über Zehnfache der Kreditversicherungen. Und was auch
Erwähnung finden muss, ist, dass sich der gigantische Reichtum höchst
ungleich verteilt. Weltweit besitzen weniger als ein Prozent der
Bevölkerungen knapp die Hälfte des globalen Anlagevermögens. Die Zahlen
für Deutschland:
Die reichsten 1 Prozent – 820.000 Personen - besitzen 23 Prozent des
Gesamtvermögens von 6,6 Billionen Euro, das sind 1,5 Billionen Euro.
Die reichsten 10 Prozent besitzen über 60 Prozent. 27% - 22,1 Millionen
- haben überhaupt keine Ersparnisse bzw. sogar Schulden.
Diese gigantische Umverteilung ist allerdings Resultat neoliberaler Politik der Deregulierung der Finanzmärkte, der Liberalisierung und Privatisierung. Allein durch Privatisierung und Teilprivatisierung der Renten wurde weltweit Kapital im Umfang von 22,6 Billionen Dollar akkumuliert, die in Pensionsfonds angelegt sind.
In Deutschland war es die rot-grüne Bundesregierung, die mit dem vollständigen Verzicht auf die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, der Zulassung von Hedgefonds, Zweckgesellschaften, Leerverkäufen, Verbriefungen und dem Handel mit Verbriefungen den Boden bereiteten, da man, so einst Außenminister Joschka Fischer, nicht gegen die Finanzmärkte regieren könne.
Die Industriestaaten reagierten auf die Finanzkrise, die inzwischen zu
einer Krise der so genannten Realwirtschaft ausuferte, im wesentlichen
mit zwei Maßnahmen: Die Krise der Finanzindustrie und deren privater
Überschuldung durch toxische Papiere wird mit einer noch größeren
Verschuldung der Staatshaushalte aufgefangen. Weltweit wurden nur für
die Banken und Finanzinstitute rund 7,5 Billionen Dollar
bereitgestellt, das ist immerhin fast ein Fünftel des weltweiten
Sozialprodukts. Das ist aber erstens noch nicht alles, weil immer neue
Brandherde herauskommen, die mit öffentlichen Geldern gelöscht werden
sollen. Aktuell droht neues Unheil mit den immensen Verbindlichkeiten
der Kreditkartenbesitzer in den USA gegenüber den Kreditinstituten.
Und zweitens wird suggeriert, so jüngst auch Angela Merkel, dass
dadurch irgendwie der Status quo ante wieder hergestellt werden könne.
Tatsache ist jedoch, dass die Billionen Steuergelder für die
Rekapitalisierung der maroden Banken und die hohen Bürgschaften die
Krise nicht wirksam bekämpfen können – und ein Licht am Ende des
Tunnels nicht in Sicht ist, zumal nach Schätzungen des Internationalen
Währungsfonds ein weltweiter Abschreibungsbedarf in Höhe von bis zu
23,2 Billionen Dollar besteht.
Wie gesagt, bei der Bekämpfung der Finanzkrise reicht es nicht aus, dem schlechten Geld gutes Geld aus Steuermitteln hinterher zu werfen, zumal die Erfolge bisher ausblieben, denn nach wie vor besteht weltweit eine Kreditklemme, von der insbesondere die Entwicklungsländer betroffen sind, aber auch die Realwirtschaften in den kapitalistischen Industrieländern. Es gibt im Grunde genommen vier Lösungsmöglichkeiten.
Entweder es kommt zu einer Entwertung der Schulden und somit auch der Vermögen, etwa über höhere Inflationsraten, die dann jedoch auch die Bevölkerungen durch Preissteigerungen träfen. Diese Möglichkeit muss derzeit als eher gering eingeschätzt werden, da in der Krise und mangelnden Nachfrage eher deflationäre Tendenzen überwiegen. Die USA könnten mit ihrer Weltwährung außerdem zum Mittel der Dollar-Abwertung greifen, was jedoch auch riskant ist, denn schließlich bleiben die USA auf massive Kapitalimporte, vor allem aus China und Japan, aber auch aus Saudi-Arabien und anderen Ländern, angewiesen.
Die zweite Option wäre die klassische und aus der Sicht der Bundesregierung bewährte Sozialisierung der Verluste über eine Kombination aus Steuererhöhungen und einer weiteren Kürzung sozialer Leistungen. Um den Anschein sozialer Gerechtigkeit zu wahren, könnten wenigstens zeitlich befristet beispielsweise der Spitzensteuersatz bei den Einkommenssteuern erhöht oder sogar die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden. Auf alle Fälle würden die Bürgerinnen und Bürger zur Kasse gebeten.
Oder aber die Staaten entschließen sich zu einer koordinierten
Entschuldung der Anleihen, wie das die linke US-Soziologin Saskia
Sassen ebenso fordert wie der Harvard-Ökonom Niall Ferguson und Prof.
Willem Buiter von der London School of Economics, die eine Streichung
der Bankschulden zu Lasten der Gläubiger ins Spiel brachten.
Die Entschuldung hätte den Vorteil, dass weniger die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler, sondern die Vermögensbesitzerinnen und -besitzer, die
jahrzehntelang von den exorbitanten Renditen profitierten, auch die
Verluste zu tragen hätten. Sie wäre auch politisch leichter
durchsetzbar, denn der andere Weg, das heißt die Entwertung der
Verbindlichkeiten, ginge letztlich zu Lasten der
Bevölkerungsmehrheiten.
Ein weiterer Vorteil bestünde darin, das enorm angestiegene
Missverhältnis von Finanzindustrie zur Realwirtschaft Schritt für
Schritt zu korrigieren, um auch so die Dominanz des finanzgetriebenen
Kapitalismus zu überwinden, denn so lange hier nichts geschieht, sind
Wiederholungen der jetzigen Krise nicht ausgeschlossen. Man könnte die
Entschuldung oder Schuldenstreichung, die ja als Mittel bei der
Bekämpfung der Schuldenkrise der Entwicklungsländer angewandt wurde in
mehreren Schritten vollziehen, zumal ja bis heute nicht das ganze
Ausmaß des Umfangs von toxischen Wertpapieren bekannt ist.
Dabei könnten Gläubiger mit Anlagevermögen von über einer Million Euro
herangezogen werden, die jahrzehntelang von exorbitanten Renditen
profitierten. Ausgenommen werden sollten die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die ihre Beiträge in Rentenfonds einzahlen. Ihre Einlagen
sollten sicher sein. In den USA und in Großbritannien ist man
inzwischen, wenn auch noch sehr zaghaft, zur schrittweisen Entschuldung
übergegangen, in dem die Rettungsmaßnahmen nicht mehr aus dem Haushalt,
sondern von Anleihebesitzern finanziert werden, in dem ihre Forderungen
gegenüber den Banken beschnitten werden.
Das Bundesfinanzministerium betrachtet diese Entwicklungen mit großer
Sorge, zitiert das »Handelsblatt« einen Vertreter des
Bundesfinanzministeriums. Allerdings würde eine solche Entschuldung
nicht nur auf massive Widerstände der Bankengläubiger und
-gläubigerinnen, also der Vermögensbesitzer und -besitzerinnen, stoßen.
Denn die meisten Großgläubiger sind die Banken selbst und die
Pensionsfonds. Deshalb klingt es gut, wird aber so nicht zu realisieren
sein. Wir brauchten genauere Informationen über die Struktur der
Großgläubiger, um eine genaue Beurteilung vornehmen zu können.
Es gibt noch den vierten von uns favorisierten Weg, den einer
Verstaatlichung der maroden Banken, um den Umfang der Verluste und
faulen Wertpapiere zu ermitteln, die Bank mit normalen Kreditgeschäften
in die Gewinnzone zu bringen und frühestens unter der Bedingung wieder
zu reprivatisieren, dass aus den künftigen Gewinnen und der
Reprivatisierung die Steuerzahlungen einschließlich der üblichen Zinsen
zurückgeführt werden können.
Die entstandenen Verluste sollten, wie es unsere Fraktion im Deutschen
Bundestag beantragt hat, durch eine Vermögensabgabe, also eine Art
Lastenausgleich, abgetragen werden.
Bei uns scheint die Bundesregierung jedoch alles dafür tun zu wollen, dass Verluste sozialisiert werden. Folgerichtig tauchten am letzten Wochenende bereits die ersten Kommentare auf, die auf Steuererhöhungen setzen.
Nötig zur Bekämpfung der weltweiten Finanzkrise und in deren Gefolge der schwersten Rezession nach 1945 wäre in der Tat ein »New Deal«. Aber diesen wird es aller Voraussicht nach nicht geben, jedenfalls sollte man hinsichtlich des G-20-Gipfeltreffens am 2. April in London keinerlei Illusionen haben.
Vor allem Deutschland und Frankreich sperren sich gegen eine deutliche
Ausweitung der Konjunkturprogramme, für die sich die USA einsetzen,
weil sie in ihrer Analyse richtigerweise davon ausgehen, dass nur durch
eine Nachfragebelebung auch die Geldzirkulation wieder in Gang kommt.
Demgegenüber setzt sich die Bundesregierung für eine strengere Aufsicht
und Kontrolle der Finanzmärkte ein, was allerdings auch nicht
glaubwürdig ist. So blockiert die Union derzeit erfolgreich einen
Gesetzentwurf aus dem Hause Steinbrück zur Trockenlegung der
Steueroasen.
Allerdings ist auch die SPD bei weitem nicht zu durchgreifenden
Maßnahmen vorgedrungen und dazu offensichtlich auch nicht bereit.
Zwei Beispiele. Rating-Agenturen sollen der Aufsicht unterliegen. Aber
was nützt es, wenn sich die Standards der Bonitäts- oder
Risikobewertungen von Unternehmen oder ganzen Staaten nicht ändern?
Wenn also immer noch Staaten positivere Noten erhalten, wenn sie
Sozialleistungen kürzen, öffentliche Daseinsvorsorge privatisieren
usw.?
Wäre es nicht angebracht, dass die erforderlichen Quartalsberichte der
Kapitalgesellschaften wieder durch die früher üblichen Jahresbilanzen
ersetzt werden, um kurzfristige Aktienspekulationen, die Ausrichtung
der Unternehmen am kurzfristigen Erfolg ihrer Aktienkurse zu
unterbinden, so dass sich wieder der »stakeholder value« gegenüber dem
»shareholder value« durchsetzen kann? Die G-20-Staaten sind auch nicht
zu Kapitalverkehrskontrollen oder zu einem System regulierter
Wechselkurse bereit, obwohl ihr Fehlen die Entwicklungsländer, aber
auch EU-Länder wie Ungarn, Rumänien und Lettland zu massiven
Währungsabwertungen und hohen Zinszahlungen bei ihren Kreditaufnahmen
zwingen? Und deshalb sollte man sehr vorsichtig sein mit dem Urteil,
der Neoliberalismus sei gescheitert. Jedenfalls unternimmt auch die
Bundesregierung derzeit alles, genau das zu verhindern.
Jedenfalls wird die weltweite Finanzkrise zu zwei Ergebnissen führen.
Erstens wird es zu einer gewaltigen Marktbereinigung und einer hohen Bankenkonzentration kommen. Kleinere Institute werden die Krise nicht überleben, oder sie werden von Großbanken übernommen. So sind in den USA die fünf größten Investmentbanken vom Markt verschwunden.
Zweitens wird es um die Frage gehen, wer die enormen Verluste zu tragen hat: die Verursacher der Krise? Oder die Bevölkerungen durch Sozialisierung der Verluste?
Das wird Gegenstand sozialer Auseinandersetzungen sein.
Bei uns wird dieses Problem erst nach den Wahlen diskutiert werden,
denn auch die anderen Parteien werden es nicht wagen, den Bürgerinnen
und Bürgern solche Botschaften vorher zu übermitteln.
Die zweiten Maßnahmen-Pakete bestehen in Konjunktur- und Investitionsprogrammen. China bietet 480 Mrd. Euro auf, die USA knapp 800 Mrd. Dollar oder 5,6 Prozent ihres Sozialprodukts. Deutschland gibt gerade einmal 50 Mrd. Euro für dieses und das kommende Jahr aus, also nur ein Prozent des Bruttosozialprodukts pro Jahr.
Überhaupt halten sich die Europäer deutlich zurück, was zu Konflikten
mit den USA geführt hat, die von den Europäern deutlich höhere Ausgaben
zur Ankurbelung der Nachfrage verlangen.
Hier ist dem amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman
zuzustimmen, der der Bundesregierung in einem »Stern«-Interview erneut
vorgeworfen hat, das Ausmaß und die Tiefe der Krise noch immer nicht
kapiert zu haben.
Die Linke fordert einen »Schutzschirm für Menschen« im Umfang von 50 Mrd. Euro pro Jahr, das wäre mit 2 Prozent des Sozialprodukts bei weitem noch nicht USA-Niveau.
Die Mittel sollten zur Unterstützung der Unternehmen, für Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Verkehr und eine Energiewende ebenso verwendet werden wie zur Stärkung der Binnennachfrage durch eine Rentenerhöhung, eine Anhebung der Hartz IV-Regelsätze und die Einführung eines gesetzlich garantierten Mindestlohns. Darüber hinaus fordert die Linke einen staatlichen Zukunftsfonds in Höhe von 100 Mrd. Euro für Unternehmen, auch kleine und mittelständische Unternehmen, die mit Bürgschaften, Krediten und Beteiligungen bei der Umstellung und Entwicklung neuer Produkte und Produktionsverfahren unterstützt und gefördert werden sollen. Die Beteiligungen sollten in Form von Belegschaftsbeteiligungen mit Einfluss auf die Geschäftspolitik erfolgen und an die Bedingung einer Beschäftigungssicherung geknüpft sein.
Die Bundesregierung hat einen so genannten »Wirtschaftsfonds« in gleichem Umfang von 100 Mrd. Euro beschlossen. Allerdings ist er nicht an Auflagen zur Beschäftigungssicherung, einer Belegschaftsbeteiligung und auch nicht die Bedingung zukunftsweisender Investitionen in zukunftsfähige Produkte und Produktionsverfahren gebunden. Als Beispiele seien hier nur Energie- und Rohstoff sparende Herstellungsverfahren, die Umwelttechnologien, regenerative Energien und Kraftstoff sparende Motoren genannt.
Die Linke will also nicht nur einfach Mittel für notleidende Unternehmen bereitstellen wie die Bundesregierung, sondern sie erstens an eine Demokratisierung der Wirtschaft knüpfen, in dem die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der Belegschaften erweitert und gestärkt werden.
Und zweitens wollen wir die notwendigen Investitionen in Bereiche lenken, die sozial und ökologisch nachhaltig sind.
Wir haben immer wieder betont, dass die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit, Rente, Energieversorgung, Verkehr, Teile der Wohnungen, Teile der Kultur, Wasserver- und Entsorgung, Müllentsorgung usw. nicht privatisiert werden dürfen.
Im Gegenteil, der öffentliche Sektor sollte nicht als staatliche Altlast, die privatsiert werden müsse, betrachtet werden, sondern als ein eigenständiger und wichtiger Bereich in einer Volkswirtschaft.
Hier haben wir einen erheblichen Nachholbedarf. In der Bildung ist
Deutschland im OECD-Vergleich um rund 25 Mrd. Euro pro Jahr
unterfinanziert; die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst ist bei uns
extrem niedrig. In Dänemark und Schweden arbeiten 156 bzw. 155
Beschäftigte auf 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner im Öffentlichen
Dienst – in Deutschland nur 68.
Im Bereich der Kinderbetreuung geben wir 1,9 Prozent des
Bruttoinlandprodukts aus, Frankreich dagegen 2,7 Prozent, ganz zu
schweigen von Schweden mit 7,4 Prozent.
Weitere Bereiche nehmen aufgrund der demografischen Entwicklung zu, etwa die Betreuung älterer Menschen, die Altenpflege usw.
Öffentliche Investitionen müssen überwiegend für zukunftsfähige Produkte genutzt werden – angefangen von der Förderung regenerativer Energien, dem Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, moderner, Energie sparender Antriebsmotoren bis hin zu rohstoff- und energiesparenden Produktionsverfahren.
Für die Durchsetzung derartiger Forderungen haben sich die Bedingungen infolge der Krise verbessert, weil der Neoliberalismus in der Gesellschaft diskreditiert ist und seine destruktiven, zerstörerischen Potentiale gezeigt hat. Die Stärkung des öffentlichen Sektors und öffentlicher Aufgaben stößt auf größere Akzeptanz, weil der Markt und die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge zeigt, dass der Markt es nicht kann.
Bisher ging aus den beiden voraus gegangenen Weltwirtschaftskrisen – der Großen Depression von 1873 bis 1896 und der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 jeweils ein anderer Kapitalismus hervor.
Am Ende des 19. Jahrhunderts erstarkte die Arbeiterbewegung und setzte soziale Rechte durch. Auf die Krise vor 80 Jahren folgte ein fürchterlicher Weltkrieg und danach das so genannte fordistische Zeitalter – angefangen vom New Deal in den USA bis zum sozialstaatlichen Kompromiss in Europa nach dem Krieg.
Die neoliberalen Eliten und die Konservativen hier zu Lande betrachten die derzeitige Krise als einen bösen Spuk, und wenn dieser wieder vorbei ist, dann wird alles so sein wie vorher. Das wird jedoch so nicht funktionieren.
Hier hat die Linke eine große gesellschaftliche Verantwortung, sich einzumischen.
Dabei geht es erstens darum, die gigantische Umverteilung von Armut und
Reichtum wieder umzukehren, und zwar weltweit gerade auch zugunsten der
so genannten Dritten Welt. Das entzieht der Spekulation den Boden und
stärkt die Binnenwirtschaft.
Zweitens ist die Demokratisierung der Wirtschaft durch die Erweiterung der Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte der abhängig Beschäftigten ein wichtiger Schritt zur Emanzipation und zur Rückkehr zum „stakeholder value“ statt des vorherrschenden, die Unternehmen ruinierenden »shareholder value«.
Drittens muss aus Gründen der ökologischen Nachhaltigkeit Einfluss auf die Produktions- und Konsumtionsmuster genommen werden, in dem öffentliche Investitionen in diesen Bereichen sowohl der Klimakatastrophe entgegenwirken als auch der Knappheit der Ressource Öl Rechnung tragen.
Viertens ist der Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, auch aufgrund der demografischen Entwicklungen, ein künftiger Wachstumsmotor. Die Notwendigkeit guter Bildung und Ausbildung, Kinderbetreuung, gesundheitlicher Vorsorge und die Pflege und Betreuung älterer Menschen, also der Bereich sozialer Dienstleistungen, wird diese Gesellschaft Rechnung tragen müssen.
Wir haben darüber hinaus die Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungssektors vorgeschlagen. In Bereichen sozialer Dienstleistungen, im Umweltschutz fordern wir eine Million Stellen, die die Privatwirtschaft aus unterschiedlichen Gründen nicht besetzt. Darüber hinaus können und müssen wir eine weitere Million Arbeitsplätze im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung für jene schaffen, die ansonsten arbeitslos wären. Dabei handelt es sich nicht um Bereiche in Konkurrenz zur bestehenden Wirtschaft, sondern um zusätzliche Beschäftigung z. B. in Bildung, Kultur und Umwelt.
Fünftens brauchen wir ein sozial gerechtes Steuersystem, das niedrige und mittlere Einkommen entlastet und hohe Einkommen und Vermögen belastet. Sonderrechte für die so genannte Finanzindustrie gehören abgeschafft. Wir benötigen ein Bildungssystem, das Chancengleichheit für die Kinder aus allen Schichten der Bevölkerung herstellt. Deshalb plädieren wir für eine Gemeinschaftsschule auf höchstem Niveau, die das gewährleistet. Wir plädieren für eine Erwerbstätigenversicherung für die gesetzliche Rente, damit alle, die Einkommen beziehen, in die gesetzliche Rente einzahlen, auch Selbständige, auch Beamtinnen und Beamte. Es darf auch keine Beitragsbemessungsgrenzen geben, so dass sämtliche Einkommen in voller Höhe zur Verfügung stehen. Der damit verbundene Rentenanstieg muss abgeflacht werden, der Beitragssatz könnte so gesenkt werden.
Bei der Gesundheit treten wir für eine solidarische Bürgerversicherung ein, in die alle einzahlen müssen, auch die heute privat Versicherten. Damit verbunden wären die Streichung von Praxisgebühr und Zuzahlungen. Bei den abhängig Beschäftigten muss hinsichtlich der Beiträge die Parität wieder hergestellt werden. Bei den Medikamenten brauchen wir eine Positivliste, um Spekulationsgewinne der Pharmaindustrie auszuschließen.
Wir wollen und müssen Hartz IV überwinden und brauchen eine bedarfsorientierte Grundsicherung. Ich bin gegen eine bedingungslose Grundsicherung, weil sie die Menschenrechte derer verletzt, die in Beschäftigung für andere mit arbeiten. Das geht nur in Ordnung, soweit es einen Bedarf gibt.
Sechstens müssen wir mit Nachdruck die Finanzkrise bekämpfen, denn die Regierungen der Industriestaaten werden sich nur auf sehr halbherzige und völlig unzureichende Maßnahmen der Reregulierung der Finanzmärkte verständigen. Mit Nachdruck haben Oskar Lafontaine und sein ehemaliger Staatssekretär Heiner Flassbeck immer wieder ein neues Bretton Woods, ein fixes Wechselkurssystem mit Schwankungsbreiten der Wechselkurse von Währungen, gefordert, um die Währungsspekulation abzuschaffen und um die Handelsungleichgewichte zu beseitigen. Diese Frage steht noch nicht einmal auf der 47-Punkte-Agenda der G-20-Staaten.
Es bleibt also noch viel zu tun.
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