Bodo Ramelow: Wie Zitronen ausgepresst
Nach Wochen mit Mahnwachen, Protesten und Demonstrationen hat der vormals Quelle-Karstadt-Konzern Arcandor Insolvenz angemeldet. Über 120 Jahre wechselvoller Firmengeschichte eines deutschen Handelshauses neigen sich dem Ende. Die Inszenierung der Konzernlenker erweckte bei vielen Bürgern den Eindruck, die Schuld für die Insolvenz läge bei der Politik, weil die Regierung Kredithilfen versagt hat.
Nach Hertie, Woolworth und Karstadt sind schon die nächsten Pleiten in Aussicht. Das Strickmuster ist immer das gleiche: Aktiengesellschaften übernehmen, fusionieren oder verschmelzen, anschließend wird alles Werthaltige herausgeholt.
Die Finanzmarktkrise frisst unsere Realwirtschaft. Die Karstadt-Pleite, die mit über 43 000 Beschäftigten und deren Angehörigen weit mehr als 100 000 Menschen betrifft, ist die größte der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Was ist passiert? Ein neuer wunderschöner Konzern mit dem klangvollen Namen Arcandor verkaufte viele Häuser und schuf dubiose Immobilienfonds. Jetzt klagt die Betriebsführung über erdrückende Mieten. Alleine in Leipzig meldet sie eine unbezahlbare Mietlast von rund 16 Prozent des Umsatzes. Eigentümer, Manager und Banken haben an diesem Konstrukt jahrelang fürstlich verdient, scheuen aber jetzt jedes Risiko, ausgehandelte Beschäftigungspakte sind hinfällig.
Nun kommen Finanzmarktgeier, stürzen sich auf Arcandor und teilen die Beute. Es droht die Gefahr der städtebaulichen Verödung in über 70 Städten und ein Verfall der Verkaufskultur. Die Zocker und Hasardeure gingen auf Raubzüge durch den deutschen Handel, haben sich Beute geholt, Bilanzen geplündert, nun haben Insolvenzverwalter Hochkonjunktur.
Das war kein Missmanagement, das war und ist gezielter Vermögensentzug. Die Familie Schickedanz und die Hertie-Erben sind durch den Fleiß und Ideenreichtum von Verkäufergenerationen zu Milliardären geworden. Die größte europäische Privatbank Oppenheim (41 Milliarden Euro Bilanz) hat großartig verdient. Nun stellen die Gläubigerbanken 710 Millionen Euro fällig und alle schauen zu. Werte werden vernichtet, Lebensleistungen entwertet und Zukunftschancen geraubt. Fazit: der Finanzmarkt ruiniert Innenstädte, Einkaufskultur, entleert soziale Bindekräfte des Gemeinwesens.
Politik muss endlich den Gestaltungsauftrag zurückholen, den sie hat: Grenzen zu ziehen, Regeln zu bestimmen. Nötig sind jetzt Bürgschaften verbunden mit Mitarbeiterbeteiligungen, damit der Lohnverzicht nicht auch noch zynisch bestraft wird.
Alle wissen: Artikel 14 Absatz 2 unseres Grundgesetzes schreibt fest: Eigentum verpflichtet und soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Das müsste und könnte eine Regierung durchsetzen: Sie muss Eigentümer, Manager und Banken endlich in die Pflicht nehmen. Auch Enteignungen zum Allgemeinwohl haben die Autoren der Verfassung ermöglicht.
Aber CDU und SPD sind ordnungspolitische Ideologien wichtiger, sie nehmen billigend in Kauf, dass 100 Jahre Einzelhandelstradition weggeworfen werden wie ausgepresste Zitronen.
Was wir brauchen, ist eine Renaissance der kaufmännischen Ehrlichkeit, des Anstandes des Händlers. Zockern und Finanzmarkthasardeuren gehört endlich gesetzlich wirksam das Handwerk gelegt. Das Geld muss dem Menschen dienen und nicht der Mensch dem Profit.
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