Finanzpolitik am Abgrund
Die schwarz-gelbe Regierung startet mit der höchsten Neuverschuldung des Bundes, die sie aber noch weiter nach oben treiben wird. Die Ursachen sind eindeutig: Der Absturz der Wirtschaft hat riesige Haushaltslöcher gerissen. Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sind gesunken, die Ausgaben (etwa für das Kurzarbeitergeld) gestiegen. Ein Rückblick auf die in den 1930er Jahren durchgesetzte Notverordnungspolitik mit massiven Einsparungen lehrt aber: In der Krise darf sich der Staat nicht durch Ausgabenkürzungen aus dem Wirtschaftskreislauf zurückziehen. Vor allem muss mit öffentlichen Zukunftsinvestitionsprogrammen die Binnennachfrage gestärkt werden.
Im Koalitionsvertrag ist davon nicht viel übrig geblieben. Die halbherzigen Eingeständnisse zur aktiven Rolle des Staates in der Krise werden durch eine einzelwirtschaftliche Ausrichtung der Finanzpolitik überlagert. Durch massive Steuersenkung soll die Privatwirtschaft angekurbelt werden. Die altbekannte Wirkungskette lautet: Sinkende Steuerbelastungen lösen einen Nachfrageboom aus, die gesamtwirtschaftliche Produktion steigt, zusätzliche Steuereinnahmen sprudeln.
Diese Behauptung von der Selbstfinanzierung einer Politik der Steuerreduktion um insgesamt über 50 Milliarden Euro ist aber weder theoretisch begründbar noch empirisch belegt. Erfahrungen mit der rot-grünen Politik der Steuergeschenke an Wirtschaft und Vermögende zeigen, dass bei Einnahmeverlusten die Staatsverschuldung steigt und der Druck enorm zunimmt, Ausgaben zu kürzen. So stellt sich die Frage, wie die geplante Senkung der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung zu einer höheren inländischen Nachfrage führen soll. Auch die vorgesehene Anhebung der Kinderfreibeträge, von der besonders Spitzenverdiener profitieren, wird den Konsum nicht stärken.
Die Richtung der ab 2011 angestrebten Entlastungen durch einen neuen Einkommensteuertarif ist klar: Wer viel verdient, hat wohl auch viel geleistet. Deshalb sollen Einkommensstarke und Vermögende entlastet werden. Erstmals wird derart provokant der Mega-Aderlass bei den Steuereinnahmen auf Pump finanziert. Der Schuldenstand wächst gemessen am Bruttoinlandsprodukt nach einer Modellrechnung in den nächsten vier Jahren auf 91 Prozent. Die größte Last der verfehlten Finanzpolitik tragen die Kommunen. Gigantische Kürzungen bei kommunalen Investitionen und öffentlicher Daseinsvorsorge sind vorprogrammiert. Die Schuldenbremse erzeugt zusammen mit den Steuergeschenken – wie es John Galbraith formulierte – öffentliche Armut neben privatem Reichtum.
Der Koalitionsvertrag offenbart: Ursachen und Auswirkungen der Krise sind nicht begriffen worden. Worum es gehen müsste, ist die politische Inszenierung eines ökologisch fundierten Wirtschaftswachstums. Dazu gehört ein öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm, mit dem künftigen Generationen eine bessere Umwelt und Bildung vererbt werden. Dazu gehört eine Steuerpolitik, die auch Vermögende in die Finanzierung öffentlicher Aufgaben einbezieht. Dazu gehört eine gezielte Bekämpfung der Kinderarmut. Erforderlich ist auch eine Lohnpolitik, mit der ungerechte Einkommensverteilung korrigiert wird. Schließlich bedarf es einer Bändigung der Finanzmärkte durch harte Regulierung der Banken. Wer diese Punkte nicht auf die politische Agenda setzt, hat die wachsende Krisenanfälligkeit und eine soziale, produktivitätsschwächende Spaltung der Gesellschaft zu verantworten.
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