''Große Anleihe'' für Zukunftsinvestitionen
Frankreich Version der Schattenhaushalte
In Frankreich hat der Staatspräsident mit den Vorbereitungen auf die Regionalwahlen im März kommenden Jahres begonnen und ist dabei erst einmal im Sumpf der Skandale hängen geblieben. Sein Kulturminister musste sich Vorwürfen erwehren, er habe Sex mit Minderjährigen verherrlicht.
Sein Sohn sollte mit zwei Semestern Jura an die Spitze der Betreibergesellschaft von Paris größtem Bürokomplex "La Defense" rücken, was nun sicherlich weniger mit dem vom Präsidenten gepriesenen republikanischen Leistungsethos als mit Selbstbedienungsmentalität zu tun hat. Die Proteste fielen bis in die Regierungspartei UMP hinein so harsch aus, dass das Früchtchen zurückzog.
Schlimmer ist, dass der "Marschallplan für die Vorstädte", den Sarkozy im Wahlkampf versprochen hatte, auf sich warten lässt. Schlimm ist, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt. Schlimm ist, dass der Staat den Gebietskörperschaften 1,8 Mrd. Euro für Sozialhilfe schuldet und die sozialistische Parteichefin öffentlich den Vorwurf erhebt, dass "25 Departements quasi vor der Insolvenz stehen", mithin ein Viertel. Einige davon haben mit Zinswetten und toxischen Anleihen viel Geld verloren, andere leiden darunter, dass ihnen Aufgaben übertragen wurden, ohne Mittel dafür bereit zu stellen.
Sarkozy fürchtet vor allem ein Ausbrechen von bedrohten Wählerschichten hin zur Nationalen Front. Im Umfeld der Rechtsextremen macht sich seit einiger Zeit ein "Bloc identitaire" breit, der "gegen schädliches Wachstum, merkantilistische Abwege, den Kult des Geldes und des Individualismus und der Vermischung" agitiert. Begriffe wie "natürliche Ordnung" und "Verteidigung des Bodens" öffnen Übergänge zur ökologischen Bewegung, wo man mit dem Angriff auf die "Verwandlung der Welt in eine Ware" zu punkten hofft. Die Grünen hatten ihre überwältigenden Erfolge bei den letzten Wahlen vor allem ja mit der Perforation ihrer eigenen Werte und mit einer Hinwendung zu den sozialen Interessen der städtischen Oberschicht erzielt und dabei Wähler verloren, zu denen die Rechte nun Brücken bauen will.
Sarkozy hat daher eine Debatte über die nationale Identität angeregt, während der von den Sozialisten zum ihm übergelaufene Minister Bresson brav seine Abschiebequoten erfüllt. Eine Untersuchung zeigt, dass jedes zweite Kind aus Einwandererfamilien an die soziale Mobilität durch eigene Bildungsanstrengungen glaubt, egal woher die Menschen ursprünglich kamen.
Allerdings bleiben sie eher in den berufsorientierten Schulkarrieren (Fachabitur) hängen und gelangen weniger in die höheren allgemeinbildenden Abschlüsse mit Hochschulzugang. Aber Sarkozy hat die RepräsentantInnen der "sichtbaren Minderheiten" aus seinem Umfeld verbannt. Die Justizministerin musste ins Europaparlament, die Sport-Staatssekretärin soll in einen Regionalrat abgeschoben werden und die Städtebau-Staatssekretärin hat außer scharfen Worten keine Mittel für die Vorstädte.
Gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich Sarkozy insofern behauptet, als er als Verfechter eines starken Staates sowohl den Bankensektor als auch die Schlüsselindustrien mit Milliarden-Krediten gestützt hat. Zu wirklichen Reglementierungen der Finanzmärkte hat sich aber auch er nicht durchringen können. Trotz der deutlich über den Maastricht-Kriterien angelangten öffentlichen Verschuldung (bis 2013 Anstieg auf 94% des BIP) brachte er die Idee einer "Großen Anleihe" zur Modernisierung des Landes ins Gespräch.
Sein Vorschlag zu einer "Kohlenstoff-Steuer" floppte in der politischen Debatte und aus der Anleihe ist nun eine besondere Form der Verschuldung geworden, die mit 35 Mrd. Euro Umfang nur noch ein Drittel der ursprünglich avisierten Summe beträgt. Wegen niedrigerer Zinssätze hat man sich für Bankanleihen entschieden. 13,4 Mrd. Euro sind Rückzahlungen der Banken für gewährte Finanzhilfen (Le Monde vom 18.11.2009)
Schwerpunkt des mit der Anleihe finanzierten Programms der Zukunftsinvestitionen wird auf Wunsch des ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Rocard, der zusammen mit dem vorbestraften Ex-Ministerpräsidenten Juppé von der UMP die Kommission leitete, der Bildungssektor. Neben der klassischen Elite-Ausbildung über die ENA, ENS usw. sollen nach deutschem Vorbild Exzellenz-Universitäten herauskristallisiert werden, wofür 16 Mrd. Euro bereit gestellt werden. Nicht Integration durch Breitenförderung ist das Ziel, sondern Vereinzelung im Leistungsstreben.
Je zwei Mrd. Euro dienen der Förderung von Biotechnologien und dem Mittelstand. Zwischen drei und vier Mrd. Euro sollen jeweils für die Entwicklung der Stadt der Zukunft, für die Reduzierung von Abgasen im Verkehr um den Faktor 4 bis zum Jahr 2050, für die Entwicklung erneuerbarer Energien (CO2-Verpressung, Stromspeicherung, Sonnenenergie) und für die Informationswissenschaft spendiert werden.
Mit diesen Schwerpunkten umgeht man die lange "Warteschlange, die sich bildet, wenn man einen Schalter öffnet", wo jeder für seine Weltidee um Zuschuss ansteht. Man umgeht zweitens die Befürchtung, eine neue Planwirtschaft real- sozialistischen Typs ziehe herauf, obwohl Frankreich gerade mit solcher zentralen Planung seine Atomwirtschaft erfolgreich hochgezogen hat.
Mit der Zweckbindung an die Förderung von Zukunftstechnologien verschafft man sich die Möglichkeit, Schattenhaushalte zur Umgehung der Maastricht-Kriterien einzurichten und Interventionen der EU-Kommission gegen wettbewerbsverzerrende Beihilfen zu vermeiden. Denn die Anleihe war deshalb innerhalb der UMP höchst umstritten, die Veröffentlichung mehrmals vertagt, weshalb der Präsident selbst gegen Ende eine Spanne von 25 bis 50 Mrd. Euro ins Gespräch brachte.
Mit den Maastricht-Kriterien begründet auch die PS ihre ablehnende Haltung gegenüber der Anleihe. Der Staatspräsident sieht demgegenüber offenbar noch keine Chance auf einen Rückzug des Staates, ohne die politische Basis für die kapitalistische Ordnung zu gefährden.
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