Die Zocker sind wieder da
Angesichts des Absturzes der Finanzmärkte nach der Lehman-Pleite vor einem Jahr waren die Schwüre groß, durch Regulierungen virtuelle Spekulationsgeschäfte zu begrenzen, ja zu verbieten. Maßnahmen zur Zurückdrängung entfesselter Finanzmärkte sollten die Dominanz der Wertschöpfung in der Produktionswirtschaft stärken. Von der Wiederbelegung »dienender Banken« war viel die Rede. Beleg für diese weltweiten Aktivitäten sind die G20-Gipfel, zuletzt im September in Pittsburgh. Das Schlussprotokoll liest sich einerseits wie ein harter Strafkatalog für die aus dem Ruder gelaufenen Finanzmarktakteure und anderseits wie eine Magna Charta zur Regulierung, die künftig dem Zockerkapitalismus keine Chance mehr geben soll.
Auch die alte und neue Bundesregierung haben sich verbalradikal in diesen Neustart eingegliedert. Jeder Finanzplatz, alle Produkte und alle Akteure sollen reguliert und kontrolliert werden. Gefordert wird auch die Begrenzung der krisenstiftenden Verpackung von zum Teil problematischen Krediten in Wertpapiere, die die Bank vom Risiko und der Kapitalvorsorge entlasten sollte. Die vom profitwirtschaftlichen Motiv angetriebenen Rating-Agenturen, die mit ihrer quasi-hoheitlichen Funktion die Risiken dieser Produkte verschleierten, sollten grundlegend reformiert, ja durch eine staatliche Behörde ersetzt werden. Schließlich wurde gefordert, besonders krisentreibende Spekulationsprodukte wie Zertifikate und Leerverkäufe von Aktien zu verbieten.
Was ist von den guten Vorsätzen geblieben? Die Antwort ist bitter: Praktisch keine der wichtigen Maßnahmen wurde umgesetzt. Die Lehren aus dem gesellschaftsbedrohlichen Kollaps der Finanzmärkte sind nicht gezogen worden. Durch Insolvenzen vor allem von Investmentbanken dezimiert, zockt heute eine kleinere Zahl umso aggressiver an den Spieltischen des Kasinokapitalismus weiter. Allein wegen der zur Rettung eingesetzten Steuermittel hätten alle notleidenden Banken verstaatlicht und eine Beteiligung des Staates an den später anfallenden Gewinnen gesichert werden müssen. Der Grund für dieses Versagen ist schlicht: Weil der Politik Wille und Tatkraft zur Beschränkung nicht nur der Bankenmacht fehlen, dominiert deren Macht, mit der die Spekulationsgeschäfte fortgesetzt werden.
Und so werden Kreditforderungen wieder zu handelbaren Wertpapieren verbrieft. Die Verpackungskünstler, die diese Kredite so lange bündeln, bis niemand mehr deren Wertigkeit erkennen kann, sind wieder voll in Aktion. In den USA sind bereits toxische Papiere im Umfang von 90 Milliarden Dollar so aufgespalten worden, dass sie wieder die höchste Qualitätsnote »AAA« durch die Rating-Agenturen erhalten. Ein weiteres, besonders riskantes Instrument sind »Carry Trades«. Dabei leihen sich Spekulanten Dollars in den zinsbilligen USA, um diese dann in Währungen umzutauschen, die im dortigen Land mehr Zinsen hervorbringen. Dabei geht es nicht um die Finanzierung von notwendigen Sachinvestitionen, sondern um Spekulationsgeschäfte, die im Zielland zu Verwerfungen führen.
Gegen abenteuerliche, systembedrohende Spekulationen helfen Appelle zur Vermeidung von Gier, Moral oder Anstand wenig. Die Geschäfte müssen durch Regulierungen unterbunden werden. Dazu gehören eine Steuer auf Fi-nanztransaktionen, um die Gewinne aus Spekulationsgeschäften spürbar zu reduzieren, aber auch Kapitalverkehrskontrollen. Betroffene Länder wie Indien, Thailand und Indonesien denken ernsthaft darüber nach, den Import von »Hot Money« zu verbieten.
In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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