Osteuropa im Griff des Kapitals
86 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung des Bundes in diesem Jahr – das ist in der bundesdeutschen Geschichte Rekord. Jeder vierte Euro wird auf Pump ausgegeben! Die bisherige Spitze – 1996 mit 40 Milliarden – wurde von den Regierenden der »Beseitigung von Hinterlassenschaften der sozialistischen DDR« zugerechnet. Für die neue Höchstmarke können selbst Populisten dies nicht mehr heranziehen. Hier handelt es sich um einen Tribut an den hemmungslosen, Krisen gebärenden Kapitalismus. Die bedrohlichen Langzeitwirkungen für breite Bevölkerungsschichten und für die Demokratie werden noch unter dem Tisch gehalten.
Mit verheerenden Krisenfolgen haben auch osteuropäische Staaten zu tun, darunter jene, die vor einigen Jahren Mitglied der Europäischen Union wurden. Sie verbanden damit die Hoffnung, nunmehr im »sicheren Hafen« zu sein. Jetzt erweist sich, wie sehr sie zum Feld für Expansionsgelüste und Exportinteressen alter EU-Länder geworden sind. Die meisten sind härter von der Krise betroffen als manch westeuropäisches Land.
Das Streben nach einer rasanten nachholenden kapitalistischen Entwicklung hat tiefe Spuren hinterlassen. Polen, die Slowakei, Slowenien und Tschechien, Länder mit starker Exportorientierung, leiden unter dem Einbruch der Ausfuhren. Gestützt auf westliche Direktinvestitionen waren oft einseitige, extrem exportabhängige Produktionsstrukturen wie die Autoindustrie entstanden. In der Slowakei, auch »Detroit Europas« genannt, entfallen fast 40 Prozent des Gesamtexports auf diese Branche. Ähnlich ist es in Tschechien.
Die baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und Ungarn zahlen bitter dafür, dass sie in den zurückliegenden Jahren ihr boomendes Wirtschaftswachstum von jährlich acht bis zehn Prozent vorrangig mittels Auslandsverschuldung finanziert haben. Vor allem österreichische, schwedische, auch deutsche Banken sind hier stark engagiert. In Ungarn beträgt der Anteil der Fremdwährungs- an den Gesamtkrediten ca. 60 Prozent. Jetzt sind die hoch verschuldeten Länder mit verschärften Kreditrestriktionen und versiegenden Kapitalflüssen konfrontiert. Ungarn und Lettland begaben sich bereits mit 25 bzw. 7,5 Milliarden US-Dollar unter den Kreditschirm des Internationalen Währungsfonds (IWF), für Rumänien ist ein Stützungskredit beschlossen. Damit übernimmt der IWF die Federführung bei der wirtschaftspolitischen Orientierung, und die ist auf kurzfristige Interessen des Kapitals ausgerichtet. Die Folge sind Kürzungen von Renten, Sozialausgaben sowie Gehältern im öffentlichen Dienst, Steuererhöhungen und Sparprogramme. Proteste in der Bevölkerung nehmen zu, ebenso die politische Instabilität infolge häufigen Wechsels von Regierungen.
Nach heftiger Abwertung von Leu, Zloty und Forint fürchten Auslandsinvestoren um Wertverluste ihrer Kapitalanlagen und drängen weitere neue EU-Länder (Slowenien und die Slowakei verfügen über den Euro, Bulgarien hat seine Landeswährung daran gebunden) zur beschleunigten Einführung des Gemeinschaftsgeldes. Damit aber dürfte der letzte Schutzmechanismus für die einheimische Ökonomie, die mögliche Abwertung der eigenen Währung, aufgegeben werden und der Verarmungsprozess der Bevölkerung fortschreiten. Schon jetzt sind Arbeitslosigkeit und Inflation angestiegen.
Die sozialökonomischen und politischen Folgen der Rekapitalisierung Osteuropas und Schlüsse für Alternativen sind bislang nur dürftig Gegenstand von Analysen und Debatten in der LINKEN. Die anstehende Programmdiskussion bietet dazu Gelegenheit.Ähnliche Artikel
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