Sozial ist, was Würde schafft!
Matthias W. Birkwald, Rede vom 16.03.2010 im Bundestag
Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)
zur
abschließenden Lesung des Haushaltsgesetzes 2010 – EP11
am 16.03.2010
im Plenum des Deutschen Bundestages
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Der Kollege Matthias W. Birkwald ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
(Beifall
bei der LINKEN)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sozial
ist, was Würde schafft. Um Würde geht es auch beim Umgang mit
Rentnerinnen und Rentnern. Die Angleichung der Rente in den neuen
Bundesländern an das Niveau im Westen ist ein Trauerspiel. 20 Jahre sind
ins Land gegangen, bevor Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU, nun ein einheitliches Rentenrecht für Ost und West ankündigen.
Das fordern wir Linken schon lange. Es muss gelten: Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit und gleiche Rente für gleiche Lebensleistung ‑ in Ost und
West.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Lebensleistung
einer Rentnerin in Frankfurt (Oder) verdient genauso viel Respekt wie
die Lebensleistung eines Rentners in Frankfurt am Main. Ich weiß: Die
Rentenwerte anzuheben, geht nicht über Nacht. Aber fangen Sie jetzt
damit an!
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und
Herren, sozial ist, was Würde schafft. Erwerbsarbeit kann, muss aber
nicht dazuzählen. Eine mies bezahlte Arbeit für 3 oder 4 Euro in der
Stunde, befristet, ohne Perspektive, eine Arbeit, in die das Jobcenter
Erwerbslose drängt, solch ein Job erscheint den Betroffenen sinnlos.
Solch eine Arbeit schafft keine Würde, solch eine Arbeit beseitigt
Würde.
Das Gleiche gilt für Sozialleistungen: Hartz IV
entwürdigt, Hartz IV demütigt und Hartz IV verformt die Menschen zu
willigen und billigen Verkäuferinnen und Verkäufern ihrer Arbeitskraft.
Statt „Fördern und Fordern“ hätte das Motto von Hartz IV eigentlich
„Zwingen und Schubsen“ heißen müssen. Das ist würdelos, und darum muss
Hartz IV überwunden werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Stattdessen
brauchen wir „gute Arbeit“, die niemanden zum seelenlosen Verkäufer
herabstuft, und gute Sozialleistungen, die keine und keinen zum
Bittsteller und zur Verschiebemasse am Arbeitsmarkt herabwürdigen. Darum
schlagen wir Linken ein Zukunftsprogramm vor, mit dem massenhaft neue,
anständig bezahlte Arbeitsplätze entstehen könnten, zum Beispiel durch
den Ausbau der Kinderbetreuung, durch die Ausbildung von Erzieherinnen
und Erziehern, von denen wir viele und gut qualifizierte brauchen, im
Bereich der Gesundheitsförderung und der Prävention, in der
Erwachsenenbildung und durch die Förderung der Integration von
Zuwanderinnen und Zuwanderern.
Von Arbeit muss man leben
können. Deswegen fordert die Linke einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn, Herr Kolb, von 10 Euro brutto die Stunde.
(Beifall
bei der LINKEN)
Mit 10 Euro brutto wären auf einen Schlag bis
zu 400.000 Aufstockerinnen und Aufstocker aus Hartz IV raus, die heute,
obwohl sie den ganzen Tag arbeiten, nicht genug zum Leben haben, und
eine weitere halbe Million Menschen, die Vollzeit zu Hungerlöhnen
arbeiten, aber Hartz IV nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie aufstocken
dürften, wären keine arbeitenden Armen mehr.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, seit gestern schlagen Sie nun vor, die
Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I auf bis zu 24 Monate zu verlängern.
Das findet die Linke gut, weil man auch damit das Abrutschen in Hartz IV
zeitweise verhindern kann.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aha!)
Das finden wir auch deshalb gut, weil wir
Linken schon im Juni 2009 gefordert haben, die Bezugsdauer von
Arbeitslosengeld I auf 24 Monate zu verlängern.
(Dr. Heinrich
L. Kolb (FDP): Aha, das ist abgeschrieben!)
Aber mit Ihrem
neuen Hartz-IV-Light-Konzept springen Sie viel zu kurz. Sie scheuen den
klaren Bruch mit der Hartz-Logik. Machen Sie doch endlich Nägel mit
Köpfen, und verabschieden Sie sich endgültig von Herrn Hartz und seinen
Untaten!
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, sozial ist, was Würde schafft. Das gilt auch für Familien:
Erstens. Kinder müssen frei von Armut aufwachsen können. Und zweitens.
Elternschaft darf kein Grund für Armut sein. Darum muss der
Kinderzuschlag deutlich angehoben werden.
(Beifall bei
Abgeordneten der LINKEN)
Die Würde von Kindern ist der
Ausgangspunkt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Kinder sind
keine kleinen Erwachsenen, und ‑ das fügte das Gericht hinzu ‑
Erwachsene sind keine Bittstellerinnen und Bittsteller, deren Existenz
vom Wohlwollen der Familie, der Nachbarschaft oder von gemeinnützigen
Einrichtungen abhängen darf. Jeder Mensch in unserem Land hat ein Recht
auf die Sicherung seines grundlegenden Bedarfs.
(Beifall bei
der LINKEN)
Dieses Recht darf nicht mit dem Verweis auf
Pflichten hintenherum wieder einkassiert werden. Darum treten wir Linken
für eine sanktionsfreie und für eine armutsfeste soziale
Mindestsicherung ein. Darum darf der Regelsatz für Hartz-IV-Betroffene
nicht zu niedrig angesetzt werden.
(Beifall bei der LINKEN ‑
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Armutsfest heißt 880 Euro im Monat?)
Bildung,
Bildung, Bildung schallt es aus allen Ecken, wenn Lösungsvorschläge
gefragt sind. Aber wie viele Euro sind im Regelsatz für
Hartz-IV-Betroffene für Bildung vorgesehen? Nichts, nullkommanull, zero,
nada, niente. Ändern Sie das, und zwar sofort!
(Beifall bei
Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, wir alle
sollten uns einig sein, dass sich auch Hartz-IV-Betroffene gesund
ernähren können müssen. Auch das ist eine Frage der Würde. Auch darum
ist die Anhebung des Regelsatzes dringend notwendig, und zwar nicht nur
auf 420 Euro, nicht nur auf 440 Euro, sondern auf mindestens 500 Euro im
Monat.
(Beifall bei der LINKEN)
Sozial ist, was
Würde schafft. Hartz IV ist bereits Armut per Gesetz. Flüchtlinge jedoch
erhalten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz noch ein Drittel weniger.
Das ist reine Willkür, und ‑ lassen Sie mich das hier auch sagen ‑ das
ist verfassungswidrig. Menschenwürde zweiter Klasse darf es nicht geben.
(Beifall
bei der LINKEN)
Für uns Linke ist selbstverständlich: Würde
ist keine Frage der Staatsangehörigkeit. Das folgt auch aus dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition: Schaffen Sie dieses Sondergesetz für Flüchtlinge endlich
ab!
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
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