Gesine Lötzsch: Kommunen vor dem Ausbluten retten
Rede vom 25.3.2010 im Deutschen Bundestag
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank. Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schwäbische Stadt Nürtingen hat für dieses Jahr ihren Bürgern angekündigt, dass die Elternbeiträge für den Hort um 5 Prozent, für die Ferienbetreuung um 12 Prozent und für die Musikschulen um 5 Prozent steigen werden. Die Stadt Wuppertal denkt darüber nach, das Schauspielhaus, Schulen und Bäder zu schließen.
(Ingbert Liebing (CDU/CSU): Die Rede habe ich schon mal gehört!)
Ich finde, das sind unhaltbare Zustände für eines der reichsten Länder der Erde. (Beifall bei der LINKEN)
Im Jahr 2009 fehlten den Kommunen 7,1 Milliarden Euro, und im Jahre 2010 werden es wohl 12 Milliarden Euro sein. Die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, hat wie immer Verständnis für die Lage der Kommunen geäußert. Verständnis ist immer gut. Doch woher soll das Geld für die Kommunen kommen? Diese Frage muss beantwortet werden. Nun plant die Bundesregierung eine Bankenabgabe. Das hört sich erst einmal gut an. Doch diese Bankenabgabe soll lediglich 1 Milliarde Euro einbringen; das ist lächerlich. Diese 1 Milliarde Euro ist nicht einmal für die Kommunen gedacht. Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wollen nur die Banken vor der nächsten Krise schützen, nicht etwa die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger. Für sie gibt es keinen Schutz, weder in der jetzigen Krise noch vor zukünftigen Krisen. Das müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir in die Zukunft.
(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Völker, hört die Signale!)
Ab dem Jahr 2011 wird Finanzminister Schäuble das Volumen des Bundeshaushalts jedes Jahr um 10 Milliarden Euro kürzen müssen, um die Schuldenbremse, die im Grundgesetz festgeschrieben wurde, einzuhalten. Wie er das machen will, hat er uns bisher nicht verraten.
(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Lassen Sie sich doch überraschen, Frau Kollegin!)
Klar ist nur, dass angesichts der Schuldenbremse für die Unterstützung der Kommunen kein Spielraum mehr sein wird. Im Gegenteil: Er wird die Kommunen mit den Auswirkungen der Gesetze allein lassen, wie es die Kommunen seit Jahren erleben. Dieser Zustand muss endlich beendet werden. (Beifall bei der LINKEN
Gisela Piltz (FDP): Deshalb geht es Berlin so gut, weil Sie in Berlin regieren!)
Aber das ist noch nicht alles. Die Koalition hat vor allen Dingen auf Betreiben der FDP im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass weitere Steuersenkungen von 24 Milliarden Euro beschlossen werden sollen. Damit wollen Sie den Kommunen noch mehr Geld entziehen. (Zuruf von der FDP: Nein, das wollen wir ausdrücklich nicht!) Ich kann Ihnen nur sagen: Es war ein schwerer Fehler, die Banken an der Finanzierung der Kosten, die im Rahmen der Krise angefallen sind, nicht zu beteiligen. Es war ein schwerer Fehler, Bund, Länder und Gemeinden mit einer Schuldenbremse zu knebeln. Es war ein weiterer schwerer Fehler, in dieser Situation weitere Steuergeschenke zu versprechen. Das ist die falsche Politik.
(Beifall bei der LINKEN Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Ich habe mich sehr über das Konjunkturpaket des Bürgermeisters gefreut!)
Eine Politik der Deregulierung der Märkte, der Privatisierung öffentlichen Eigentums und der Zerstörung des Arbeitsmarktes blutet die Kommunen aus. Wenn ich die Anträge der anderen Fraktionen lese, dann habe ich häufig den Eindruck, dass man dort denkt, die Finanz- und Wirtschaftskrise sei vom Himmel gefallen bzw. habe uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen und die Welt sei vorher in Ordnung gewesen. Doch die Welt war auch vorher nicht in Ordnung. Die Regierungen Kohl, Schröder und Merkel haben dazu beigetragen, dass die Haushaltsnotlage der Kommunen immer größer wurde.
Ich kann es Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, nicht ersparen: Ihr Antrag ist zwar gut gemeint; doch es kommt nicht zum Ausdruck, wie Sie das strukturelle Defizit von 12 Milliarden Euro jährlich beseitigen wollen. In Ihrem Antrag wird das Problem nicht an der Wurzel gepackt. Das Problem ist die Agenda 2010, insbesondere Hartz IV. Dies hat nämlich dazu geführt, dass die Kommunen über 40 Milliarden Euro für soziale Leistungen aufbringen müssen. Das können die Kommunen nicht schultern; das wissen Sie genau.
(Joachim Poß (SPD): Unsinn en gros!) Dies war die falsche Entscheidung. Die Agenda 2010 und Hartz IV müssen abgewickelt werden. (Beifall bei der LINKEN Joachim Poß (SPD): Das hat doch mit der Agenda 2010 überhaupt nichts zu tun!) Wenn das SPD-Präsidium nun vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen einen Rettungsschirm für die Kommunen beschließt, dann ist das gut. Aber Sie müssen natürlich ganz genau erklären, wie Sie ihn finanzieren wollen; denn wir können nicht noch einmal einen Rettungsschirm in Höhe von 480 Milliarden Euro aufspannen. So viel Geld ist wirklich nicht vorhanden. Wir können den Kommunen nur helfen, wenn die Kräfte der Vernunft in diesem Haus bereit sind, über die Stabilisierung der Einnahmen zu reden. Bundespräsident Horst Köhler haben wir erfreulicherweise schon auf unserer Seite. Er hat nämlich erklärt, es gebe keinen Spielraum für Steuersenkungen. Ich finde, da Sie sich so gerne auf den Bundespräsidenten berufen, sollten Sie diese Aussage von ihm ernst nehmen.
(Beifall bei der LINKEN Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Die Finanztransaktionsteuer will er auch haben!)
Um die aktuellen und langfristigen Probleme in unserem Land zu lösen, müssen wir endlich diejenigen zur Kasse bitten, die uns die Krise eingebrockt haben, an der Krise verdient haben und jetzt schon wieder im Kasino zocken. Wir von der Linken wollen Mehreinnahmen. Mit diesen Mehreinnahmen wollen wir eine stabile Finanzausstattung der Kommunen schaffen und diese langfristig sichern. Denn das Leben in den Kommunen ist konkret: Es geht um Schulen, es geht um Schwimmbäder, es geht um Bibliotheken, es geht um Theater. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ein reiches Land wie Deutschland auf all dies verzichten bzw. die kulturelle Landschaft ausdünnen will.
Meine Damen und Herren, der SPD-Antrag enthält viele Forderungen, die wir von der Linken mittragen können. Doch der Schirm, den Sie konzipiert haben, ist leider ein bisschen zu klein. Wir brauchen einen wirklich verlässlichen Rettungsschirm für die Kommunen. Vielen Dank.(Beifall bei der LINKEN)
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