Die Rückkehr der ''Angebotsidioten''
oder: ''Wenn die Nacht am schwärzesten ist, ist der Morgen schon wieder nah'' (H.W. Sinn)
Für eine kurze Zeit schien es so zu sein, als hätten die neoklassischen oder angebotsorientierten Ökonomen nach der Finanzmarkt- und Bankenkrise nichts mehr zu sagen. Zumindest hielten sie sich bei der Verteidigung ihrer in die Kritik geratenen Theorien einigermaßen zurück.
Eine Ausnahme machte Hans-Werner Sinn mit seinem Buch "Kasino-Kapitalismus" (Berlin 2009), in dem er die Finanzspekulation und das Politikversagen bei der Regulierung der Finanzmärkte scharf kritisierte, aber zugleich seine strategische Option für Deutschland als Niedriglohn-Ökonomie erneuerte.
Die aktuelle Auseinandersetzung um die in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Außenhandels- und Leistungsbilanzsalden innerhalb der Europäischen Währungsunion, also die Debatten um die Verschuldung Griechenlands, Spaniens, Portugals, Irlands und Italiens, und die Ursachen dieser Verschuldung haben die angebotsorientierten Ökonomen aus ihrer Defensive herausgeholt. Dieses Mal geht es um die harte Exportorientierung der deutschen Wirtschaft, die von Frankreich und anderen Ländern der Euro-Zone, aber auch den USA zunehmend offener kritisiert wird.
Da es für Länder mit strukturellen Leistungsbilanzdefiziten in der Finanzmarktkrise zunehmend schwieriger wird, diese Defizite durch entsprechende Kreditaufnahme zu finanzieren, muss die den Finanzmarktblasen unterliegende realwirtschaftliche Basis zunehmender internationaler Ungleichgewichte offen gelegt und thematisiert werden. Die Debatte wurde bereits in den 1980er Jahren geführt, als die USA von Deutschland erwarteten, dass dessen Wirtschaft nicht nur als "Trittbrettfahrer" der Weltkonjunktur fungieren, sondern mit den USA die "Lokomotivfunktion" für die weltwirtschaftliche Entwicklung wahrnehmen sollte.
Die deutsche Politik und Wirtschaft hatten dies abgelehnt. Mit niedrigen Lohnerhöhungen und einer Unterbewertung der DM wurde eine "Beggar my Neighbour"-Politik durchgesetzt, an die nach der Einführung des Euro wieder angeknüpft wurde, als die ökonomischen Turbulenzen der deutschen Einheit halbwegs überwunden waren.
Der strategische Kern dieser Politik waren Lohnzurückhaltung, stärkere Lohnspreizung und die Ausweitung des Niedriglohnsektors, was wiederum zu einer insgesamt stagnierenden inländischen Nachfrage führte. Ein struktureller Exportüberschuss kann mit zwei Methoden abgebaut werden. Entweder die Exporte werden reduziert, was in Deutschland zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird, oder die Importe werden entsprechend erhöht. Am besten werden diese beiden Ansätze miteinander kombiniert, um zu einer ausgeglichenen Außenhandelsbilanz zu kommen.
Der Anstieg der Importe hängt aber direkt an der Entwicklung der Inlandsnachfrage. Diese wiederum basiert zum größten Teil auf der positiven Entwicklung von Arbeits- und Sozialeinkommen, hängt also an der Lohnfrage. Diese zentrale Rolle des Lohns für die Gesamtwirtschaft alarmiert die angebotsorientierten Ökonomen. Deutschland braucht als exportorientierte Wirtschaft die Währungsunion, weil sie eine Ausweitung des Exports ohne Wechselkursrisiken ermöglicht.
Zugleich fährt Deutschland mit seiner überzogenen Exportorientierung diese Währungsunion an die Wand. Diese Diskussion konnte noch verdrängt werden, als es scheinbar nur um Griechenlands gefälschte Wirtschaftsstatistiken und um Griechenlands "faule" Staatsbeschäftigte ging. Wenn aber Frankreich und die USA intervenieren, funktioniert diese Ablenkung nicht mehr.
Jetzt schlägt die Stunde des Angebotsökonomen. Er muss die Kanzel betreten und für niedrige Löhne predigen - was im Übrigen den quasi-religiösen Kern der neoklassischen Doktrin bildet. Spätestens mit der "Allgemeinen Theorie" von Keynes ist diese Botschaft wissenschaftlich widerlegt, aber als Religion erhalten geblieben. Was also schlagen die Angebotsökonomen vor?
Der "Königsweg", so sagt das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), besteht darin, dass sich möglichst viele Arbeitskräfte an der Wertschöpfung beteiligen (Handelsblatt vom 17.3.2010, S. 13). Damit ist wieder die Arbeitsmarktpolitik gefragt. Dem Institut springt Nikolaus Piper von der Süddeutschen Zeitung (20.3.2010, S. 4) zur Seite: "Ein Ausweg aus der EU-Krise heißt Wirtschaftswachstum. Hier liegen die größten Defizite Deutschlands. Es ist zwar nicht möglich, mit Lohnerhöhungen Wachstum zu schaffen, wohl aber mit der Förderung privater Investitionen." Dafür, so Piper, brauche man viele Reformen, die heute nicht populär sind, weil sie als "neoliberal" gelten: ein noch flexiblerer Arbeitsmarkt, Begrenzung der Sozialausgaben usw.
Ähnlich äußert sich Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft in der Financial Times Deutschland vom 19.3. 2010, wobei ihm interessanterweise der englische Chefkolumnist der Financial Times, Martin Wolf, auf der gleichen Seite vehement widerspricht. Das legt den Hinweis nahe, dass es bei diesem Streit nicht nur um den Streit unterschiedlicher Theorien oder Dogmen der Ökonomie, sondern in erster Linie um unterschiedliche nationale Interessen geht.
Das zentrale Argument liefern in dieser Debatte Sinn und Piper. Beide wissen ganz sicher, dass Lohnerhöhungen niemals Wachstum schaffen. Wachstum kommt von privaten Investitionen und diese von niedrigeren Löhnen und niedrigeren Sozialtransfers, also grundsätzlich von der Angebots- und nicht von der Nachfrageseite der Wirtschaft. Andererseits weiß aber zumindest Piper, dass sich die Handelssalden aller Länder in der Weltwirtschaft zu Null addieren. Die Überschüsse der einen sind die Defizite der anderen Länder.
Wie kommt man zu einer ausgleichenden Entwicklung? Antwort: Die Defizitländer sollen dem deutschen Weg folgen, ihre Arbeits- und Sozialkosten senken und dadurch an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Gleichzeitig soll jedoch die bestehende ökonomische Hierarchie in der Euro-Zone weiter fortbestehen - womit sich die ganze Argumentation in eine Paradoxie auflöst.
Wie kann ein solcher Unsinn ernsthaft vorgeschlagen werden? Das ist einfach: Die Angebotsökonomen denken nach wie vor im einfachen Modell des Sayschen Theorems: Das Angebot schafft sich die entsprechende Nachfrage selbst. Dass ein steigendes Angebot an Gütern und Dienstleistungen auf eine zu geringe Nachfrage stößt, kommt in diesem Modell nicht vor.
Ein einzelwirtschaftliches Modell von Kostensenkung wird der Gesamtwirtschaft übergestülpt. Diese funktioniert aber nicht nach diesem einfachen einzelwirtschaftlichen Modell. Es ist schlecht für die Gesamtwirtschaft, dass sie sich den primitiven einzelwirtschaftlichen Modellen der neoklassischen Doktrin nicht beugt.
Die Angebotsökonomen werden sie für ihre makroökonomische Eigenwilligkeit durch schrittweise Zerstörung der Währungsunion schon entsprechend strafen. Dass diese wiederum das Ende des deutschen Exportmodells bedeutet, können diese Ökonomen nicht verstehen, denn Nachfrage kommt in ihrem Denkmodell nicht vor.
Wir wissen aus den praktischen Erfahrungen der letzten Jahre, dass die von den Angebotsökonomen vorgeschlagenen Maßnahmen, die sie jetzt wieder vorschlagen, die überzogene Exportorientierung der deutschen Wirtschaft verstärkt und damit die EU-Krise verursacht haben.
Die Angebotsökonomen präsentieren Ratschläge auf folgenden Niveau: Wenn wir von fünf Maß Bier besoffen sind, müssen wir uns mit weiteren fünf Maß wieder nüchtern saufen. Darum sollten wir statt von Angebotsökonomie von "Angebotsidiotie" sprechen, denn ständiges Saufen macht in der Tat blöd.
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