Interview der Woche mit Axel Troost und Kathrin Kunert: Kommunalfinanzen: Lösung jetzt, oder es droht der große Crash
Der finanzpolitische Sprecher und die kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE zeichnen Wege aus der Finanzkrise der Kommunen auf.
In diesem Jahr droht den Kommunen in Deutschland ein Rekorddefizit von rund 15 Milliarden Euro. Worin liegen die Ursachen, und was ist momentan das größte Problem der Kommunen?
Katrin Kunert: Kommunen haben ein Einnahme- und ein Ausgabeproblem. Die Verantwortung für dieses Rekorddefizit tragen in erster Linie Bund und Länder. Seit Jahren übertragen sie den Kommunen immer mehr Aufgaben, ohne dass sie eine angemessene Finanzausstattung für die Erfüllung dieser Aufgaben gewährleisten - ein Missstand, der durch die Wirtschafts- und Finanzkrise ein bedrohliches Ausmaß annimmt. Die Folge ist, dass freiwillige Leistungen wie beispielsweise bei Bus und Bahn, in Kinder- und Jugendeinrichtungen immer mehr gestrichen und nur noch per Gesetz vorgeschriebene Aufgaben erfüllt werden – und die in immer minderer Qualität. Also alles, was kommunale Selbstverwaltung und die Lebensqualität in den Städten und Gemeinden ausmacht, wird den Bürgerinnen und Bürgern verwehrt.
Axel Troost: Die Kommunen befinden sich in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik. Eine Hauptursache für diese prekäre Lage ist eine Steuersenkungspolitik seit nunmehr gut zehn Jahren. Sie hat begonnen unter SPD und Grünen, wurde von Union und SPD und jetzt von Union und FDP fortgesetzt. Eine gigantische Umverteilung von unten nach oben und Milliarden an Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand sind die Folge. Trotz dieser Misere wälzen Bund und Länder weiter Aufgaben und Lasten auf die Kommunen ab. Die Steuergeschenke der schwarz-gelben Regierung werden zu einem erheblichen Teil die Kommunen aufbringen müssen, denen schon jetzt die Luft zum Atmen fehlt.
In vielen Kommunen sind Arbeitsplätze, Kindertagesstätten, Schwimmbäder und Museen gefährdet. Stehen die Kommunen vor dem Kollaps?
Katrin Kunert: Die Krise ist längst in allen Kommunen angekommen. Auch wenn nicht alle Kommunen gleichermaßen davon betroffen sind, gibt es sehr viele Kommunen, die vor dem Kollaps stehen. Es sind vor allem arme Kommunen. Diese Kommunen sind seit Jahren hoch verschuldet, und sie haben die höchsten Sozialausgaben. Sie sind nicht mehr in der Lage, allein aus dieser Situation herauszukommen. Allein in Nordrhein-Westfalen betrifft das ein Drittel aller Kommunen. Daher setzt sich DIE LINKE auch für die Einrichtung eines Entschuldungsfonds für diese Kommunen ein.
Inwiefern bedrohen die klammen Finanzen der Kommunen die Demokratie?
Axel Troost: Die gravierende Finanzsituation der Kommunen gefährdet die soziale Teilhabe vieler Bürgerinnen und Bürger am Gemeinwesen. Wenn angesichts fehlender Mittel beispielsweise in Kindertagesstätten die Gebühren erhöht oder Jugendeinrichtungen geschlossen werden, geht das zu Lasten der Zukunftsperspektiven von sozial Schwächeren, die auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen sind. Für viele Menschen verringern sich hierdurch die Möglichkeiten, am kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt und aktiv teilzunehmen.
DIE LINKE fordert in einem Antrag „die Verstetigung der Kommunalfinanzen“ und will „die Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln“. Was genau beinhaltet dieser Gesetzentwurf, und was bezwecken Sie damit?
Axel Troost: Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen und erbringt vielerorts 40 Prozent der kommunalen Steuereinnahmen. Mit unserem Konzept einer Gemeindewirtschaftsteuer verfolgen wir das Ziel, die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht nur zu erhöhen, sondern auch verlässlicher zu gestalten. Hierzu ist die Bemessungsgrundlage auszuweiten sowie alle Schuldzinsen und Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten und Leasingraten voll mit einzubeziehen. Des weiteren sollen auch freiberuflich Tätige sowie freie Berufe – bei hinreichenden Freigrenzen - die Gewerbesteuer zahlen. Denn warum sollten etwa Ärzte oder Rechtsanwälte von der Gewerbesteuer ausgenommen sein, obwohl sie die Infrastruktur der Kommunen nutzen und hiervon profitieren?
Wie positionieren sich die anderen Fraktionen im Bundestag zu Ihren Forderungen?
Katrin Kunert: Die Regierungsfraktionen lehnen unseren Vorschlag ab. Die FDP ist für die Abschaffung der Gewerbesteuer. Sie soll durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatzrecht ersetzt werden. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt zwar die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer ab, setzt sich aber nicht offensiv für die Abschaffung der Gewerbesteuer ein. Immerhin hatte Frau Merkel den über 1000 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages im Jahr 2009 versprochen, nicht an der Gewerbesteuer zu rütteln. Bündnis 90/Die Grünen und SPD teilen im Großen und Ganzen unsere Auffassung, sind allerdings gegen die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage.
Welche weiteren Maßnahmen sollte die Bundesregierung ergreifen, um den Kommunen zu helfen?
Axel Troost: Die Kommunen müssen unbedingt bei den Sozialausgaben entlastet werden. Der Bund muss sich an der Finanzierung der Kosten der Unterkunft, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie der Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen und der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz für Kinder unter drei Jahren mit einem weitaus höheren Anteil beteiligen. Bei Ausgabesteigerungen der Kommunen muss natürlich auch der Bundesanteil entsprechend erhöht werden. Weitere Maßnahmen wären die Rücknahme der Unternehmenssteuersenkungen, die zu Mindereinnahmen der Kommunen geführt haben, und der Verzicht auf weitere Steuersenkungen.
Wie können die Kommunen wirksam auf die Bundesregierung einwirken?
Katrin Kunert: Kommunen brauchen ein verbindliches und einklagbares Mitwirkungsrecht im Gesetzgebungsprozess des Bundes. Auf diese Weise können sie direkt auf die Bundesregierung einwirken. Nur so kann auch verhindert werden, dass Entscheidungen des Bundes weiter zu finanziellen Lasten der Kommunen gefällt werden. Diese Mitwirkung muss an ein transparentes und für alle – auch für Bürgerinnen und Bürger – nachvollziehbares Verfahren gekoppelt sein. Die Öffentlichkeit muss erfahren, wer, wann, warum welche Entscheidung getroffen hat. Die bisher fehlende Transparenz schützt die wahren Verursacher der Finanzkrise der Kommunen.
Wie kann die Fraktion DIE LINKE den Protest von vielen Bürgerinitiativen gegen die Kürzungspläne in den Kommunen unterstützen?
Axel Troost: Die Bundestagsfraktion DIE LINKE tut dies bereits in vielfältiger Weise. Wir sind im direkten Austausch mit kommunalen Mandatsträgerinnen, Mandatsträgern und Bürgermeistern sowie mit Verbänden, Organisationen und Initiativen. Erst vor kurzem haben wir unter dem Titel »Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung – Ohne Moos nix los!« eine bundesweite Kommunalkonferenz mit mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Darüber hinaus haben wir eine Plattform gebildet, um den umfassenden Informationsaustausch und die Vernetzung der Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu praktizieren. Nur wenn wir gemeinsam agieren, können wir den Druck auf die Bundesregierung erhöhen und die Spielräume für eine nachhaltige Finanzausstattung der Kommunen entscheidend erweitern.
Katrin Kunert: Leider halten sich die Proteste der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen noch in Grenzen. Ich wünschte mir, dass es in allen Kommunen Proteste gibt, die sich gegen die kommunalfeindliche Politik von Bund und Ländern richten. Und ich wünschte mir eine Solidarität der Kommunen untereinander – egal ob reich oder arm – im Kampf für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen. Was wir brauchen, sind breite Bündnisse. Der Druck auf die Bundesregierung muss erhöht werden. Entweder werden in diesem Jahr Entscheidungen zur Lösung der Kommunalfinanzkrise getroffen, oder es kommt spätestens in zwei oder drei Jahren zum großen Crash.
Interview: Ruben Lehnert
linksfraktion.de, 24. Mai 2010
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Lesen Sie hierzu auch den Antrag der Linksfraktion:
"Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit von Städten, Gemeinden und Landkreisen Drucksache, 17/1744"
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