Weil die Krise System hat
Das Bankentribunal – ein Zivilgesellschaftsprozess mit Lerneffekten
»Jemand muss es tun«. So lautete einer der beiden Untertitel des Bankentribunals, das Attac-Deutschland und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz vom 9. bis 11. April in Berlin veranstalteten. »Weil die Krise System hat« war der zweite.
Mit dem durchaus kontroversen Instrument eines öffentlichen Tribunals sollten ein Wochenende lang die Ursachen und Verantwortlichen der Finanz- und Wirtschaftskrise benannt, ihre Rolle bewertet und Schlussfolgerungen und Alternativen aufgezeigt werden. Und dass nicht zuletzt, weil offensichtlich andere Institutionen, wie die Politik und die Justiz, diese Aufgabe bislang nicht geleistet haben.
Das zweifellos ambitionierte Programm forderte nicht nur den Organisatoren und den beteiligten Anklägern, Richtern, Verteidigern und Zeugen eine hohe Ausdauer ab, sondern sie nahm auch das Publikum erheblich in die Pflicht. Von der Eröffnung der »Hauptverhandlung« des Tribunals am Sonnabendmorgen bis zum Ende der Plädoyers von Anklage und Verteidigung am Abend vergingen zwölf Stunden. Zwölf Stunden, in denen ein höchst gespanntes und interessiertes Publikum den nicht immer einfachen Ausführungen über Verbriefungen, Finanzaufsichtsbehörden, Liquiditätsberichte, Steuergesetze und Bankenrettungspläne lauschte. Das Publikum war vielleicht eine der bemerkenswertesten Überraschungen des Tribunals. Nicht nur, dass die Karten schon Ende März ausverkauft waren. Auch die Geduld und das Sitzfleisch der ca. tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten deutlich, dass die etwas andere Aktionsform Tribunal eine große Anziehungskraft hat.
Das kann aber nicht daran gelegen haben, dass die Teilnehmer mit einem persönlichen Erscheinen der Angeklagten (Gerhard Schröder, Angela Merkel, Peer Steinbrück, Joseph Ackermann, Hans Tietmeyer und Axel Weber) gerechnet hätten. Vergnügt stellten die Teilnehmer/innen stattdessen fest, dass – einem um Fairness bemühten Verfahren entsprechend – Pflichtverteidiger gestellt wurden. Neben den Zeugen waren es gerade diese Verteidiger, die der Veranstaltung ihre Spannung gaben. Henner Wolter leistete als Pflichtverteidiger der Regierungen Schröder und Merkel gute Arbeit, auch wenn ihm gelegentlich ein schelmisches Grinsen anzusehen war. Am meisten überzeugt hat zweifellos Wolfgang Kaden, früher Chefredakteur von Spiegel und Manager-Magazin. Seine Verteidigung führte die Anklage öfter aufs Glatteis, als er zum Beispiel klare Belege für die sich vermeintlich wieder entwickelnden Blasen auf den Finanzmärkten forderte, die Anklage diese aber schuldig blieb. Seine Verteidigung von Josef Ackermann leistete einen besonders wichtigen Beitrag, denn sie machte die unerträgliche Kluft deutlich, die zwischen der im Saal spürbaren Empörung über das Gebaren der Deutschen Bank einerseits und der zumeist formal-juristischen Legalität dieses Handeln andererseits herrscht.
Damit ist eine Frage angesprochen, die die Beweisaufnahme am Sonnabend wesentlich bestimmte: Sind Banker wie Joseph Ackermann persönlich schuld an der Finanzkrise? Oder sind sie letztlich nur Charaktermasken und besonders prominente Hamster im Laufrad des Kapitalismus?
Die Jury wollte die Sachzwänge eines »Systems« jedenfalls nicht pauschal gelten lassen: »Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur ›Getriebene der Märkte‹.« Vielmehr trage Ackermann, schon wegen der Größe der Deutschen Bank, eine »gesamtwirtschaftliche Verantwortung«, die er nicht wahrgenommen habe.
Über dieses Verständnis von Verantwortung lässt sich trefflich streiten. Denn wer Bankern diese Verantwortung zuschreibt, erkennt damit im Umkehrschluss an, dass private Banken legitimerweise gesamtwirtschaftliche Funktionen übernehmen, ohne dafür einer demokratischen Legitimation durch die Gesellschaft zu bedürfen.
Weniger umstritten ist wohl die Bewertung des Politikversagens. So wurde die rot-grüne Regierung Schröder wegen der für die Finanzkrise ursächlichen Umverteilungspolitik von Unten nach Oben verurteilt, durch die die Blasen an den Finanzmärkten überhaupt diese Größenordnung annehmen konnten. Und zusammen mit der Großen Koalition wurde Rot-Grün wegen fortgesetzter Deregulierung und unzureichender Sorgfalt bei der Beobachtung und Beaufsichtigung der Finanzmärkte verurteilt.
Auf der Anklagebank saß noch ein weiterer Herr, dessen Rolle und Selbstverständnis ich bereits im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Hypo-Real-Estate im vergangenen Jahr näher kennenlernen durfte und musste: Hans Tietmeyer, ehemaliger Bundesbankpräsident, ehemaliger Aufsichtsrat der HRE und immer noch Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative »Neue soziale Marktwirtschaft« (INSM). Bei der Beweisaufnahme zu Tietmeyer zeigte sich einmal mehr die Chance, die in dem Format Bankentribunal steckt. Denn in kaum einer anderen Veranstaltungsform sind in so kurzer Zeit so viele Sachverhalte im Zusammenhang dargestellt worden. Von Tietmeyers Funktion als Zentralbanker über seinen gänzlich verunglückten »Seitenwechsel« in die Privatwirtschaft bis hin zu seine Rolle als Mentor der Gehirnwaschmaschine INSM, gesteuert durch die Arbeitgeberverbände.
Und: Die Zusammenhänge wurden nicht nur dargestellt, sie wurden von sehr vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch als wichtige Information aufgenommen und verstanden. Am Schluss des Tribunals gab es zahlreiche Stimmen, die diesen Lerneffekt besonders betont haben.
Hier liegt zugleich eine zentrale Herausforderung: Das Verständnis der Krise ist umso tiefer, leichter und spannender, je genauer man konkrete Abläufe im Detail rekonstruieren und als gelebte Geschichte erzählen kann. Dazu müssen aber noch sehr viele Abläufe überhaupt ans Licht kommen und aufgeklärt werden. Der HRE-Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass sich durchaus einiges aufklären lässt. Vielleicht auch deshalb hat die Jury das Parlament dazu verurteilt, die Krise endlich in einer umfassenden parlamentarischen Untersuchung aufzuarbeiten. Diese Forderung tragen wir nur allzu gerne in den Deutschen Bundestag.
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Dr. Axel Troost ist Mitglied des Parteivorstandes und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.
Quelle: DISPUT Online 5/2010
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