Finanztransaktionssteuer jetzt!

Von Rudolf Hickel

01.06.2010 / (aus: »Blätter« 6/2010, Seite 13-16)


Der koordinierte Angriff auf den Euro hat erneut deutlich gemacht, zu welch kapitalem Problem die globale Spekulation inzwischen geworden ist. Dennoch scheint die deutsche Politik weiterhin unwillig, eine wirksame Finanztransaktionssteuer im nationalen Rahmen einzuführen, wie die Bundeskanzlerin Mitte Mai auf dem DGB-Kongress noch einmal betonte. Noch ist daher keineswegs ausgemacht, allen wohlfeilen Willensbekundungen der Parteien zum Trotz, ob und wann diese Steuer letztlich kommen wird.

Dabei ist die Idee einer Besteuerung spekulativen Handels mit Finanzvermögen keineswegs neu. John Maynard Keynes hatte als Erster systematisch die Triebkräfte und Folgen der Spekulation analysiert. Im Rahmen seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ aus dem Jahre 1936 schlug er eine Besteuerung der Aktienumsätze vor. Und 1978 forderte James Tobin eine Besteuerung des Devisenhandels mit dem Ziel, „Sand in das Getriebe“ dieses Handels mit spekulativen Finanzmarktprodukten zu streuen. Die nach ihm benannte Tobin-Tax wurde später zur Kernforderung von Attac.

Allen Forderungen nach Einführung einer derartigen Steuer wurde jedoch stets das Argument, sie sei national nicht machbar, entgegenhalten. Nur global könne das Problem bewältigt werden – eine perfekte Verhinderungsstrategie. [1] Dabei stellt bereits heute die britische „Stamp Duty“ (Stempelsteuer) mit 0,5 Prozent auf den Nennwert gehandelter Aktien einen prominenten Beleg für die Machbarkeit einer nationalen Besteuerung von Spekulationsgeschäften dar. 2006 beliefen sich die Einnahmen immerhin auf über 3,8 Mrd. britische Pfund – ein Beweis dafür, dass ein nationaler Alleingang eines dennoch starken Finanzplatzes möglich ist. (In Deutschland dagegen, horribile dictu, wurde die 1948 eingeführte Steuer auf Börsenumsätze 1991 wieder abgeschafft.)

Produktionswirtschaft unter Druck

Im Unterschied zur Besteuerung nur spezieller Finanzvermögen (Aktien, Devisen) geht die Finanztransaktionssteuer einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie alle auf den Finanzmärkten gehandelten Vermögenswerte einbezieht.

Für die Einführung einer derartigen Steuer sprechen folgende, seit Ende der 90er Jahre zu beobachtende Trends: Das Volumen der globalen Finanztransaktionen war zu Beginn der jüngsten Finanzkrise rund 75 Mal größer als das Welt-Bruttoinlandsprodukt, 1990 dagegen nur um das 15fache. Dabei wurden die vorwiegend spekulativ eingesetzten Derivatgeschäfte – und hier insbesondere der Handel mit Futures und Optionen – zur Triebkraft dieser relativen Entkoppelung der Finanzmärkte von der Produktionswirtschaft. [2]

Die Basis für diese dramatische Machtverschiebung bildet die gigantische weltweite Liquidität, die auch Ergebnis der langjährigen Umverteilung zugunsten der Kapitalgewinne und zu Lasten der Arbeitseinkommen ist. Der Anteil der rein spekulativen Geschäfte mit Finanzaktiva am Gesamtvolumen des Handels hat auf diese Weise massiv zugenommen. Das gilt für den Devisenhandel (bezogen auf den Welthandel), den Aktienhandel (gegenüber den unternehmerischen Sachinvestitionen) sowie den Handel mit Zinsinstrumenten (gegenüber den Sachinvestitionen).

Durch diese von der Produktionswirtschaft abgekoppelten, vor allem kurzfristig ausgerichteten Transaktionen auf den Finanzmärkten nehmen die erratischen Schwankungen (beispielsweise der Wechselkurse für Devisen sowie der Aktienkurse) über die übliche Volatilität hinaus massiv zu. Am Ende belasten diese konzentrierten Spekulationen mit Finanzmarkttiteln die globale Gesamtwirtschaft.

Dabei lassen sich mehrere Kanäle identifizieren: Durch nicht kalkulierbare exzessive Preisschwankungen werden falsche, hochgradig irrationale Preissignale gesetzt. So wird etwa die Marktpreisbildung durch gezielte Leerverkäufe auf den Aktienbörsen torpediert und damit auf den Märkten systematisch Unsicherheit erzeugt. Schließlich wächst durch die exzessiven Spekulationsgeschäfte mit teilweise unseriösen Instrumenten ein Krisenpotential heran, das bei einem Zusammenbruch der Finanzmärkte schwere Folgen für die öffentlichen Haushalte hat. Nicht zuletzt wegen dieser Folgen müssen die Spekulationsgeschäfte auf ihren rationalen Kern reduziert werden. Es geht darum, optimale Rahmenbedingungen des Wirtschaftens unter Ausschluss erratischer Preissprünge auf den Finanzmärkten herzustellen.

Hierbei stellt sich das methodisch schwer lösbare Problem, die ökonomisch verselbstständigten Spekulationsgeschäfte von den gesamtwirtschaftlich sinnvollen Aktivitäten zu separieren. John Maynard Keynes hat diese Aufgabe (leider auch nur abstrakt-bildlich) beschrieben: „Spekulanten mögen als Seifenblasen auf einem steten Strom des Unternehmertums keinen Schaden anrichten. Aber die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum die Seifenblase auf einem Strudel von Spekulationen wird. Wenn die Kapitalenwicklung eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird, wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden." [3]

Die Doppelfunktion der Finanztransaktionssteuer

Ein wichtiges Instrument zur Reduzierung des Spekulationswahns ist die Finanztransaktionssteuer (FTT). Sie verfolgt zwei Zwecke: die Lenkung der Transaktionen und die Erzielung von zusätzlichen Staatseinnahmen. Vergleichbar mit der Ökosteuer rangiert dabei in seiner Bedeutung der Lenkungseffekt vor dem erwarteten Finanzierungseffekt.

Die Lenkungsfunktion der FTT setzt auf eine Verteuerung der Spekulationsgeschäfte. Erwartet wird, dass durch den staatlich verordneten Preis das Volumen der Spekulationsgeschäfte zurückgeht. Vor allem die auf kurzfristige Profitabilität ausgerichteten Spekulationsgeschäfte sollen auf diese Weise eingeschränkt werden.

Bei der Finanzierungsfunktion steht dagegen das Ziel der öffentlichen Einnahmeerzielung im Vordergrund. Die Ergiebigkeit wird wiederum durch das Ausmaß der Einschränkung von Spekulationsgeschäften infolge der Steuer selbst beeinflusst. Man spricht hier von der Umsatz-Steuerelastizität. Alle vorliegenden Vorschläge zu einer FTT gehen, auch aus Vorsicht vor einer zu starken Belastung der Spekulationsgeschäfte, von einem vergleichsweise niedrigen Steuersatz aus. Denn je höher die Steuer ist, umso deutlicher wird der Rückgang der Besteuerungsbasis sein.

Besteuert werden die Käufe und Verkäufe von an Börsen und außerbörslich gehandelten Währungen und Wertpapieren. Wichtig ist dabei die Berücksichtigung aller Instrumente auf den Finanzmärkten: Aktien und alle Arten von Wertpapieren, beispielsweise Anleihen, Schatzbriefe, Zertifikate, vor allem Derivate. Da es um die Besteuerung des Sekundärhandels geht, werden dagegen Erstemissionen (Primärmarkt), also die Platzierung von Finanzmarktiteln, nicht besteuert. Der alltägliche Zahlungsverkehr sowie das Kreditwesen sind ebenfalls nicht betroffen. Das gilt auch für die Geschäfte am Interbankenmarkt sowie für die Refinanzierungsgeschäfte mit der Zentralbank.

Ökonomisch sinnvoll ist ein für alle Arten von Finanzaktiva allgemeiner einheitlicher Steuersatz. Damit sollen ansonsten mögliche Substitutionsgeschäfte ausgeschlossen werden. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Modellrechnungen sollte mit einem Steuersatz von 0,01 Prozent begonnen werden. Die Steuerlast wird vom Käufer und Verkäufer hälftig getragen (in diesem Fall also jeweils 0,005 Prozent).

Die Ergiebigkeit der Steuer hängt maßgeblich von den Anpassungsreaktionen im Zuge der besteuerten Spekulationsgeschäfte ab. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) hat, unter der Annahme schwacher, mittlerer und hoher Rückgänge von Spekulationsgeschäften infolge der Besteuerung, die Einnahmen geschätzt. Bei dem vorgeschlagenen Steuersatz von 0,01 Prozent und einem mittleren Rückgang des Transaktionsvolumens ist mit Steuereinnahmen von 0,49 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der Bundesrepublik zu rechnen. Das wären in Deutschland mehr als 12 Mrd. Euro, fürwahr keine Kleinigkeit.

Allerdings muss durch valide Erfassungs- und Kontrollsysteme sowie durch eine ernsthafte Bekämpfung von Steuerhinterziehung dafür gesorgt werden, dass die FTT auch wirklich bezahlt wird. Die erforderlichen zentralen Informationssysteme für den Wertpapier- und Devisenhandel liegen bereits vor. Genutzt werden kann das elektronische Handelssystem (electronic broking). Auch Zahlungsverkehrssysteme, an denen die Banken großes Interesse haben, lassen sich einbeziehen.

Der intensiv entwickelte Nachrichtenaustausch, den die internationale Genossenschaft der Geldinstitute SWIFT für Transaktionen zwischen Banken, Brokerhäusern, Börsen und anderen Finanzinstituten zur Verfügung stellt, bietet eine vorzügliche Voraussetzung für die Verwirklichung der FTT. Darüber hinaus wäre zu überprüfen, inwieweit zukünftig alle Finanzmarktgeschäfte mit einem elektronischen Code zu versehen sind.

Deutschland als Vorreiter

Zweifellos wäre eine Einführung der FTT in allen Ländern mit relevanten Finanzmarktplätzen, wie sie auch auf den beiden letzten G 20-Gipfeln gefordert wurde, jeder nationalstaatlichen Regelung überlegen. Die hier vorgeschlagene FTT lässt sich jedoch auch separat in der Bundesrepublik einführen. Eine derartige Vorreiterrolle Deutschlands wäre schon deshalb geboten, um damit auch Druck auf eine einheitliche Lösung in der EU auszuüben.

Die oft gegen die FTT ins Felde geführte Bankenabgabe ist dagegen weder von der Zielsetzung, noch von ihrer Wirkung her mit der FTT vergleichbar. Sie ersetzt diese nicht, sondern setzt auf die Finanzierung eines Quasi-Versicherungsfonds (für und durch alle Banken, ohne Versicherungen). Insofern bietet sie keinen Anreiz zur Vermeidung eines Bankenzusammenbruchs durch den Einsatz hochgradig gefährlicher Spekulationsgeschäfte, im Gegenteil: Sie öffnet dem Moral-Hazard-Verhalten Tür und Tor, getreu dem Motto: Wenn es schiefgeht, dann steht der Fonds zur Verfügung.

Das geplante Abgabevolumen von 1,2 Mrd. Euro in der Anfangsphase ist zudem, gemessen schon an den derzeitigen Kosten zur Rettung des Bankensystems, viel zu gering. Außerdem wäre diese Abgabe ungerecht, führte sie doch zu einer Bestrafung der für das aktuelle Systemrisiko nicht verantwortlichen Volks- und Raiffeisenbanken sowie einiger Landesbanken. (Geplant sind etwa 300 Mio. Euro an Bankenabgabe, die unter anderem durch die Volksbanken und die Sparkassen aufgebracht werden sollen. Deren risikominimierendes Geschäftsmodell würde dadurch bestraft.)

Bei alledem muss klar sein, dass die FTT kein Allheilmittel zur Lösung der internationalen Finanzkrise ist. Sie muss vielmehr durch Regulierungsmaßnahmen wie Verbote bzw. Einschränkungen von Spekulationsinstrumenten ergänzt werden. Die FTT und die Regulierungen auf den Finanzmärkten zielen in unterschiedlicher Weise darauf ab, risikoaggressive Spekulationsgeschäfte zu verteuern und zumindest einzuschränken, ja zu verbieten. Deshalb lassen sich die beiden Lenkungssysteme auch nicht gegeneinander ausspielen, sie müssen vielmehr miteinander kombiniert werden.

Die FTT lenkt über den politischen Preis für Finanzmarktgeschäfte und setzt auf eine Reduktion der Handelsumsätze. Dagegen ist es das Ziel der Finanzmarktregulierung, die bedrohlichsten Instrumente der Spekulation zu verbieten bzw. einzuschränken. Dazu zählen die Leerverkäufe, die Kreditversicherungen ohne Bezug zu Kreditgeschäften (CDS) sowie die Verbriefungsgeschäfte, bei denen sich die Gläubigerbank der Eigenkapitalvorsorge entzieht (CDO). Über diese Mengenregulierung durch Einschränkungen und Verbote von Spekulationsgeschäften schrumpft zwar die Bemessungsgrundlage für die Finanztransaktionssteuer. Allerdings wird damit – schon vor der Besteuerung – der Lenkungszweck direkt erreicht, den auch die FTT verfolgt, nämlich die überschießenden Spekulationsgeschäfte zurückzuschneiden.

Nicht die Erzielung von Einnahmen aus der FTT, sondern dieser Lenkungszweck ist entscheidend. Der Spekulation klare Grenzen zu setzen – darauf kommt in der gegenwärtigen globalen Krise alles an, so wir denn in Zukunft sicher wirtschaften wollen.

[1] Vgl. hierzu Wieslaw Jurczenko, Nebelkerzen im Finanzkasino, in: „Blätter“, 4/2010, S. 9-12.

[2] Zu den Berechnungen vgl. die bisher einzigartige Untersuchung von Stephan Schulmeister, Margit Schratzenstaller und Oliver Picek, A General Financial Transaction Tax – Motives, Revenues, Feasibility and Effects, Wien 2008.

[3] John Maynard Keynes, Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 102006 [Orig. 1936], S. 135.