Jobwunder?

Arbeitsmarkt – die Lage & Perspektiven

02.08.2010 / Redaktion Sozialismus,

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juli 2010 saisonbereinigt um 20.000 gesunken. Unbereinigt stieg die Arbeitslosenzahl um 39.000 auf 3,2 Mio. Die Arbeitslosenquote nahm gegenüber Juni um 0,1 Punkte auf 7,6% zu. Vor einem Jahr hatte sie bei 8,2% gelegen. Am Arbeitsmarkt zeigt sich weiterhin eine positive Entwicklung der Erwerbstätigkeit. Im Juni 2010 waren nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 40,3 Mio. Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig.

Das waren 131.000 Personen oder 0,3% mehr als im Juni 2009. Im Mai 2010 hatte die Zahl der Erwerbstätigen mit einem Zuwachs um 0,2% erstmals seit zwölf Monaten wieder über dem Vorjahresergebnis gelegen. Gleichzeitig verliert die Kurzarbeitweiter an Bedeutung. Nach vorläufigen Daten sei im Mai an 481.000 Arbeitnehmer konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt worden. Für den April 2010 wurden auf Basis dieses Verfahrens noch hochgerechnet 589.000 und für den Mai 2009 1.443.000 konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt.

Die offizielle Arbeitslosenstatistik unterzeichnet allerdings die tatsächliche Arbeitslosigkeit erheblich. Berücksichtigt man die Menschen, die älter als 58 Jahre sind und ALG I oder II beziehen, die Ein-Euro-JobberInnen und die Arbeitslosen, die sich in den diversen Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesanstalt befinden, sind 4,33 Mio. Menschen arbeitslos. Außerdem gibt es etwa 1. Mio. Menschen, die Arbeit suchen, aber nicht als Arbeitssuchende bei der BA registriert sind.

Hinzu kommt, dass sich die Strukturen des Arbeitsmarkts im Krisenprozess noch einmal deutlich verändert haben. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 2009 gegenüber 2008 um 78.000 auf 27,4 Mio. gesunken. Während dabei die Zahl der Vollzeitbeschäftigten um 277.000 zurückgegangen ist, hat die Teilzeitbeschäftigung um knapp 200.000 zugenommen. Diese Tendenz setzt sich auch unter den Bedingungen eines moderaten wirtschaftlichen Erholungsprozesses fort. So gab es im Mai zwar erstmals seit Monaten wieder eine leichte Zunahme der Vollzeitbeschäftigten um 20.000, wesentlich deutlicher stieg jedoch im Vorjahresvergleich mit 180.000 die Zahl der Lohnabhängigen, die teilzeitbeschäftigt sind.

Gleichzeitig ist im Krisenprozess ist die Zahl der atypisch Beschäftigten (Daten aus dem Mikrozensus) leicht zurückgegangen und hat sich 2009 gegenüber 2008 um 130.000 Personen auf rund 7,6 Mio. Personen verringert. Dieser Rückgang um 1,7% ist vor allem auf den Abbau befristeter Beschäftigung und von Zeitarbeitsverhältnissen zurückzuführen.

Zu den atypischen Beschäftigungsformen werden – im Unterschied zum Normalarbeitsverhältnis – befristete und geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit bis zu 20 Wochenstunden sowie Zeitarbeit gezählt. Die negativen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise spürten vor allem ZeitarbeitnehmerInnen und befristet Beschäftigte. Die Zahl der ZeitarbeitnehmerInnen ging 2009 um 8,5% auf 560.000 zurück, die der befristet Beschäftigten sank um 3,3% auf gut 2,6 Mio.. Vor allem Zeitarbeit und befristete Beschäftigung wurden also von den Unternehmen als Mittel genutzt, flexibel auf den wirtschaftlichen Einbruch zu reagieren.

Dieser Rückgang der atypischen Beschäftigung war fast ausschließlich auf die Entwicklung im Produzierenden Gewerbe und bei den Unternehmensdienstleistungen (unter anderem Zeitarbeitsunternehmen) zurückzuführen, die zusammen ein Minus von 190.000 zu verzeichnen hatten. Im Bereich der öffentlichen und privaten Dienstleistungen stieg dagegen sowohl die Zahl der Normalarbeitnehmer (+ 141.000) als auch die der atypisch Beschäftigten (+ 31.000) an.

In der aktuellen wirtschaftlichen Aufschwungphase setzt sich der Prekarisierungsprozess der Lohnarbeit beschleunigt fort. Die Zahl der Personen in atypischen Beschäftigungsformen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. 1999 waren 19,7% aller ArbeitnehmerInnen in atypischen Beschäftigungsformen beschäftigt. Bis 2009 ist ihre Zahl um 1,8 Mio. Personen auf 7,6 Mio. angestiegen. Der Anteil hat sich damit im Jahr 2009 auf 24,8% aller Lohnabhängigen erhöht.

Zeitarbeit und befristete Beschäftigung erleben gegenwärtig einen regelrechten Boom. So ist die Zahl der ZeitarbeiterInnen im Mai um 154.000 oder 30,3% gestiegen. Seit Jahresanfang haben sich die Jobangebote in der Leiharbeit mehr als verdoppelt, während die Zahl der übrigen Stellen lediglich um ein Drittel zulegte. Lag der Anteil der Leiharbeit an allen neu gemeldeten offenen Stellen im Januar noch bei 26%, stieg er bis einschließlich Juni auf 35%. Im Gesamtbestand der bei der BA registrierten Stellenangebote machte die Leiharbeit im Juni knapp 31% aus.

Brüderles "Visionen" oder: Alles gut?

Die relativ stabile Situation am Arbeitsmarkt sorgt wie die wirtschaftliche Erholung insgesamt für gute Stimmung bei der politischen Klasse – vor allem bei den schwarz-gelben Koalitionären, die sich "Aufschwung" aus dem Tal der Umfragen-Tränen erhoffen. Die Steuereinnahmen gehen weniger als befürchtet zurück und auch die Arbeitsmarktsituation trägt zur Entlastung des Bundeshaushalts bei. So hat die BA ihre Prognose für die durchschnittliche Jahresarbeitslosenzahl um 200.000 auf 3,2 Mio. gesenkt. Statt des ursprünglich veranschlagten Bundeszuschusses in Höhe von 15 Mrd. Euro benötige man deshalb am Jahresende nur noch 8,4 Mrd. Euro. Und Wirtschaftsminister Brüderle fabuliert derweil schon mal im Verein mit DIW-Chef Zimmermann von "Vollbeschäftigung". Dabei ist die weitere wirtschaftliche Entwicklung höchst ungewiss.

So hat die konjunkturelle Dynamik nach Einschätzung des DIW im zweiten Quartal 2010 ihren vorläufigen Höchststand erreicht und die Wirtschaftsleistung in den vergangenen drei Monaten um 1,1% zugelegt – das ist ein Spitzenwert im Euroraum. Hinter dem hohen Wachstum steht insbesondere die sehr positive Entwicklung des Außenhandels. Die exportorientierten Industriezweige seien die Hauptgewinner des Aufschwungs. So liege die Produktion in der Automobilindustrie und in der Chemischen Industrie bereits wieder in der Nähe alter Höchststände von vor Beginn der Konjunkturkrise 2008. Auch der Maschinenbau konnte im Vergleich zum Vorjahr einen Gutteil des Einbruchs wieder wettmachen.

Dagegen entwickele sich die inländische Nachfrage trotz der günstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt bisher zurückhaltend. „Der heftige Produktionseinbruch in Deutschland nach dem Ausbruch der Finanzkrise hatte zwar mit dem deutschen Exportmodell zu tun. Dieses ermöglichte aber auch die starke Erholung im Anschluss daran“, sagte DIW-Konjunkturexperte Vladimir Kuzin.

Nach Einschätzung des DIW muss im 2. Halbjahr mit einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums auf 0,5% gerechnet werden. „Zum einen dürfte die boomende Nachfrage nach deutschen Exportgütern etwas nachlassen – ein wesentlicher Teil davon ist nämlich auf Nachholeffekte zurückzuführen“, so Ferdinand Fichtner. „Zum anderen laufen die Konjunkturpakete allmählich aus – das belastet das Wachstum auf kurze Sicht.“

Die wirtschaftlichen Aussichten auf den für die deutsche Wirtschaft wichtigen Absatzmärkten haben sich in den letzten Wochen deutlich eingetrübt. So mehren sich in den USA die Anzeichen für ein stockendes Wachstum. Das US-Konjunkturbarometer ist zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten gefallen. Die US-Notenbank spricht vor diesem Hintergrund von einem „ungewöhnlich unsicheren Wirtschaftsausblick“. Sie bereitet sich nach den Worten ihres Chefs Ben Bernanke darauf vor, die Konjunktur notfalls mit neuen geldpolitische Maßnahmen zu stützen.

Sorgen bereite insbesondere die zögerliche Erholung des Arbeitsmarktes. Im ersten Halbjahr diese Jahres seien weniger neue Jobs geschaffen worden als für eine nachhaltige Erholung notwendig gewesen wäre. „Sehr wahrscheinlich wird es viel Zeit brauchen, die fast 8,5 Millionen Arbeitsplätze wieder aufzubauen, die in 2008 und 2009 verloren gingen“, sagte Bernanke. Dies könne auch dem Konsum schaden. Darüber hinaus sei der Häusermarkt nach wie vor schwach, das Überangebot an Immobilien belaste die Preise. Zudem nannte Bernanke die europäische Schuldenkrise als großen Unsicherheitsfaktor.

Vor dem Hintergrund der sich eintrübenden Weltkonjunktur ist der angekündigte Übergang der schwarz-gelben Bundesregierung zum einer drastischen Austeritätspolitik, bei der vor allem die SozialleistungsempfängerInnen bluten sollen, mehr als fahrlässig. Sie schwächt damit zusätzlich die Binnenkonjunktur, was in der Kombination mit nachlassenden Exporten die Gefahr eines wirtschaftlichen Rückschlags auch für Deutschland massiv verstärkt.