Ehegattensplitting verletzt Gleichheitsgebot

Böckler Impuls 15/2010

11.10.2010

Als verfassungswidrig bewertet eine juristische Expertise das Ehegattensplitting. Denn es benachteiligt ganz überwiegend Frauen. Das Steuerrecht ist geschlechtsneutral formuliert, berufstätige Ehefrauen werden formal nicht anders besteuert als ihre berufstätigen Ehemänner. Doch gerade aus steuerrechtlichen Gründen rechnet sich die Erwerbstätigkeit von verheirateten Müttern oft nicht. Dafür sorgen Ehegattensplitting, Vorschriften über die Lohnsteuerklassen III und V und die eingeschränkte Absetzbarkeit erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten. Das zeigt eine Analyse von Ute Sacksofsky, Jura-Professorin an der Frankfurter Goethe-Universität. Auch wegen steuerrechtlicher Anreize ließen sich Mütter weiterhin auf das Lebensmodell der Hausfrau ein.

Technisch funktioniert das Ehegattensplitting so: Das Einkommen beider Eheleute wird zusammengerechnet. Dann wird die Steuer ermittelt, die auf die Hälfte ihres gemeinsamen Einkommens entfällt. Dieser Betrag wird verdoppelt; das Ergebnis ist die Steuerschuld der Eheleute. Aufgrund des progressiven Steuertarifs mindert das Splitting die Steuerschuld, wenn die Eheleute unterschiedlich viel verdienen. Am größten ist die Differenz zwischen gemeinsam und getrennt veranlagten Paaren, wenn nur ein Partner erwerbstätig ist.

Zur Rechtfertigung des Ehegattensplittings ziehen Juristen Artikel 6 des Grundgesetzes heran, wonach Ehe und Familie nicht benachteiligt werden dürfen. Verheiratete dürfen also in keinem Fall höher besteuert werden als Unverheiratete. Doch müssen sie deshalb finanziell gefördert werden? Ein solches Gebot lasse sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten, wendet Sacksofsky ein. Schließlich fördere das Ehegattensplitting nicht die Ehe als solche, sondern nur jene Ehetypen, in denen ein Einkommensgefälle besteht.

Hinzu kommt: Noch immer ist der Hauptverdiener in der Regel der Mann, so die Juristin. Frauen erledigen dafür weiterhin den größeren Teil der Haus- und Familienarbeit. Sozialwissenschaftler haben festgestellt, dass die Einkommensverteilung in der Ehe die Verhandlungsmacht und Konsumentscheidungen der Ehepartner wesentlich beeinflusst. Und nach einer Scheidung stellt sich die Hausfrau wesentlich schlechter als der Alleinverdiener. Eine Witwe erhält nur 55 Prozent der Rente ihres verstorbenen Gatten.

Ein Leben als Hausfrau birgt erhebliche finanzielle Risiken. Steuerliche Anreize in Form des Ehegattensplittings führen daher zu einer mittelbaren Benachteiligung von Frauen, fasst die Professorin zusammen. Sie sieht hierin einen Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Einen Anreiz für die Alleinverdienerehe zu setzen, widerspreche dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Gleichberechtigung zu fördern.

Die Wirkungen des Splittings werden über das Lohnsteuerklassenverfahren sogar weiter verschärft: Ehegatten mit erheblichen Einkommensunterschieden entscheiden sich in der Regel für eine Kombination der Steuerklassen III und V. Das bedeutet: Die Lohnsteuer wird in Klasse III nach Abzug der gemeinsamen Steuerabzugsbeträge berechnet. Alle Vorteile des Ehegattensplittings kommen so dem Erwerbstätigen mit dem höheren Einkommen zu in der Regel dem Ehemann.

Das Einkommen des zweiten Ehepartners wird in Steuerklasse V berechnet - ohne Grundfreibetrag oder Pauschalen für Sonderausgaben und Vorsorge. Damit fällt die Besteuerung sehr hoch aus und führt zu einem entsprechend niedrigen Nettolohn. Gut 90 Prozent aller Lohnsteuerpflichtigen in Steuerklasse V sind Frauen. Deshalb verstärke das Verfahren "die negativen Anreizwirkungen des Ehegattensplittings für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit oder die Ausweitung des Arbeitsumfangs von verheirateten Frauen", legt Sacksofsky dar. Hinzu kommen ­finanzielle Nachteile zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit oder Mutterschaft. Denn die Höhe des Arbeitslosen-, Mutterschafts- oder Elterngeldes knüpft an den Nettolohn an.

Auch eine konsequente steuerliche Anerkennung von Kinderbetreuungskosten ist bis heute nicht erreicht, kritisiert die Juristin. Seit 2006 können lediglich zwei Drittel der Aufwendungen für erwerbsbedingte Kinderbetreuung steuerlich abgesetzt werden - maximal 4.000 Euro pro Kind. Dies kann wiederum dazu führen, dass es sich für die Eheleute finanziell rechnet, wenn die Gattin ihre Erwerbstätigkeit aufgibt und die gemeinsamen Kinder zu Hause betreut.

"Es ist an der Zeit, sich von dieser Anreizstruktur zugunsten der Hausfrauentätigkeit zu trennen", so das Fazit Sacksofskys. Dies sei auch ein Gebot des Gleichberechtigungssatzes. Für die Gleichberechtigung der Geschlechter empfiehlt sie die Abschaffung der gemeinsamen Veranlagung. Denn: "Bei einer konsequenten Individualbesteuerung setzt das Steuerrecht keine negativen Anreize für die Erwerbstätigkeit der Frau nach der Eheschließung."