Abschätzung des quantitativen Vorteils des Euro für Deutschland gegenüber einer fiktiven D-Mark

13.09.2011 / KFW-Bankengruppe, Frankfurt, 01.07.2011

Zusammenfassung

  • Anliegen der vorliegenden Notiz ist die überschlägige Berechnung des Vorteils, den die deutsche Wirtschaft als Mitglied der Eurozone gegenüber einer Situation mit eigener Währung (D-Mark) und eigener Notenbank in den letzten beiden Jahren hat­te.
  • Dieser Vorteil resultiert daraus, dass das deutsche Wachstum mit einer eigenen Währung in den letzten beiden Jahren durch höhere Zinsen und eine härtere Wäh­rung niedriger ausgefallen wäre. Dieser Vorteil muss (zumindest argumentativ) auch den Belastungen gegenüber gestellt werden, die sich durch die Staatschuldenkrise in den Peripherieländern ergeben. Ein weiterer Vorteil der Währungsunion für die deutsche Wirtschaft ergibt sich aus geringeren Transaktionskosten (für Umtausch und Absicherungen). Dieser Aspekt wird jedoch in der vorliegenden Notiz nicht wei­ter verfolgt.
  • Um ein alternatives D-Mark-Szenario zu kalkulieren, sind eine Reihe von Annahmen nötig, die unten im Abschnitt A1 erklärt werden. Trotz aller sorgfältigen Recherche ist es aber die große Unsicherheit dieser Annahmen, welche das Ergebnis der Be­rechnung lediglich zu einem groben Anhaltspunkt werden lassen.
  • Legt man die getroffenen Annahmen zu Grunde, dann kommt man zu dem Ergeb­nis, dass Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone in den letzten beiden Jahren einen Wachstumsvorteil zwischen 2 und 2,5 Prozentpunkten (zusammen über beide Jahre, also etwa 1 bis 1,25 PP pro Jahr) und damit im Bereich von 50 bis 60 Mrd. EUR realisiert hat. Details dazu finden sich im Abschnitt A2.

A1: Ausgangsposition und Annahmen

● Es werden folgende Annahmen getroffen:

- Szenario-Ausgangspunkt ist die fiktive Situation, dass mit dem Einsetzen der konjunkturellen Erholung Mitte 2009 Deutschland eine eigene Währung mit eige­ner Notenbank gehabt hätte. Die Effekte einer fiktiven D-Mark werden somit nur ab diesem Zeitpunkt auch betrachtet. Die Darstellung eines kompletten D-Mark-Szenarios seit 1999 würde den ohnehin schon spekulativen Charakter der Be­trachtung so weit verstärken, dass die Ergebnisse nicht mehr aussagefähig wä­ren.

- In den anderen Ländern der heutigen Eurozone existieren ebenfalls seit dem Be­trachtungsstartpunkt Mitte 2009 fiktive nationale Währungen. Die gesamtwirt­schaftliche Entwicklung in allen Ländern verläuft seitdem ähnlich den tatsächli­chen Gegebenheiten, d.h. die Divergenzen zwischen den Ländern nehmen zu, dabei wachsen einige Länder, v.a. Deutschland, gut, andere geraten in krisen­hafte Situationen mit hohen Defiziten, zunehmender Verschuldung und schwa­chem Wirtschaftswachstum. Dies führt in Deutschland zu steigenden Noten­bankzinsen und einem Aufwertungstrend der D-Mark.

- In so einem Umfeld würde die Aufwertung des effektiven Außenwertes der D-Mark zusätzliche 10 % bis 20 % betragen. Hier wird konkret 15 % angenommen. Eine Aufwertung von 10 % wiederum führt für sich genommen zu einem Wachs­tumsverlust von zusammen ca. 1 bis 1,5 Prozentpunkten über drei Jahre gegen­über einer Situation ohne Aufwertung, wobei sich der Großteil des Wachstums­verlustes in den ersten beiden Jahren ergäbe. Für diese Größenordnungen sprechen Forschungsergebnisse der Deutschen Bundesbank sowie Expertenbe­fragungen. Daraus folgt eine Wachstumsdifferenz gegenüber der tatsächlichen Entwicklung von 1,7 PP in zwei Jahren.

- Die steigenden Zinsen haben insb. einen Effekt auf die Investitionen. Es wird an­genommen, dass unter der Annahme einer separaten Währung für Deutschland die Notenbankzinsen heute um 100 Bp bis 150 Bp (konkret für die Rechnung: 125 Bp) höher lägen als es unter den gegenwärtigen Euro-Bedingungen tatsäch­lich der Fall ist. Der isolierte Wachstumsdämpfer auf das BIP aus einem Anstieg der Notenbankzinsen um einen Prozentpunkt beträgt gemäß verschiedener Quellen etwa einen halben Prozentpunkt ein Jahr später. Bei angenommenen 125 Bp entspricht das einer um ca. 0,6 PP abgeschwächten Dynamik gegenüber dem tatsächlichen Verlauf

- In der Addition entspricht das einem um 2,3 PP langsameren realen Wachstum als tatsächlich geschehen. Um eine Bandbreite zu erhalten, wird mit einem Kor­ridor von 2,0 bis 2,5 PP gerechnet.

- Für die Inflationsrate werden keine gesonderten Annahmen getroffen, sondern es wird die tatsächliche Inflation zu Grunde gelegt (seit Mitte 2009 bis heute etwa 2 % gemessen am BIP-Deflator).

- Die Wachstumserwartung für das 2. Quartal 2011 in Deutschland beträgt 0,4 % gg. Vorquartal. Damit kann eine Zwei-Jahres-Betrachtung von Mitte 2009 bis Mit­te 2011 vorgenommen werden.

A2: Quantitative Auswirkung einer fiktiven D-Mark seit Mitte 2009

  • Ausgangspunkt ist das nominale BIP in Höhe von 2416 Mrd. EUR, welches im Zeit­raum 3.Q. 2008 bis 2. Q. 2009 erwirtschaftet wurde. Im Zeitraum 3.Q. 2010 bis 2. Q. 2011 wurde (unter Zugrundelegung der o.g. Wachstumserwartung für das 2. Q. 2011) ein nominales BIP in Höhe von 2552 Mrd. EUR erwirtschaftet. Dies ist eine Differenz von 136 Mrd. EUR und entspricht einem Wachstum von 5,6 %.
  • Wie oben genannt, beträgt die reale Wachstumseinbuße durch die fiktive D-Mark 2,0 bis 2,5 PP. Dies entspricht auch der nominalen Wachstumseinbuße, weil im fik­tiven D-Mark-Szenario dieselbe Inflationsrate zu Grunde gelegt wird wie im wirkli­chen Fall. Im D-Mark-Fall wäre die deutsche Wirtschaft im genannten Zeitraum also nur zwischen 3,1 % und 3,6 %, d.h. zwischen 75 Mrd. EUR und gut 85 Mrd. EUR gewachsen.
  • Im Vergleich zum tatsächlichen BIP-Zuwachs von 136 Mrd. EUR ergibt sich somit für Deutschland ein Wachstumsvorteil zwischen ca. 50 und 60 Mrd. EUR im genann­ten Zeitraum durch die Mitgliedschaft in der Eurozone.