Merkel will deutsches Europa
Von Christa Luft, Neues Deutschland
Ungeachtet stark unterschiedlicher ökonomischer, finanzieller und sozialer Bedingungen der anfangs beteiligten elf Länder wurde 1999 der Euro kreiert. Inzwischen gilt er in 17 Staaten. Doch über die Geldpolitik ist die Koordinierung nicht hinausgekommen. Die jüngste Finanzkrise, die durch nationale Kreditgarantien für Pleitebanken in mehreren Euro-Ländern zu einer Staatsschuldenkrise mutierte, hat die Fehlkonstruktion dem Einsturz nahe gebracht.
Als Initiatoren der Währungsunion gelten Deutschland und Frankreich. Jetzt gibt die deutsche Kanzlerin ihre Aversion gegen eine von französischer Seite favorisierte Europäische Wirtschaftsregierung auf. Zusammen mit ihrem Amtsbruder Sarkozy will sie der Euro-Zone einen »Pakt für Wettbewerbsfähigkeit« verpassen. Hintergrund ihres Sinneswandels ist die Debatte um einen permanenten Rettungsschirm für angeschlagene Euro-Länder. Deutschland müsste im Extremfall seine Kreditbürgschaften von 123 auf etwa 200 Milliarden Euro erhöhen. Das ist der Bevölkerung kaum vermittelbar. Schon gar nicht, falls die bislang im Staatshaushalt noch nicht verbuchten Milliardengarantien tatsächlich »schlagend« werden.
Merkels Umschwenken ist aber keine Referenz an europäischen Gemeinsinn, sondern hat innenpolitische Motive. Das verdeutlicht ihr Anspruch an den Pakt: Durchsetzung der Rente mit 67, Verzicht auf automatische Anpassung der Löhne an die Inflationsentwicklung, wie das Belgien, Luxemburg und Portugal praktizieren, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes à la Hartz IV, Verankerung einer Schuldenbremse. Deutsches Geld gibt es nur gegen die Akzeptanz einer deutschen Abmagerungsdiät.
Die hiesige Öffentlichkeit mag aufatmend meinen, es könne doch nicht sein, dass »wir alles bezahlen und die Problemländer weitermachen wie bisher«. Ja, das ginge tatsächlich nicht. Doch Merkel will als Maßstab für Wettbewerbsfähig-keit das deutsche Modell verkaufen. Das aber ist extrem exportfixiert und nicht übertragbar. Gegenüber den eigenen Landsleuten sollen die hierzulande vollzogenen sozialen Einschnitte als alternativlos gerechtfertigt werden.
Die Idee einer Europäischen Wirtschaftsregierung als Antwort auf die Krise ist sinnvoll. Die Frage ist jedoch, was europäisiert werden soll. Die von Merkel vorgesehenen Schritte sind für eine Krisenvorbeugung am wenigsten relevant. Vordringlich wären die koordinierte Umstrukturierung und Schrumpfung des europäischen Bankensystems sowie Steuern auf Finanztransaktionen. Deutsche Vorreiterrolle? Fehlanzeige! Nötig sind eine harmonisierte Entwicklung der Lohnstückkosten und Mindestsätze bei der Einkommen- und Unternehmenssteuer. Gebraucht werden ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn und angemessene Vermögenssteuern. Hier »glänzt« Deutschland als Negativausnahme in der Euro-Zone.
Bisher sieht der Entwurf einer Europäischen Wirtschaftsregierung Reformen einseitig für die finanzschwachen Länder vor. In Deutschland könnte alles beim alten bleiben: größter Niedriglohnsektor in der EU, chronische Leistungsbilanzüberschüsse, die bei Importeuren zu wachsender Verschuldung führen, vernachlässigte Infrastruktur und ein blamabler Rang bei den Bildungsausgaben (pro Kopf). Das wäre Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten im eigenen Land und ginge zu Lasten der Menschen in den Partnerstaaten. Ein Euro, der nur zur Bankenrettung stabilisiert wird, würde die Völker nicht zusammenführen, sondern entzweien. Sein Schicksal wäre besiegelt.
In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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