Die Phase der Illusionen ist vorbei. Staatsbankrott Griechenlands abgewendet?
Von Joachim Bischoff / Richard Detje, Sozialismus Aktuell
In Griechenland wurde die Zerstörung des politischen Systems erneut beschleunigt. Zwar haben Pasok und Nea Dimokratia das von der Trioka aufgeherrschte Austeritätsprogramm durch das Parlament gebracht und damit das Überleben der »technischen Regierung« Papademos vorerst gesichert.
Dabei ist nicht nur der Dritte im Bund, die rechtspopulistische Laos, abgesprungen. Insgesamt 41 Abgeordnete haben die Regierungslinie verlassen, darunter ein Viertel der ND-Fraktion. Sie wurden umgehend ausgeschlossen. Neuwahlen im Frühjahr hat mittlerweile nicht nur die Pasok – die 2009 noch mit 44% die absolute Mehrheit im Parlament errang – sondern auch die ND zu fürchten, nachdem sie ihre Ablehnung der einseitigen Kürzungs- und Privatisierungspolitik nahezu restlos aufgegeben hat. Seriöse Umfragen sind angesichts der hohen Volatilität der Wählerstimmungen gegenwärtig jedoch nicht zu erhalten.
Allenfalls gewaltsame Ausschreitungen finden in der internationalen Presse Beachtung. Die Zahl der (General-)Streiks wird kaum noch erfasst. Dabei geht es für die Mehrheit der Bevölkerung um soziale Einschnitte mit existenzbedrohendem Charakter:
- Abbau von 150.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor bis 2015 bei einer Arbeitslosenquote, die bei 20% und unter Jugendlichen bei 50% liegt
- Einfrieren der Löhne, bis die Arbeitslosigkeit auf 10% gesunken ist
- Absenkung des Mindestlohns von 751 auf 568 Euro und der Arbeitslosenunterstützung von 461 auf 369 Euro (in beiden Fällen -22%)
- umfängliche Rentenkürzungen und Kürzung von Sozialleistungen, letzteres in Höhe von 1,5% des BIP, usw.
Das Erpressungspotenzial der Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) ist groß. Ohne der Verarmung der eigenen Bevölkerung zuzustimmen, würde die zweite Kredittranche in Höhe von 130 Mrd. Euro nicht bewilligt und die griechische Regierung müsste in der zweiten März-Hälfte Insolvenz anmelden. Doch bereits das erste Kreditpaket in Höhe von 110 Mrd. Euro hat außer der Abschirmung von den Kapitalmärkten keine Fortschritte gebracht.
Das Haushaltsdefizit 2011 wurde erneut bei rund 10% gemessen und das bisher von der Troika vorgegebene Defizitziel für 2012 von 7% dürfte kaum zu erreichen sein. Denn der radikale Austeritätskurs hat die wirtschaftliche Rezession dramatisch verstärkt, sodass der Abbau des Haushaltsdefizits bei rückläufigen Steuereinnahmen nur begrenzt erfolgen konnte. Im Jahr 2009 ging das BIP um 3,3% zurück, 2010 um weitere 3,4%. Für 2011 wird die Schrumpfung der nationalen Reichtumsproduktion mit -6,1% angegeben und für das laufende Jahr liegen die Prognosen zwischen -3,5 und -8%.
Der illusionäre Charakter der Troika-Szenarien wird immer deutlicher. Im Basisszenario vom Mai 2010, das im Zusammenhang des ersten Finanzpakts aufgestellt wurde, wurde angenommen, dass Griechenland ein Primärdefizit (Staatsdefizit ohne Zinsausgaben) von 8,6% der Wirtschaftsleistung innerhalb von fünf Jahren in einen Primärüberschuss von 6% verwandeln kann. Und anschließend hätte der Überschuss von 6% des BIP noch über viele Jahre durchgehalten werden müssen. Etwas ähnlich Ambitioniertes haben laut IMF von 1956 bis 2009 nur sechs Länder geschafft.
Im September 2010 erklärte die Führung des IWF: »Staatsbankrott – unnötig, unerwünscht und unwahrscheinlich«. Ein Gläubigerverzicht würde nur wenig zur Sanierung der Staatsfinanzen beitragen. Mittlerweile, keine anderthalb Jahre später, hat sich die Einschätzung drastisch verändert. Das Land steht unverändert vor dem Bankrott.
Zum neuen Finanzpaket – das aus heutiger Sicht wahrscheinlich auf 145 Mrd. Euro aufgestockt werden muss – gehört auch ein Schuldenschnitt: Banken und andere private Gläubiger sollen im Rahmen eines freiwilligen Tausches alter Bonds in neue Papiere auf 50% des Nennwerts oder etwa 70% des Nettogegenwartswerts der von ihnen gehaltenen griechischen Staatsanleihen verzichten. Damit würde die griechische Bruttoverschuldung, die zuletzt rund 350 Mrd. Euro oder 160% des BIP betrug, um etwa 100 Mrd. Euro reduziert. Von der erwähnten öffentlichen Hilfe sind 30 Mrd. Euro dafür reserviert, den privaten Gläubigern diesen Schuldenschnitt akzeptabel zu machen.
Die Unterzeichnung des Folgeabkommens wird von der EU an weitere Bedingungen geknüpft. Erstens soll die griechische Regierung zusätzliche strukturelle Ausgabenkürzungen von 325 Mio. Euro festlegen, um im laufenden Jahr das Ziel für den Abbau des Staatsdefizits zu erreichen. Zweitens sollen Auszahlungen nur bei strikter Kontrolle der Umsetzung des »Sparpakets« erfolgen und drittens verlangt die Euro-Gruppe weiterhin ein klares, schriftliches Bekenntnis der Führer der griechischen Koalitionsparteien zum Paket. Sie will damit sicherstellen, dass das Programm auch nach den für April vorgesehenen Wahlen nicht infrage gestellt wird.
Es ist kein Zufall, dass zuletzt Äußerungen, wonach ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu verkraften wäre, vermehrt zu hören waren. Ein Testfall könnte jene Finanzierungslücke in der Größenordnung von 15 Mrd. Euro sein, die noch zu schließen ist. Einer Aufstockung der öffentlichen Kredite über 130 Mrd. Euro hinaus erteilte der deutsche Finanzminister Schäuble eine klare Absage. Die Bereitschaft in der bundesdeutschen Regierungskoalition, mit weiteren Finanzmitteln den Sanierungsprozess zu begleiten, ist drastisch zurückgegangen.
Neben der Bundesregierung gehen auch andere Staaten der Euro-Zone sichtbar auf Distanz. Der Restoptimismus in der politischen Klasse scheint erschöpft. Doch das Insolvenz-Szenario ist hochriskant, die Pleite des Euro-Partners kaum kalkulierbar. »Dann haben wir ein Haftungsrisiko am Hacken«, das nicht mehr beherrschbar sei, mahnte Merkel vor der Unionsfraktion.
Die Regierungschefs des Euro-Clubs wissen, dass sie den Partner im Südosten des Kontinents nur um den Preis hoher Folgerisiken fallenlassen können. Die Ansteckungsgefahr in der Schuldenkrise steigt dramatisch, wenn ein Land scheitert. Schon jetzt deutet das Krisenland Portugal an, gleichfalls weitere Mittel zu benötigen. Der Hintergrund ist der gleiche wie in Griechenland: Die Realwirtschaft schmiert ab. Im laufenden Jahr könnte die Schrumpfung zwischen 3 und 6% liegen; portugiesische Unternehmen wollen ihre Investitionen um 17% zurück fahren; der Einzelhandelsumsatz sank zuletzt um 9%.
Wie Portugal unter diesen Bedingungen 2014 – wenn das »Rettungspaket« in Höhe von 78 Mrd. Euro ausläuft – seine Finanzierung über den Kapitalmarkt sicherstellen will, weiß niemand. »Um wenigstens das Minimalziel – ein konstantes Verhältnis von Schulden und Wirtschaftsleistung – zu erreichen, müsste Portugal die Zinszahlungen Jahr für Jahr mit Etatüberschüssen in utopischer Höhe ausgleichen. Selbst wenn sich die Zinsen für seine Anleihen halbierten, wäre ein Haushaltsplus von rund fünf Prozent der Wirtschaftsleistung nötig – und das hat bisher kaum ein Land geschafft.« (Handelsblatt vom 2.2.2012)
Doch es geht um mehr: Hinter den Kulissen wird täglich darauf gepocht, die Beruhigung auf dem Anleihenmarkt für Risikoländer wie Spanien und Italien doch bitte nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Die Eurostaaten setzen auf maximalen Druck, um Athen endlich zu Zugeständnissen zu zwingen und die heimischen WählerInnen zu beruhigen. So müssen alle Regierungsparteien versichern, dass sie mitziehen, auch das Parlament soll die Vereinbarung förmlich bestätigen. Dass die Geduld auch beim EU-Großfinanzier Deutschland strapaziert ist, bemüht sich im Berliner Regierungsviertel indes kaum noch jemand zu verbergen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekannte, der eingeschlagene Kurs sei für sie der »Weg des geringsten Schadens«, den sie »noch am meisten verantworten« könne.
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