Das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

Von Dani Rodrik

16.06.2012 / 13 June 2012, Project Syndicate

CAMBRIDGE – Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Nach einem Sieg der linksradikalen Partei Syriza kündigt die neue griechische Regierung an, sie wolle die Bedingungen in den Abkommen mit dem Internationalen Währungsfond und der Europäischen Union neu verhandeln. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bleibt unnachgiebig und meint, Griechenland müsse sich an die bestehenden Vereinbarungen halten.

Aus Furcht vor einem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch ziehen die griechischen Sparer ihre Bankeinlagen ab. Diesmal weigert sich die Europäische Zentralbank zu Hilfe zu kommen und so geht den griechischen Banken das Geld aus. Die griechische Regierung führt Kapitalkontrollen ein und ist letztlich gezwungen Drachmen auszugeben, um die Liquidität im Land zu gewährleisten.

Nachdem Griechenland die Eurozone verlassen hat, richtet sich das Augenmerk auf Spanien. Zunächst zeigen sich Deutschland und andere fest entschlossen, alles zu tun, um einen ähnlichen Sturm auf die Banken wie in Griechenland zu verhindern. Die spanische Regierung kündigt zusätzliche Ausgabenkürzungen und Strukturreformen an. Mit Unterstützung aus Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus hält sich Spanien für mehrere Monate finanziell über Wasser.

Doch die spanische Wirtschaftslage verschlechtert sich weiter und die Arbeitslosigkeit steigt bis auf 30 Prozent. Gewalttätige Proteste gegen die Sparmaßnahmen von Ministerpräsident Mariano Rajoy zwingen ihn, ein Referendum abzuhalten. Da es seiner Regierung nicht gelingt, die notwendige Unterstützung der Wähler zu gewinnen, tritt sie zurück, wodurch das Land in politischem Chaos versinkt. Merkel stoppt weitere Hilfen für Spanien und meint, dass die fleißigen deutschen Steuerzahler schon genug getan hätten. Bankensturm, Zusammenbruch des Finanzsystems und Euro-Austritt folgen kurz darauf.

Auf einem eilig einberufenen Mini-Gipfel kündigen Deutschland, Finnland, Österreich und die Niederlande an, dass sie den Euro als ihre gemeinsame Währung beibehalten werden. Das erhöht den finanziellen Druck auf Frankreich, Italien und die anderen Mitgliedsländer. Als die Realität einer teilweisen Auflösung der Eurozone in das Bewusstsein vordringt, breitet sich die finanzielle Kernschmelze von Europa auf die Vereinigten Staaten und Asien aus.

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Unser Szenario setzt sich in China fort, wo die Führung vor ihrer eigenen Krise steht. Durch den wirtschaftlichen Abschwung haben sich die sozialen Konflikte verschärft und die jüngstenEntwicklungen in Europa haben noch Öl in das Feuer gegossen. Da Exportaufträge aus Europa in großem Stil storniert werden, sind chinesische Firmen mit der Aussicht auf massive Entlassungen konfrontiert. In größeren Städten kommt es zu Demonstrationen, wo man ein Ende der Korruption unter Parteifunktionären fordert.

Die chinesische Regierung entschließt sich, keine weiteren Konflikte zu riskieren und kündigt ein Maßnahmenpaket zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und Interventionen auf den Devisenmärkten zur Abwertung des Renminbi an.

In den USA hat Mitt Romney nach einem erbitterten Wahlkampf, in dem er Barack Obama wegen seiner zu weichen Haltung gegenüber der chinesischen Wirtschaftspolitik verhöhnte, gerade das Amt des Präsidenten übernommen. Aufgrund der Kombination aus finanzieller Ansteckung aus Europa, die bereits zu einer massiven Kreditverknappung führte und einer plötzlichen Flut an Billigimporten aus China steckt die Regierung Romney in der Klemme. Gegen den Rat seiner Wirtschaftsberater kündigt Romney generelle Einfuhrzölle auf chinesische Importe an. Seine Unterstützer aus der Tea Party, deren Stimmen bei der Wahl von entscheidender Bedeutung waren, drängen ihn zu weiteren Schritten und zum Austritt aus der Welthandelsorganisation.

In den darauf folgenden Jahren sinkt die Weltwirtschaft in die Zweite Große Depression, wie sie von zukünftigen Historikern bezeichnet werden wird. Die Arbeitslosigkeit steigt auf Rekordhöhen. Staaten ohne fiskalische Ressourcen haben keine andere Wahl als mit Maßnahmen zu reagieren, die wiederum nur die Probleme anderer Länder verschärfen: Handelspolitische Schutzmaßnahmen und kompetitive Währungsabwertung. Die Länder begeben sich immer stärker in wirtschaftliche Autarkie und wiederholte globale Wirtschaftsgipfel bringen nichts als leere Versprechen zur Zusammenarbeit.

Wenige Länder entgehen dem ökonomischen Massaker. Diejenigen, die relativ gut dastehen, weisen drei gemeinsame Merkmale auf: niedrige Staatsschulden, begrenzte Abhängigkeit von Exporten oder Kapitalflüssen und robuste demokratische Institutionen. Daher sind Brasilien und Indien relativ sichere Häfen, obwohl auch ihre Wachstumsaussichten massiv geschwächt sind.

Wie in der Großen Depression sind die politischen Folgen gravierender und zeigen längerfristige Auswirkungen. Der Zusammenbruch der Eurozone (und praktisch gesehen auch der EU selbst) zwingt zu einer größeren Neuausrichtung der europäischen Politik. Frankreich und Deutschland konkurrieren offen um die Stellung als Einflusszentren gegenüber kleineren europäischen Staaten. Zentristische Parteien bezahlen den Preis für ihre Unterstützung des europäischen Integrationsprojekts und werden bei Wahlen von rechts- und linksextremen Parteien überflügelt. Nativistische Regierungen beginnen, Immigranten aus dem jeweiligen Land zu werfen.

Im nahen Ausland wird Europa nicht mehr als Bollwerk der Demokratie gesehen. Der arabische Nahe Osten wendet sich entschlossen den autoritären islamischen Staaten zu. In Asien entwickelt sich der Wirtschaftskonflikt zwischen den USA und China zu einer militärischen Auseinandersetzung mit zunehmend häufigen Zusammenstößen im Südchinesischen Meer, die in einen allumfassenden Krieg auszuarten drohen.

Merkel, die sich aus der Politik zurückgezogen hat und das Leben einer Einsiedlerin führt, wird viele Jahre später gefragt, ob sie glaubt, dass sie während der Eurokrise irgendetwas anders hätte machen können. Leider kommt ihre Antwort zu spät, um den Lauf der Geschichte noch zu ändern.

Ein weit entferntes Szenario? Kann sein, aber nicht entfernt genug.

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Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

This article is available online at: http://www.project-syndicate.org/commentary/the-end-of-the-world-as-we-know-it/german

Internetseite: www.project-syndicate.org

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Dani Rodrik is a professor at Harvard University’s Kennedy School of Government and a leading scholar of globalization and economic development. His writings are a compelling combination of international and development economics, history, and political economy, and often challenge prevailing orthodoxy about which policies best promote growth. His most recent book is The Globalization Paradox: Democracy and the Future of the World Economy.