Zum Protestbrief von 172 deutschsprachigen Ökonomen
Von Astrid Kraus, Wolfgang Lindweiler, Alex Recht, Bernhard Sander, Alban Werner
Der Protestbrief, der an den Urängsten der deutschen Bevölkerung vor Inflation und Bankenallmacht anknüpft, führt in die Irre. Seine zentralen Argumente sind falsch. Das Hauptproblem ist auch nicht die Inflation von Güter-und Dienstleistungspreisen, sondern die drohende Rezession.
Im Brief heißt es: „Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber, denn sie sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen und nur sie verfügen über das notwendige Vermögen.“
Diese These, die nahelegt, ein Scheitern von Banken im großen Stil sei die notwendige und gerechte Lösung der Eurokrise, ist in zweierlei Hinsicht falsch:
Zum einen löst ein solches Scheitern die Krise nicht, sondern verstärkt sie. Wer glaubt, dies führe über eine heilsame Marktbereinigung zu einer reibungslosen Rückkehr zu einer blühenden Wirtschaft, sitzt einem Grundirrtum des Ordoliberalismus auf. Spätestens seit der Lehman-Pleite und der hierauf folgenden Wirtschaftskrise 2008 sollte klar sein: Das Finanzsystem hängt von der Realwirtschaft ebenso ab, wie es auf sie zurückwirkt. Denn wenn Banken im großen Stil zusammenbrechen, wächst die Unsicherheit, so dass Banken nicht nur anderen Banken, sondern auch Haushalten und Unternehmen Kredite entweder gar nicht mehr oder nur noch zu sehr hohen Zinsen vergeben. Die zunehmende Unsicherheit und das erhöhte Zinsniveau bremsen aber die wirtschaftliche Entwicklung und gefährden so Arbeitsplätze und die öffentlichen Haushalte.
Zum anderen geht aber auch die Idee selber, wonach ein Schuldenschnitt nur verantwortungslose Gläubiger und Spekulanten träfe, von falschen Vorstellungen aus. Wer glaubt, alle Gläubiger säßen wie Dagobert Duck auf Bergen von Geld oder seien spekulativ unterwegs, ist naiv. Zu den Gläubigern gehören zweifelsohne auch Reiche und Spekulanten, aber eben nicht nur: Unter den Gläubigern befinden sich auch die Bundesrepublik Deutschland selbst, Steuerzahler und Rentner in ihrer Eigenschaft als Kleinsparer sowie Unternehmen, öffentliche Banken usw. Wenn all diese von einem Ausfall ihrer Einlagen getroffen würden, käme es zu erheblichen ökonomischen Verwerfungen, wogegen man dann – womöglich verspätet und zu höheren Kosten
– doch wieder staatliche Mittel aufbringen müsste. Deshalb ist es falsch, wenn es im Brief heißt: „Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden.“
Wir halten ein Scheitern im großen Stil für eine gefährliche „Lösung“. Auch wir wollen Vermögende an die Kandare nehmen, halten jedoch hohe Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen für eine deutlich bessere Antwort als das Setzen auf die freien Kräfte des Marktes über Scheitern und Haftung.
Und schließlich können Linke diesen Brief nicht unterstützen, weil er eine falsche Frontstellung von vermeintlich „soliden“ Ländern gegen die „südlichen“ Länder aufmacht und die Verhältnisse soweit umdreht, dass er von „Pressionen“ der „soliden“ Länder durch die „südlichen“ Länder spricht. Dieser Krisendeutung kann man sich keinesfalls anschließen. Denn schließlich ist es die deutsche Regierung an vorderster Front, die ein neues Mandat der EZB als „Kreditgeberin der letzten Instanz“ blockiert, mit dem die Spekulation gegen die Zahlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten ein für allemal beendet werden könnte.
Wir halten es daher für falsch, dass Sahra Wagenknecht sich mit den Worten „Wo sie recht haben, haben sie recht“ in einer Pressemeldung positiv auf den Protestbrief beruft, vor dem von den neoliberalen Gegnern eines sozialen Europas skizzierten Horrorszenario einer „Schuldenunion“ warnt und das „liberale Credo“ der Unterzeichner lobend hervorhebt. Wir fordern, dass die öffentliche Hand für die staatliche Unterlegung von Banken mit zusätzlichem Eigenkapital echte Entscheidungsbefugnisse bekommt und wahrnimmt und damit dem Weg zu einem strikt öffentlich-demokratisch kontrollierten Finanzsystem einschlägt. Ebenso fordern wir ein effektives EU-weites Einlagensicherungssystem sowie den Aufbau eines Bankenrettungsfonds.
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