Finanz-TÜV einführen: Trennbankensystem ist veralteter Vorschlag

Standpunkt von Suleika Reiners (WFC)

05.10.2012 / EurActiv.de

Wer die Spreu vom Weizen trennt, schafft damit die Spreu nicht aus der Welt. Solange ungeprüft immer neue Finanzinstrumente auf den Markt kommen, bleiben Volkswirtschaften gefährdet und Regulierung wie Aufsicht heillos überfordert. Eine Analyse von Suleika Reiners vom World Future Council.

Eine von der EU-Kommission beauftragte Arbeitsgruppe hat in ihrem Abschlussbericht vom 2. Oktober vorgeschlagen, das Einlagen- und Kreditgeschäft vom Eigenhandel der Banken zu trennen. Die Idee eines solchen Trennbankensystems geht auf den Glass-Steagall Act in den USA aus dem Jahr 1933 zurück. Franklin D. Roosevelt hatte die Trennung derzeit eingeführt, um einen erneuten Bankenzusammenbruch wie in der Krise von 1929 bis 1932 zu verhindern.


Damals war die Welt der Finanzinnovationen noch recht überschaubar. Mittlerweile jedoch, achtzig Jahre später, haben Deregulierungen zahlreiche Finanzinnovationen hervorgebracht. Heute lediglich die Geschäftsbereiche zu trennen, hieße, systemische Gefahren weiter florieren zu lassen. Nicht einmal Transparenz - ein in der Tat bescheidener Anspruch und die Grundvoraussetzung für jegliche Aufsicht - ist aktuell möglich. In seinem jüngsten Finanzstabilitätsbericht vom September beklagt der Internationale Währungsfonds (IWF) die Überkomplexität des unverändert fragilen Finanzsystems.

Als die Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer 2009 in Pittsburgh beschlossen hatte, die makroprudenzielle Aufsicht zu stärken, war dies ein Fortschritt. Denn bis dahin hatte man nur mikroprudenziell auf einzelne Finanzinstitute geschaut, ohne das verflochtene Gesamtsystem zu berücksichtigen. Doch solange Finanzinnovationen nicht präventiv geprüft werden, bleiben neu geschaffene Aufsichtsorgane wie das Europäische Finanzaufsichtssystem maßlos überfordert. Der Blick darf sich nicht auf systemrelevante Finanzinstitutionen beschränken. Er muss sich präventiv auf systemrelevante Finanzinstrumente richten.

Finanzmarktregulierung ist mehr als Verbraucherschutz


Mit Kundengeld sollen Banken keine eigenen riskanten Geschäfte eingehen – so die Idee der Trennung des Einlagen- und Kreditgeschäfts vom Eigenhandel. Finanzmärkte aber spielen in der gesamten Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Es muss daher um weit mehr gehen als um Investorenschutz.

Eine haupttreibende Kraft für Finanzinnovationen ist das Umgehen von Regulierung. Auf Regulierungen folgt stets ein Schwung neuer Finanzinstrumente einzig mit dem Ziel, die Regulierung zu umgehen. Das Ergebnis ist eine regulatorische Dialektik, die sowohl Finanzinstrumente als auch Regulierungen immer komplexer werden lässt. Auch werden viele Derivate vor allem genutzt, um Steuern zu vermeiden, indem der Zeitraum des Gewinns verschoben wird. Ohne einen Finanz-TÜV als präventive Zulassungsprüfung werden Regulierung und Aufsicht immer hinterherhinken.

Hinzu kommt: Je komplexer ein Finanzinstrument ist, desto lukrativer ist es für Anbieter und Ratingagenturen. Zugleich sinken die Gewinnspannen schnell, da Finanzinstrumente nicht patentiert sind. Hierher rührt eine weitere treibende Kraft, immer neue Finanzinstrumente zu entwickeln. Das Resultat ist eine Überkomplexität, die Transparenz unmöglich macht.

Risikostreuung ist eine sinnvolle und traditionelle Kernaufgabe etwa von Versicherungen und Banken. Der Haken ist allerdings: Zunehmend weniger liegen der Risikostreuung realwirtschaftliche Risiken zugrunde. Stattdessen sind es oft zusätzliche Unsicherheiten, die allein auf andere Finanzinstrumente zurückgehen. Vor allem endet der Nutzen der Risikostreuung dort, wo der Risikotransfer einzelner Akteure das gesamte Finanzsystem exzessiv mit Risiken auflädt. So hatten Banken komplexe Mehrfachverbriefungen und Derivate wie Credit Default Swaps (CDS) genutzt, um Risiken aus ihren Bilanzen auszulagern und dadurch Eigenkapitalvorschriften zu umgehen. Die überall verstreuten Risiken kamen in der Subprime-Krise von überall her zurück.

Ob Finanzinstrumente gesamtwirtschaftlich nützen oder schaden, ist in vielen Fällen also bereits eine Frage der Intention. Wer nur die Geschäftsbereiche von Banken trennen will, verhindert nicht das schädliche Geschäft. Er verhindert nicht einmal, dass Banken ihre Aktivität bevorzugt – und zu Lasten des regulären Kreditgeschäfts - in die je lukrativste Sparte verlagern.

Finanz-TÜV einführen


Ein präventiver Finanz-TÜV würde Finanzinstrumente wahlweise zulassen, an Bedingungen knüpfen oder die Welt davor bewahren. Mehrfachverbriefungen etwa, die bisher nur an Bedingungen wie zum Beispiel höhere Eigenkapitalunterlegungen geknüpft sind, sollten komplett vom Markt genommen werden. Finanzinstrumente für das Investmentbanking sollten selbstverständlich Stresstests durchlaufen, wie es in Anfängen bereits für systemrelevante Banken geschieht. Ein Finanz-TÜV ist unter anderem von Wissenschaftlern wie Joseph Stiglitz, Sebastian Dullien und Chandran Nair gefordert worden. Der World Future Council (WFC) hat im September erstmals ein entsprechendes Diskussionspapier vorgelegt.

Links


World Future Council, Suleika Reiners: At the base of financial regulation: Testing for Financial Innovations ("finance TÜV") (September 2012)

Mehr zum Thema auf EurActiv.de

"Ein sichereres, solideres und wirksameres Bankensystem" (2. Oktober 2012)

Griechenland - Deutschland: Wer zahlt für wen? (30. August 2012)

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Suleika Reiners ist Politikberaterin für "Future Finance" beim World Future Council. Zuvor war sie zwei Jahre bei der NGO "Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung" (WEED) in der Abteilung "Internationales Finanzsystem und Verschuldung" tätig. Sie war für die Devisentransaktionsteuer-Kampagne verantwortlich. Unter anderem hat sie zur Liberalisierung von Finanzmärkten und Alternativen publiziert.