Wie Schäuble tickt. Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
Kann mir jemand erklären, was im Kopf dieses Finanzministers vorgeht? Oder noch rätselhafter: Wie kann es sein, daß Herrn Schäubles wilde Meinungsschwankungen als Äußerungen eines besonnenen und erfahrenen Politikers akzeptiert werden?
Nehmen wir zum Beispiel die Misere in Griechenland. Seit Monaten zeichnet sich ab, daß auch die mehrmals aufgestockten Kredit- und Garantieleistungen nicht ausreichen werden, um dem griechischen Staat die Zahlung von Zins- und Tilgungsleistungen an die internationalen Finanzgläubiger zu ermöglichen. Gibt es weitere Hilfe für Griechenland? Werden überhaupt die nächsten, schon vereinbarten Zahlungen aus den Rettungsfonds ausbezahlt? Darüber wird erst entschieden, wenn der Bericht der Troika vorliegt, erklärt uns und den Griechen standhaft die Kanzlerin. Der Bericht war zunächst für September geplant, dann wurde es Oktober und schließlich November. Auch während ihres Besuchs Anfang des Monats in Athen blieb Frau Merkel bei dieser Linie.
Selbst als sich vor einer Woche die Finanzminister, Notenbanker und Geschäftsbanker im Rahmen der Herbsttagung des IWF in Tokio versammelten, hielt auch Wolfgang Schäuble die Griechenlandfrage offen und beschränkte sich darauf, den von der Bundesregierung diktierten harten Restriktionskurs in Euro-Europa mit schlichten Sprüchen zu verteidigen. Gegen Ende der Konferenz sagte der schwedische Finanzminister Anders Borg (Schweden ist EU-Mitglied, aber nicht Euro-Land) öffentlich, er halte es für sehr wahrscheinlich, daß Griechenland aus dem Euro-Raum ausscheiden werde. Auf dem Rückweg von Tokio in Singapur beschimpft der deutsche Finanzminister die europäischen Kollegen. Sie verstünden nicht, was in Europa geschehe. Er natürlich weiß das. »There will not be a ›Staatsbankrott‹ in Greece«, sagt er in badisch gefärbtem Deutsch-Englisch-Gemisch. Sogar die ARD-Nachrichten begreifen, daß Schäuble – Troika-Bericht hin oder her – jetzt plötzlich doch mehr Geld nach Griechenland schieben will. Es wird keine griechische Staatspleite geben.
Damit ist der nächste Tilgungstermin für die Gläubiger Athens gerettet. Zugleich wird deutlich, wessen Wort Gewicht hat. Das von Herrn Borg war eine Meinungsäußerung. Herrn Schäubles Gestammel ist dagegen eine Entscheidung. Der große Journalistentroß, der in Schäubles Gefolge mit durch Asien tourt, lauscht auch in Bangkok auf jedes seiner Worte. »Die Euro-Zone ist fürchterlich kompliziert«, klagt der alte Herr. Ob sein Schwenk in Richtung mehr Geld für Griechenland zu Hause bei Union und FDP Anklang findet? Eher nicht. So legt er den grandiosen Plan vor, den EU-Währungskommissar (derzeit der Finne Olli Rehn) mit Vetorecht gegen nicht genehme Haushaltspläne der Einzelstaaten auszustatten, also eine Finanzdiktatur gegen die nationalen Parlamente. Der Plan ist so verrückt, daß selbst die EU-Regierungschefs ihn nicht übernehmen werden.
Vorläufiges Fazit: Wenn Macht und Hilflosigkeit sich paaren, kommt Schäuble raus.
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