Quote ohne Frauen Das EU-Parlament wehrt sich gegen die Besetzung des EZB-Direktoriums mit einem weiteren Mann - und fordert die Regierungen heraus
Von Uwe Sattler
Paukenschlag am Donnerstag in Straßburg: Zum ersten Mal verweigerte das Europaparlament einem designierten Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank die Zustimmung.
Am Dienstag hatte es EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy noch einmal versucht. Vor dem Plenum des Europaparlaments in Straßburg warb er für die Qualitäten von Yves Mersch als künftiges Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB). An der fachlichen Eignung des Luxemburgers für den Posten haben die Abgeordneten allerdings kaum Zweifel. Schließlich hat der 63-Jährige bereits als Chef der luxemburgischen Notenbank, in Spitzenfunktionen des Internationalen Währungsfonds und der EZB gearbeitet. Aber: Yves Mersch ist ein Mann.
Alle sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums sind Männer, auch auf den folgenden knapp zwei Dutzend Führungspositionen findet sich keine einzige Frau. Als Nachfolger für den bereits im Frühjahr aus dem Direktorat ausgeschiedenen Spanier José Manuel Gonzales nominierten die Regierungen der Euro-Staaten - ihnen stehen Vorschlagsrecht und endgültige Entscheidung über die Besetzung zu - nun abermals einen Mann. Sollte der Finanzexperte seinen neuen Job antreten, wäre die Männerrunde mindestens bis 2018 unter sich. Erst dann wird wieder ein Platz am Tisch frei.
Diese Missachtung der EU-Grundsätze war dem Währungsausschuss im Europaparlament - dem eine britische Liberale vorsteht - dann doch zu viel. Denn der EU-Vertrag schreibt die Geschlechtergerechtigkeit ausdrücklich vor. Schon Artikel 3 erhebt die »Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern« faktisch in Verfassungsrang. Auch in den Vorschriften zu Besetzung und Arbeitsweise der europäischen Institutionen finden sich analoge Passagen. »Wir sind dagegen, dass die mächtigste Institution der EU für die nächsten sechs Jahre ausschließlich von Männern geleitet wird«, betonte die Ausschussvorsitzende Sharon Bowles. Einen Schritt in die falsche Richtung sieht auch der Finanzexperte Sven Giegold, der für die Grünen im Ausschuss sitzt. Und ergänzt: »Es gibt genug qualifizierte Kandidatinnen.«
Obwohl das Europaparlament die Inthronisierung Merschs nicht verhindern kann, probte der Ausschuss den Aufstand gegen die EU-Oberen. Und bediente sich dabei eines Verfahrenstricks. Zwar bestimmen die Regierungen die EZB-Spitze, der Lissabon-Vertrag sieht jedoch eine parlamentarische Anhörung vor. Diese verweigerte der Währungsausschuss über Wochen - und blockierte damit das gesamte Besetzungsverfahren.
Am Montagabend stellte sich Yves Mersch dann doch dem Ausschuss. Vorausgegangen war unter anderem eine persönliche Intervention des Parlamentspräsidenten. Martin Schulz hatte in einem Brief an Bowles für die Anhörung geworben und einen Deal angeboten. Er wollte sich beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche für mehr Frauen in europäischen Führungspositionen einsetzen - was auch geschah. Im Gegenzug bat er um die Aufgabe der Blockade. Dass das Tauschgeschäft belastbar ist, darf aber bezweifelt werden. So musste EU-Kommissarin Viviane Reding ihren ursprünglich einen Tag nach der Ausschusssitzung erwarteten Plan zur Einführung einer Frauenquote auf Spitzenposten - allerdings bei Großunternehmen - zurückstellen. Sie hatte in der Kommission keine Unterstützung bekommen.
Trotz ihres Einlenkens wollten die Abgeordneten am Montag aber nicht ganz aufgeben: Sie lehnten Mersch als Mitglied des EZB-Direktoriums ab. Das Plenum bestätigte am Donnerstag die Entscheidung. Insgesamt 325 Abgeordneten stimmten gegen Mersch, 300 für seine Ernennung, bei 49 Enthaltungen.
Wie die Regierungen auf das Votum reagieren werden, bleibt offen. Die Ausschussvorsitzende Bowles forderte Parlamentschef Schulz auf, beim EU-Rat die Nominierung einer Frau zu fordern. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Denn die Regierungen brauchen die Kooperation des Parlaments insbesondere bei den laufenden Haushaltsberatungen und der langfristigen Finanzplanung. Der LINKE-Währungsexperte im EU-Parlament, Jürgen Klute, sieht jedoch auch ein politisches Problem. Der Wille der demokratisch legitimierten europäischen Volksvertretung könne nicht einfach ignoriert werden: »Das wäre nichts anderes als ein Putsch gegen das Parlament.«
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