»Da wird gelogen, was das Zeug hält« - In unseren Medien wimmelt es von statistischen Angaben – viele von ihnen sollen bewußt hinters Licht führen. Ein Gespräch mit Gerd Bosbach
Interview: Peter Wolter
Gerd Bosbach ist Professor für Statistik, Mathematik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz, Standort Remagen
Sie haben gemeinsam mit Jens-Jürgen Korff das Buch »Lügen mit Zahlen« geschrieben – es geht darum, wie mit statistischen Angaben manipuliert wird. Hatten Sie dabei vor allem Journalisten als Zielgruppe im Auge?
Haben sich denn Politiker bei Ihnen für Ihre Ratschläge bedankt?
Nachdem Ihr Buch herausgekommen war, wurden Sie zu Vorträgen in Redaktionen eingeladen. Haben die Journalisten Ihnen zugestimmt?
Welche wären das?
Noch ein aktueller Fall: Da heißt es zur Zeit, in der Geschichte der BRD habe es noch nie so hohe Gewerbesteuereinnahmen gegeben wie heute. Der Trick ist, daß die Preise in den vier Jahren, die zum Vergleich herangezogen wurden, um gut sechs Prozent gestiegen sind. Und wenn ich diese sechs Prozent abziehe, kommt wiederum das Gegenteil heraus: Die Einnahmen durch die Gewerbesteuer sind gegenüber dem Jahr vor der Finanzkrise real zurückgegangen.
Können Sie kurz zwei oder drei weitere typische Statistiklügen nennen?
Eine beliebte Lüge ist auch das Hochrechnen kleiner Zahlen über viele Jahre hinweg. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gelobt, 18 Milliarden Euro mehr in die Bildung zu stecken. Sie erwähnte jedoch nicht, daß das Bildungswesen sich diese Summe mit der Forschung teilen muß. Und sie erklärte auch nicht, daß die genannte Summe sich nicht auf das kommende Jahr bezieht, sondern über neun Jahre gestreckt wird. Unter dem Strich kommt für das Bildungswesen deutlich weniger als zwei Milliarden Euro pro Jahr heraus.
Wir werden täglich in den Medien mit Statistiken bombardiert – Quelle sind Ministerien, Universitäten, Wirtschaftsforschungsinstitute oder Umfragefirmen wie Emnid, Forsa usw. Wem kann man am meisten trauen?
Leider geht der Einfluß der Politik stark in die Ministerien und untergeordnete Behörden hinein. Nehmen wir die Arbeitslosen-Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Ihre Bemessungsgrundlagen wurden seit Mitte der 80er Jahre 17 Mal geändert – 16 der Änderungen führten zu niedrigeren offiziellen Arbeitslosenzahlen. Insgesamt stehen heute den 2,7 Millionen offiziellen Arbeitslosen über fünf Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld I oder II gegenüber. Und auch die 4,9 Millionen registrierten Arbeitssuchenden sprechen deutlich gegen die offizielle Darstellung. Die »Stille Reserve« von etwa 1,2 Millionen komplettiert das traurige Bild, auch wenn hier die Statistik unschuldig ist.
Auch bei der Demographie wird kräftig getäuscht. Vorne dabei ist leider auch das Statistische Bundesamt, das immer wieder zu manipulierenden Darstellungen greift. Sicherlich nicht aus Böswilligkeit oder Dummheit, wohl eher im Interesse der Regierenden.
Können Sie Namen der schlimmsten Bösewichte nennen?
Nächste Woche kommt das Buch »Armut im Alter« heraus, in dem Sie als einer der Herausgeber auch mit einem Beitrag vertreten sind. Ist es wiederum eine Auseinandersetzung mit der Statistikbranche?
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