Noch immer keine Lösung für Griechenland
Von Joachim Bischoff
Das griechische Parlament hat mit einer knappen Mehrheit von 153 Stimmen ein neues Sparprogramm über 13,5 Mrd. Euro für die nächsten Jahre gebilligt. Kurz darauf wurde der auf diesen Kürzungen basierende Haushalt für 2013 mit 176 zu 128 Stimmen beschlossen. Er gilt in Griechenland als »härtester Sparhaushalt aller Zeiten« und sieht Ausgabensenkungen in Höhe von knapp 10 Mrd. Euro vor – darunter deutliche Rentenkürzungen.
Allein im kommenden Jahr sollen die Renten um 4,8 Mrd. Euro gekürzt werden. Die so genannten Reformen sehen auch Lohnkürzungen und geringere Abfindungszahlungen vor. Im Bericht der Troika heißt es deutlich: »Es (ist) notwendig, den Widerstand von Besitzstandswahrern und renditehungrigen Interessengruppen zu brechen.« Mit ihren umfassenden Reformen des Arbeitsmarktes habe die griechische Regierung wesentliche Schritte zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eingeleitet. Die durchschnittlichen Löhne fielen 2010 um 5,2% und 2011 um 3,4%; in diesem und dem kommenden Jahr sollen sie um weitere 6,8% schrumpfen.
Das Resultat gefällt den neoliberalen Ökonomen: Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands habe sich erheblich verbessert und die Inflation sei zurückgegangen. Allerdings bleibe noch immer viel zu tun, um eine Wirtschaft zu schaffen, die weniger von den hohen Löhnen und dem Konsum ihrer Staatsbediensteten lebt – und mehr von privaten Investitionen und Exporten. Angemahnt wird deshalb eine Liberalisierung der Güter- und Dienstleistungsmärkte, besonders auf den Feldern Energie und Transport.
Die Wirtschaft des Landes ist durch die vorangegangenen Kürzungsoperationen tief in eine rezessive Abwärtsspirale gerutscht. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) wird nach Schätzungen der Troika im Jahr 2012 um 6% und damit im fünften Jahr schrumpfen. Für das kommende Jahr rechnet sie mit einem weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,2%. Erst 2014 soll es leicht aufwärtsgehen. Weil die Wirtschaft aus der Spur geraten ist, lässt sich auch die Haushaltsplanung für 2013 und 2014 nicht mehr einhalten.
Die Arbeitslosenquote wird im nächsten Jahr durchschnittlich bei etwa 25% liegen und das Leistungsbilanzdefizit voraussichtlich 8,4% des BIP betragen. Auch die Staatsschulden sind auf längere Sicht untragbar hoch. Das Verhältnis der Verbindlichkeiten zur wirtschaftlichen Leistungskraft des Landes wird sich 2013 gemäß den EU-Prognosen auf etwa 189% des BIP belaufen. Das ist mehr als nach dem Schuldenschnitt in diesem Frühjahr. Der Schuldendienst sorgt zusammen mit hohen Staatsausgaben in anderen Bereichen und zu geringen Einnahmen aus Steuern und der Privatisierung öffentlicher Unternehmen dafür, dass der griechische Staat weiterhin enorme Defizite anhäuft. Kurzfristig steht das Land finanziell mit dem Rücken zur Wand.
»Athen hat geliefert«
Die Euro-Gruppe begrüßte den »bedeutenden Fortschritt« hin zu einer revidierten Vereinbarung zwischen Griechenland und der Troika aus Experten der EU-Kommission, der EZB und des IMF über die wirtschaftspolitischen Bedingungen für die weitere Kredithilfe. Ebenso zollte sie der Entschlossenheit der griechischen Behörden Tribut, das Programm endlich energisch umzusetzen. Durch die Verabschiedung eines Reformpakets und des Haushalt 2013 durch das Parlament sei der Sanierungsprozess entscheidend nach vorn gebracht worden. Daher hätten diese Schritte eine »vorläufige positive Einschätzung« durch die Troika erhalten. Schon vor der Sitzung hatte der Vorsitzend der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, vor Journalisten erklärt, damit habe Griechenland »geliefert«. »Nun ist es an uns zu liefern«.
Allerdings gibt es zwei wesentliche Hindernisse für die Bewilligung der Kredittranche von 31,5 Mrd. Euro. Erstens: Die Bundesregierung besteht vor einer Entscheidung über weitere Griechenland-Hilfen auf eine Einigung der Troika der internationalen Geldgeber. EU-Kommission, EZB und IWF müssten sich einstimmig zu klaren Empfehlungen durchringen. Der Bericht sei vorläufig und unvollständig. Entscheidende Passagen fehlten, die Euro-Gruppe könne erst bei Vorlage eines vollständigen Troika-Berichts entscheiden.
Zweitens: Zwischen IWF und Europäern gibt es Differenzen über die Frist für den Abbau der Staatsschulden. IWF-Chefin Christine Lagarde beharrte darauf, den Schuldenberg bis 2020 auf 120% des griechischen Bruttoinlandsprodukts abzubauen. Geht es nach dem Willen der Euro-Finanzminister, bekommen die Griechen zwei Jahre mehr Zeit, um die mit der Troika aus IWF, EU und EZB vereinbarten Haushaltsziele zu erreichen. Dabei ist allerdings noch unklar, wie die dadurch aufreißende Lücke im Staatshaushalt geschlossen werden soll. Denkbar ist etwa, dass die Zinsen, die Griechenland für die Milliardenkredite bezahlt, weiter gesenkt werden und die Zinsgewinne der Darlehensgeber dorthin zurückfließen. In der Bundesregierung hieß es, am Ende werde voraussichtlich ein ganzer Mix von Einzelmaßnahmen stehen.
Der IWF will dagegen am Ziel 2020 festhalten und drängt die Euro-Länder, den Griechen einen Teil der Schulden zu erlassen. Das würde jedoch zulasten auch der deutschen SteuerzahlerInnen gehen. Sie bürgen bereits für gut 49 Mrd. Euro, die im Rahmen des ersten und zweiten Hilfspakets bisher an Griechenland überwiesen worden sind. Ein Teil davon müsste abgeschrieben werden.
Die Position des IWF: Griechenland braucht so schnell wie möglich eine nachhaltige Verringerung der Schuldenlast. Aus dem Ruder gelaufen ist die Langfristplanung wegen der viel tieferen wirtschaftlichen Depression als erwartet. Der Streit über die langfristige Schuldentragfähigkeit, die eine Voraussetzung ist für die Rückkehr des Landes an den privaten Kapitalmarkt, verzögert die Entscheidung über die Auszahlung weiterer Hilfen.
So öffentlich war die Uneinigkeit unter den Kreditgebern noch nie: Der Internationale Währungsfonds und die Euro-Gruppe sind durch ihre Verpflichtungen auf das Hilfsprogramm zwar aneinander gekettet, streiten aber auf offener Bühne über den Ausweg aus dem griechischen Dilemma. »Wir haben Meinungsverschiedenheiten, wir arbeiten daran, wir versuchen sie zu lösen«, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde. Während der IWF und seine Chefin energisch für einen weiteren Schuldenerlass werben, wollen die Finanzminister wollen ihn vermeiden.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble definiert für die Politik der Bundesregierung zwei Essentials: Es werde erstens keine Anhebung der Hilfen und damit kein offizielles drittes Hilfspakets geben. Es gebe »keine Überlegungen, das Programm aufzustocken«. »Wir müssen Wege finden, wie wir ohne dieses Instrument die Lücken schließen.« Zweitens wehrte er sich gegen einen erneuten Schuldenerlass, diesmal der öffentlichen Hand. Für die meisten Länder der Euro-Zone sei ein Schuldenerlass durch nationale Gesetze ausgeschlossen: »Wir sollten uns ohne zu spekulieren auf andere Lösungen konzentrieren«. Auch Juncker bekräftigte: »Mein persönliches Gefühl ist: Zu einer Beteiligung des öffentlichen Sektors wird es nicht kommen.«
Der Grund für den Dissens ist die Frage, ob die Annahmen des Rettungspakets überhaupt noch realistisch sind – ob Griechenland auch nach der Verlängerung überhaupt jemals das Ziel erreichen kann, seine Staatsverschuldung wieder auf ein als tragfähig eingeschätztes Niveau von 120% der Wirtschaftsleitung zu drücken. Es ist ein Grundsatzstreit, der leicht noch zum Scheitern der Bemühungen um Griechenlands Rettung führen könnte.
Der IWF hat bisher etwa ein Drittel der finanziellen Last der Griechen-Rettung getragen. Steigt er aus, würde es für die Länder der Euro-Zone erneut teurer. »Es gibt eine große Wahrscheinlichkeit, dass wir die Zielmarke von 2020 auf 2022 verschieben«, sagt Junker. Lagarde hält dagegen: »Was wir als IWF als wichtig ansehen, ist eine Tragfähigkeit der griechischen Schulden.« Aus Sicht des IWF »ist der angemessene Zeitplan: 120% im Jahr 2020. Wir haben ganz klar unterschiedliche Ansichten.«
Von einer Annäherung an die 120% ist Athen weit entfernt. Die EU-Kommission rechnet mit einem Schuldenstand, der von 177% in diesem Jahr bis 2014 auf knapp 190% steigt – damit landet das Land wieder bei dem Wert vor dem Schuldenschnitt in diesem Frühjahr.
Bestätigt haben die Finanzminister die Bereitschaft, Griechenland mehr Zeit einzuräumen: Die revidierten finanzpolitischen Ziele, wie sie von der griechischen Regierung gefordert und von der Troika unterstützt würden, seien im Lichte der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung eine »angemessene Anpassung«. Wie aus einem Entwurf für ein neues »Memorandum of Understanding« zwischen den Gebern und Griechenland hervorgeht, geht es konkret um eine Verlängerung um zwei Jahre. Neu soll der Primärüberschuss (Saldo des Staatshaushalts vor Zahlung der Zinsen auf die staatlichen Schulden) erst bis 2016 statt bis 2014 auf 4,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) steigen, während das Gesamtdefizit erst 2016 statt 2014 unter 3% des BIP sinken würde. Der Entwurf betont, dass die Konsolidierungsanstrengungen gegenüber dem ursprünglichen Programm nicht gelockert würden, nur würden sie wegen der tieferen Rezession bescheidenere Resultate ergeben.
Vor einer Auszahlung weiterer Hilfskredite durch den Euro-Rettungsschirm müsste der Bundestag den Weg für den deutschen Anteil freimachen. Eine Beteiligung des IWF war für die Bundesregierung stets ein wichtiges Argument, um die Kritiker in ihren eigenen Reihen zur Zustimmung zu bewegen.
Bis zur nächsten Sitzung der Euro-Gruppe sollen alle Optionen zur Deckung der Finanzierungslücke und zur Reduzierung der Verschuldung geprüft werden. Zu den Optionen gehören unter anderem tiefere Zinsen und/oder längere Laufzeiten für die Hilfskredite sowie die Gewährung neuer Kredite an Griechenland, das damit eigene Staatsanleihen zum derzeitigen Discountpreis auf dem Markt zurückkaufen könnte.
Sowohl die EU wie auch Griechenland bemühen sich weiterhin um ein konstruktives Miteinander und einen Verbleib des Landes in der Euro-Zone. Allerdings gibt es auch Grund zur Skepsis. Denn erstens sind viele ähnliche Beschlüsse in der Vergangenheit nicht schnell genug umgesetzt worden. Zweitens wird eine Umsetzung zu weiteren sozialen Verwerfungen und entsprechenden Protesten führen. Das heißt, der gesellschaftliche Widerstand wird zu nehmen. Und drittens argumentieren Kritiker der Rettungspolitik und Ökonomen, Reformen und Sparmaßnahmen seien kontraproduktiv, weil sie das Wirtschaftswachstum in einer Phase mit schwacher Konjunktur erheblich bremsten.
Strukturreformen und Investitionen
Problematisch wird es, wenn ein Reformpaket weder von der Regierung noch von der Bevölkerung mit Überzeugung mitgetragen wird. Die hohe Arbeitslosigkeit und die massive Absenkung der Lebensstandards werden für die demokratische Willensbildung mit der Zeit zu einem großen Problem.
Wachstumsfördernde Investitionen sind mit Sicherheit zu stark gekürzt worden. Angesichts der Abschwächung der Globalökonomie handelt es sich um eine wenig überzeugende Rettungskonzeption. Abgesehen davon ist das Land derzeit weder in der Lage, die von der EU angebotenen Mittel zur Strukturförderung abzurufen, noch auf konstruktive Vorschläge zur gezielten Schaffung von Arbeitsplätzen einzugehen. Dabei lässt sich an Beispielen demonstrieren, wie schnell Änderungen möglich sind: Das chinesische Logistikunternehmen Cosco hatte vor etwa zwei Jahren die Hälfte des Hafens von Piräus gemietet und nach beachtlichen Investitionen das umgesetzte Volumen verdreifacht. Griechenland bietet unausgeschöpftes Potenzial. Aber pauschale Ausgabenkürzungen tragen kaum dazu bei, dieses zu heben.
Ohne einen Mix von innergesellschaftlichen Strukturreformen und gezielten Investitionen wird das Land nicht zu einem befriedigenden Wirtschaftswachstum zurückkehren. Zu diesen gehörte ein umfangreiches Programm staatlicher Investitionen, die Teil einer langfristigen Strategie zur Förderung von Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit sein müssten – auf nationaler wie auf EU-Ebene. Für die Finanzierung eines solchen Programms, das nicht nur für Griechenland, sondern für all die Länder aufgelegt werden müsste, die von der Krise am stärksten betroffen sind, könnte die Europäische Investitionsbank in großem Umfang herangezogen werden, die bereits ermächtigt ist, Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten herauszugeben
Übergangsweise müssten in allen europäischen Krisenstaaten private Investitionen durch ein System von staatlichen Anreizen in eine Richtung gelenkt werden, die den mittelfristig für richtig erkannten Zielen einer modernisierten Wirtschaftsstruktur entspricht. Zu den Instrumenten der Lenkung zählen etwa Landesentwicklungspläne und Raumordnungsprogramme, die zu einem langfristigen staatlichen Infrastrukturkonzept ausgebaut werden sollen.
Die dagegen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU geplanten und von den Programmen der EU und des IWF geforderten Sparpolitiken sind wirtschaftlich kontraproduktiv, wenn es um die Förderung des Wachstums geht. In sozialer Hinsicht sind sie zudem gefährlich, da sie die europäische Gesellschaft in die Armut treiben und zu einer stärkeren gesellschaftlichen Polarisierung führen. Aufgrund der durch die Krise noch verschärften sozialen Spannungen bereiten die Sparmaßnahmen zudem den Nährboden für politische Spannungen, wenn nicht gar für politische Instabilität – rechtspopulistische Optionen gewinnen in vielen Ländern bereits jetzt an Zustimmung.
Den Artikel mit Statistiken finden Sie im beigefügten PDF-Dokument oder auf www.sozialismus.de
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