Klaus Peter (Pitt) Kisker - Ein organischer Intellektueller wird 80
Von Olaf Gerlach, Stefan Kalmring und Andreas Nowak
Klaus Peter (Pitt) Kisker wird am 16.11.2012 80 Jahre alt. In die Jahre gekommen ist er nicht. Mit unermüdlichem Elan mischt er sich weiter in die öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten um die Wirtschafts- und Finanzkrise, um den neoliberalen Umbau der Universitäten und um das Phänomen der Kapitalkonzentration ein.
Und das ist gut so. Denn der marktradikale Unverstand, der die bürgerliche Welt seit mittlerweile fünf Jahren nicht weniger als an den Rand des Abgrunds geführt hat, treibt weiter sein Unwesen und dominiert nach wie vor die veröffentlichte Meinung. Pitt Kisker ist einer von jenen, die mit kritischem Blick und fachökonomischer Expertise ihre Stimme erheben, die nicht einfach ignoriert und überhört werden kann. Seit Jahrzehnten ist er ein Stachel im Fleisch des volkswirtschaftlichen Lehrbetriebs, ein Kritiker, an dem auch der bürgerliche Mainstream nicht einfach vorbei kann.
Pitt Kisker hat Generationen kritischer Studierender geprägt – insbesondere, aber nicht nur am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin, seiner primären Wirkungsstätte. Er ist ein Lehrer im besten Sinne des Wortes gewesen – und er ist es nach wie vor. In den düsteren Gängen der bis zum Fachidiotentum fraktionierten und spezialisierten Sozialwissenschaften ist »Interdisziplinarität« die ständig gepfiffene Melodie. Für Kisker jedoch war und ist diese in seinen Lehrveranstaltungen, in unzähligen Diplomarbeiten und Promotionen eine marxistische, täglich und ohne Tamtam gelebte Selbstverständlichkeit. Er lässt den Studierenden und Promovierenden die notwendigen Freiräume, durch die selbständiges Arbeiten und Denken-Lernen erst möglich wird und gibt Hilfestellung, wo es gewünscht wird. Er ist seit jeher ein natürlicher Feind der Epidemie des Bulimie-Lernens, der Abfolge von Lernen, Prüfen, Vergessen.
Umtriebig war und ist Pitt als Vertrauensdozent bei der Hans-Böckler-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Man geht kaum fehl, ihn im besten Sinne des Worts als Gewerkschaftsintellektuellen zu bezeichnen – seit Jahrzehnten gehört er zum wissenschaftlichen Beirat des »Forum Gewerkschaften« der Zeitschrift »Sozialismus«. Und bei unzähligen Streiks von Studierenden wurde er von diesen immer wieder eingebunden und um Hilfe gebeten. Und er half gerne – mit aller Energie, Phantasie und Mut.
Klaus Peter Kiskers Beiträge zur Verbesserung der Erkenntnislage in den Wirtschaftswissenschaften beschränken sich nicht nur auf die Frage von Erbschaften und deren Verteilungswirkung. Kiskers Arbeitsschwerpunkte sind die kritische Rekonstruktion und Weiterentwicklung der Marxschen und Keynesianischen Theorie, die Erklärung internationaler Wettbewerbsfähigkeit von Ländern und Regionen, die Erforschung der Dynamik von Konzentration und Zentralisation, Fragen nach dem Einfluss der Massenmedien im Kapitalismus sowie Fragen der ökologischen Ökonomie.
Er versteht kapitalistische Ökonomien als Geldwirtschaften, die sich nicht nur ungleichgewichtig, sondern zudem krisenhaft entwickeln. Insbesondere zur Analyse der längerfristigen Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften setzte er mit seiner Interpretation der Stagnationstendenzen der entwickelten Metropolenökonomien als einer Phase struktureller Überakkumulation einen Akzent zur Weiterentwicklung marxistischer Theorie. Kisker interpretiert dabei den Strukturbruch kapitalistischer Gesellschaften seit Mitte der 1970er Jahre als eine Phase struktureller Überakkumulation.
Derartige Krisen sind Resultat des überzyklischen Falls der Profitrate, die daher auch nicht durch kurzfristige Aufschwünge beseitigt werden. Vielmehr kann ab einem gewissen Punkt der Fall der Profitrate nicht mehr durch beschleunigte Akkumulation und steigende Profitmassen ausgeglichen werden. Die daraufhin deutlich zurückgehende Realinvestitionsquote führt einerseits zu Stagnationstendenzen – mit der Folge steigender Arbeitslosigkeit und sich ausdehnender Unsicherheit für die Lohnabhängigen bis hin zu gravierender Armut. Andererseits aber sind die durch die Konzentration und Zentralisation entstanden großen Kapitale zu strategischem Handeln herausgefordert, aber auch in der Lage dazu.
Kisker hat somit solide Erklärungsansätze für die Bildung riesiger Geldkapitale herausgearbeitet, die wiederum auf die Deregulierung und – selbstverständlich krisenhaft-instabile – Entwicklung der finanziellen Akkumulation hinwirken. Erklärlich wird so aber auch die Tendenz, durch Landnahmen und verschiedene andere Formen ursprünglicher Akkumulation vormals nicht warenförmig organisierte Bereiche der Profitlogik zu unterwerfen. Zur Sicherung des Profits kommen dabei verschiedene Varianten zum Tragen, etwa absolute Mehrwertproduktion (z.B. durch Arbeitszeitverlängerung im Pflegebereich in privatisierten Krankenhäusern) oder die Enteignung von Sozialeigentum (z.B. weil vormals garantierte Rentenansprüche aufgekündigt und der staatlich subventionierten Disposition von Finanzdienstleistern anheimgestellt werden).
Während sich andere nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus gleich ganz von der Perspektive einer anderen Gesellschaft verabschiedet haben, streitet Pitt für eine Neubestimmung dessen, was Sozialismus heute sein könnte. Der Niedergang des Realsozialismus ist für ihn unumstößlich, er beharrt aber zu Recht darauf, dass dies nicht als gleichbedeutend mit einem Scheitern sozialistischer Konzeptionen überhaupt missverstanden werden dürfte. Die nichtkapitalistischen Gesellschaften des Ostblocks identifiziert er als »feudosozialistische«, die Grenzen, an die diese gestoßen sind, nicht als zufällige. Feudosozialistisch sei der Realsozialismus gewesen, da er aus der asiatisch-feudalen Produktionsweise Russlands hervorgegangen sei und dessen antidemokratische, repressive und auch stagnativen Elemente bewahrt habe.
Kisker plädiert für ein Gesellschaftsmodell, in dem im Unterschied zu den alten Zentralverwaltungswirtschaften die Informationsflüsse und Entscheidungen in einem gegliederten System von Wirtschafts- und Sozialräten von unten nach oben verlaufen und globale Ziele der Produktion sowie des Konsums demokratisch festgelegt werden. Märkte stehen nach seiner Auffassung nicht im Gegensatz zu einem solchen Sozialismusmodell, sondern sollen stattdessen weiter zum Zwecke der Feinsteuerung ökonomischer Prozesse genutzt werden, um eine optimale Allokation sicherzustellen und um die Räte zu entlasten.
Gegen den nach wie vor dominierenden neoliberalen Ungeist ist die Erarbeitung und Vermittlung solch kritischer (Er-)Kenntnisse wichtiger denn je. Das wissen auch die Studierenden. Es lag auch, gewiss aber nicht allein an der Sympathie der Studierenden gegenüber Pitt Kisker als Mensch, als vor einigen Wochen die studentische Fachschaftsinitiative (FSI) des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft an der FU Berlin durchgesetzt hat, dass im Bachelor Studiengang Volkswirtschaft ein eigenes Modul »marxistische politische Ökonomie« eingeführt wird, welches Pitt anbieten soll. Es war eine Initiative, die gegen den Widerstand des neoliberal dominierten Fachbereichsrats durchgesetzt werden musste. Die Studierenden aber wissen: bei ihm können sie lernen, warum sie einer größer werdenden beruflichen Unsicherheit entgegengehen – und was dagegen getan werden kann. Auf Pitt Kisker wird der Ruhestand noch warten müssen.
Olaf Gerlach, *1967, von zwischen 1995 und 2001 bei Pitt Kisker Studium der Volkswirtschaftslehre, von 2003 bis 2008 Kapital-Lektüre Kurse am LS Kisker, arbeitet seit 2009 als Referent für Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag.
Stefan Kalmring, *1972, Dr. phil., Soziologe und Volkswirt, Kommunikations- und Verhaltenstrainer, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Yvonne Ploetz (MdB, DIE LINKE), letzte Buchveröffentlichung: Die Lust zur Kritik. Ein Plädoyer für soziale Emanzipation, Dietz Verlag Berlin, 2012.
Andreas Nowak, *1969, Soziologe, Redaktionsmitglied der Zeitschrift antirassistischer Gruppen (ZAG), Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Yvonne Ploetz (MdB, DIE LINKE); letzte Buchveröffentlichung: Olaf Gerlach/Marco Hahn/Stefan Kalmring/Daniel Kumitz/Andreas Nowak (Hrsg.): Globale Solidarität und linke Politik in Lateinamerika, Berlin 2009
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