Warum die Finanzkrise pausiert
Von Lucas Zeise
Die wirtschaftliche Lage EU-Europas ist im Laufe des Jahres nach allen statistischen Daten erheblich schlechter geworden. Das Bruttosozialprodukt stagniert, die Arbeitslosigkeit wächst. Auch real ist die Lage für fast alle Bewohner dieses nach einem Erdteil benannten Machtgebildes noch weniger erfreulich als vor einem Jahr. Am Finanzmarkt dagegen werden EU- und Euro-Europa derzeit mit Nachsicht behandelt. Gemessen am Dollar ist der Euro mit 1,3250 derzeit ziemlich teuer. Die Anleihen der südeuropäischen Staaten werden von Banken, Versicherungen, Hedge- und anderen Fonds als spekulative Beimischung im Portefeuille wieder genommen. Die Zinsen in Italien, Portugal und Spanien haben sich damit auf ein fast erträgliches Niveau ermäßigt. Tatsächlich ist die Lage zwar schlimmer geworden, aber finanztechnisch ist der Handlungsdruck weniger akut.
Wem haben wir das zu verdanken? Zum einen Mario Draghi, dem italienischen Chef der Europäischen Zentralbank, zum anderen dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Draghi hat mit seiner in der Londoner City gemachten Bemerkung, die EZB werde »alles« tun, um den Euro zu verteidigen, den Financiers dieser Welt klargemacht, daß das von Deutschen der Notenbank verordnete Staatsfinanzierungsverbot für ihn und seine EZB nicht mehr gilt. Die Finanzanleger können sich seitdem darauf verlassen, daß die Anleihen-Kurse der Problemländer nicht absacken, denn im Notfall werde die EZB sie stützen. In Deutschland hat Draghis eigentlich selbstverständliche Lösung, daß nämlich nicht nur private Banken sondern auch die staatliche Notenbank dem Staat Kredit geben kann, zu einem Aufschrei der Empörung bei der neoliberalen Rechten geführt. Ein wichtiges Mittel, die Ausgabenpolitik der Staaten einzuschränken und zu kontrollieren werde so aus der Hand gegeben, maulten sie. Und einige Linke jammerten mit – dieses Mal wirklich an der falschen Stelle.
Draghi wirkte auf die Finanzjongleure aller Länder vor allem deshalb überzeugend, weil er die Rückendeckung zwar nicht der Deutschen Bundesbank, aber die der deutschen Regierung hatte. Ihr fiel der Segen zu Draghis Notfalloperation auch deswegen so leicht, weil die EZB erklärtermaßen nur jene Regierungen mit dem Kauf von Staatsanleihen unterstützt, die einen harschen, antisozialen und restriktiven »Reform«-Kurs verfolgen. Außerdem trat kurz nach Draghi Wolfgang Schäuble mit seinem in Singapur genuschelten »There will be no Staatsbankrott« auf den Plan. Damit war der zu Jahresanfang 2012 noch ins Auge gefaßte Rausschmiß Griechenlands aus der Euro-Zone vom Tisch. Auf absehbare Zeit würde es keinen weiteren Schuldenschnitt geben. Schäubles Wort galt und gilt noch als Bürgschaft des Bundes für alle finanziellen Folgewirkungen.
Mehr als ein paar weitere Monate wird die Finanzkrise dennoch nicht pausieren. Dann setzen sich trotz Draghi und Schäuble ganz klassisch die fundamentalen – verdammt üblen – realwirtschaftlichen Fakten durch.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main
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