Interview: Mirko Knoche
Die EU-Finanzminister haben am Dienstag den Weg für die sogenannte Finanz-transaktionssteuer freigemacht. Was muß passieren, damit sie auch in die Tat umgesetzt wird?
Es handelt sich um ein mehrstufiges Verfahren. Jetzt haben alle EU-Finanzminister erst einmal beschlossen, daß ein Teil von ihnen eine »verstärkte Zusammenarbeit« eingehen kann, um diese Steuer umzusetzen, ohne die anderen EU-Partner einbeziehen zu müssen. Die inhaltlichen Verhandlungen können jetzt erst beginnen.
Dennoch hat sich ATTAC schon den Sieg auf die Fahne geschrieben. Kommt das zu früh?
In den 40 Jahren meines politischen Lebens habe ich es selten erlebt, daß eine linke Organisation sich mit einem solchen Ziel gründet. ATTAC ist es jedenfalls gelungen, innerhalb von nur 13 bis 14 Jahren die geforderte Finanztransaktionssteuer durchzusetzen.
Es wird bestimmt noch über ein Jahr dauern, bevor konkrete Bestimmungen in nationales Recht einfließen. Wir müssen jetzt darauf achten, daß diese Steuer nicht mit Hilfe von vielen Ausnahmen durchlöchert wird. Sie wird die Staatseinnahmen erhöhen sowie – noch wichtiger! – die Transaktionen auf den Finanzmärkten beeinflussen und den Hochfrequenzhandel austrocknen.
Die diskutierten Steuersätze, die pro Buchung anfallen, bewegen sich im Promillebereich. Wie soll sich das auswirken?
Der Satz ist niedrig genug, um realwirtschaftliche Geschäfte und die individuelle Altersvorsorge nicht zu stark zu belasten.
Davor warnen die Banken aber.
Das ist Unsinn, ein durchschnittlicher Riester-Sparvertrag kostet über 30 Jahre gerechnet 25 Euro Transaktionssteuer, dagegen werden fast 1 000 Euro an Bankgebühren fällig.
Wozu also das Ganze?
Um kurzfristige und hochspekulative Transaktionen zu verhindern. Der Hochfrequenzhandel funktioniert nur, weil ein Geschäft mit einem Gewinn im Promillebereich bis zu 500 Mal pro Sekunde abgewickelt wird, und sich dann ein deutliches Plus ergibt. Eine Steuer hingegen würde ebenfalls bis zu 500 Mal fällig und das Geschäftsmodell wäre nicht mehr lukrativ. Als Händler treten vollautomatische Computer auf, die mathematisch gesteuert werden, ohne menschliche Beteiligung.
Was negative Kursentwicklungen an der Börse potenziert und so zu gewaltigen Crashs geführt hat. Ist die Steuer also ein kleiner Schutzschirm für die Banken?
Banken und Versicherungen wären zwar besser gegen Crashs gewappnet, aber am Hochfrequenzhandel verdienen die Banken ja durch Gebühren mit, die sie von den Auftraggebern verlangen. Insofern sperren sich die Banken gegen die neue Steuer. Sie sehen sowohl einen Teil ihrer Profite als auch Tausende Arbeitsplätze in Europa gefährdet.
Die Idee der Finanztransaktionssteuer ist gar nicht so neu. Im Gegenteil, sie wurde bereits 1972 vom US-Ökonomen James Tobin entwickelt und trug lange Zeit den Namen Tobin-Steuer. Damals gab es den heutigen Hochfrequenzhandel nicht. Was war damals das Ziel der Steuer?
Es ging seinerzeit um spekulative Devisengeschäfte und Währungskriege zwischen verschiedenen Wirtschaftsräumen. Heute dominieren andere Finanztitel, am gefährlichsten sind nicht Aktien, sondern deren Derivate. Das sind Spielprodukte für Zocker im Finanzcasino, und sie sind sehr beliebt. Die müssen unbedingt der Finanztransaktionssteuer unterworfen werden. Die entscheidende Wende in der Debatte um ihre Einführung war ein Vorschlag der EU-Kommission. Demnach soll die Steuer nicht mehr am Handelsplatz anfallen, sondern in der Heimat des Auftraggebers. So wurde das Argument außer Kraft gesetzt, daß die Einführung dieser Steuer ein Abwandern des Geschäfts nach London bewirke.
ATTAC hat immer gefordert, daß die neuen Einnahmen in Sozialprojekte fließen. Geht das?
Mit Ausnahme der Kfz-Steuer fließen alle Steuern in einem Topf zusammen und werden von dort aus wieder verteilt. Dennoch werden wir uns dafür stark machen, daß mindestens die Hälfte der neuen Einnahmen zur Armutsbekämpfung und zum Umweltschutz in die Entwicklungsländer fließen. Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) wollen das Geld aber im großen Topf behalten.