Bankenrettungsmaschine - Die europäischen Regierungen zwingen einander zur Solidarität zwecks Stabilisierung der Euro-Zone: Ein Tribut an das Finanzkapital

Von Lucas Zeise

16.02.2013 / Junge Welt, 11.02.2013

Die Rezession in Europa geht ihren Gang und fordert ihre Opfer. Dennoch legt die Euro-Finanzkrise seit einem halben Jahr Pause ein. Pause heißt: Italien und Spanien erhalten am Finanzmarkt wieder Kredit und zwar zu Zinsen, die gerade noch tragbar sind. Verantwortlich dafür sind Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, und Wolfgang Schäuble, der deutsche Bundesminister der Finanzen. Draghi hat im Sommer glaubhaft versichert, im Notfall unbegrenzt Staatsanleihen dieser Länder zu kaufen. Die »Drohung« genügte, um die internationalen Finanzspekulanten zum Kauf dieser Anleihen zu motivieren. Schäuble hat Griechenland (und seinen Gläubigern) mit der Aussicht auf mehr Geld aus Deutschland den Staatsbankrott und den Austritt aus der Euro-Zone erspart. Man tut beiden, Draghi und Schäuble nicht Unrecht, wenn man darauf verweist, daß sie diesen Politikschwenk nicht hätten vollziehen können, wenn die deutsche Kanzlerin, Frau Angela Merkel (ihrerseits im Auftrag der deutschen Kapitalistenklasse) ihnen dies nicht ausdrücklich gestattet hätte.

Ist die Euro-Finanzkrise damit erledigt? Nein. Selbst Draghi, Schäuble und Merkel wissen, daß ihre Worte nur Hilfsmaßnahmen waren. An der Tatsache der falschen Konstruktion des Euro, dem verheerenden Wettbewerb völlig ungleicher EU-Länder um die Gunst des Kapitals, an der Überdimensioniertheit und Fragilität des Finanzsektors, an der immer ungleicher werdenden Verteilung und an der weltweiten Wirtschaftskrise ändern ihre Hilfsmaßnahmen zunächst nichts.

»Fragilität« des Finanzsektors – man kann es auch anders ausdrücken: Es ist die Anfälligkeit der Banken zu kollabieren. Sie ist immer noch da und dürfte angesichts der fortschreitenden Rezession nicht geringer werden. Dagegen haben die Regierungen der Euro-Zone im vergangenen Jahr den Plan einer »Bankenunion« entwickelt. Damit verfolgen sie zum ersten Mal in dieser Krise einen politischen Ansatz, der einen Ausgleich zwischen den Ländern verfolgt. Auf perverse Art soll dabei eine gewisse Solidarität zwischen den Ländern hergestellt werden. Das widerspricht diametral dem Konstruktionsprinzip der EU allgemein und der Währungsunion im besonderen, die auf dem Wettbewerb zwischen Ländern fußen. Statt dessen soll das Problem, das in einem Land auftaucht, von einer gemeinsamen Institu­tion und aus gemeinsam erbrachten Finanzmitteln gelöst werden. Ein weiterer Vorteil dieses Plans besteht darin, daß er sich nicht auf die Staatshaushalte konzentriert und deren Defizite, sondern daß er auf die eigentlich schwache Stelle des wackligen Staatsfinanzkomplexes, nämlich die Banken, zielt.

So schön das klingt, so bleibt es doch pervers. Denn die neue Solidarität zwischen den Euro-Ländern bezieht sich ausgerechnet auf die Banken. Es ist ein Bankenrettungsplan, der den Zweck hat, das Finanzvermögen auch in den ökonomisch schwachen Ländern zu retten. Wenn man konstatiert, daß die aktuelle Weltwirtschaftslage immer noch dadurch charakterisiert ist, daß das Geldvermögen im Vergleich zum produktiv eingesetzten Realkapital viel zu umfangreich und damit der Teil des Profits, der in den Finanzsektor fließt, zu hoch ist, dann muß man die Installation eines Mechanismus zwischen den Euro-Staaten, der diesen Tribut an das Finanzkapital absichert, als üble, ja verheerende Entwicklung begreifen. Die Profiteure sehen das freilich und wenig überraschend anders.

Die freundliche Stimmung an den Finanzmärkten hat neben Draghis und Schäubles Eingreifen auch mit diesem Plan der Bankenunion zu tun. Nicht sicher ist allerdings, ob der Plan auch Realität wird. Wäre das der Fall, dann entfiele auch ein Sondervorteil, den deutsche Kapitalisten gegenüber ihren Konkurrenten im Euro-Ausland genießen. Der Vorteil besteht im günstigen Zugang zu Kapital, das heißt, deutsche Kapitalisten erhalten Kredit zu niedrigeren Zinsen als andere. Diesen Vorteil zugunsten des Zusammenhalts der Währungsunion auch nur teilweise aufzugeben, wäre ein untypisches Verhalten der deutschen Kapitalistenklasse und ihrer Regierung.

Renationalisierung 2008

Es war also recht überraschend, daß Kanzlerin Angela Merkel auf der Gipfelkonferenz der Euro-Länder im Juni vergangenen Jahres dem Plan einer Bankenunion wenigstens im Prinzip zustimmte. Der Beschluß war betont vage gefaßt. Dennoch bedeutet er das generelle Eingeständnis der Regierungen, daß die Bankenrettungsmaßnahmen auf nationaler Ebene vom Herbst 2008 ein Fehler waren und daß der Finanzsektor des Euro-Gebietes und die Währungsunion selber ohne massive Transfers zwischen den Staaten nicht gerettet werden können. Zur Erinnerung: Als im Herbst 2008 die US-Regierung die Investmentbank Lehman Brothers pleite gehen ließ und das Weltfinanzsystem damit zu wackeln anfing, griffen die Regierungen mit riesigen Summen helfend ein, um »ihre« Banken zu retten. Zwar war das Problem ein weltweites. Ein weiterer Konkurs nach Lehman hätte eine Kettenreaktion auslösen und bisher noch nicht betroffene Institute vernichten können. Mit dem Hauptstandort einer Bank hatte all dies nichts zu tun. Doch wurden die Rettungsmaßnahmen der Staaten auf nationaler Basis vorgenommen. Das galt auch für den Währungsraum des Euro. Die EU-Kommission versuchte kurz, eine gemeinsame Rettungsaktion durchzusetzen, stieß vor allem aber in Berlin auf Ablehnung. Die damalige große Koalition begründete den besonders großen Umfang ihres Rettungsprogramms von 480 Milliarden. Euro mit dem Wunsch, die deutschen Banken zu stärken. Das, so kann man im Rückblick sagen, ist ihr vollständig gelungen.

Bemerkenswert an den damaligen national getrennten Rettungsaktionen ist immerhin, daß sie gegen das Ziel der EU verstießen, einen einheitlichen Kapitalmarkt in Europa zu schaffen. Man hatte angenommen, daß allein die Tatsache, daß die Europäische Zentralbank allen Banken mit Sitz im Euro-Gebiet Kredit zum überall gleichen Leitzins gewährt, schon für eine Annäherung der Finanzierungsbedingungen der Banken sorgen würde. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007 war das auch der Fall. Danach setzte Mißtrauen ein. Die Banken verließen sich für ihre kurzfristige Finanzierung immer mehr auf die EZB, die ihnen kurzfristigen Kredit in praktisch jeder gewünschten Höhe gewährte. Die langfristige Finanzierung wurde jedoch immer unsicherer und differenzierte sich nach nationalen Standorten. Die Schönwetterveranstaltung sinkender und sich angleichender Zinssätze war beendet. Die nationalen Rettungsaktionen zugunsten jeweils nationaler Banken im Herbst 2008 bedeutete eine Renationalisierung in der Euro-Zone. Die 2012 erklärte Absicht der Regierungen, eine Bankenunion schaffen zu wollen, heißt also, sofern sie diesen Beschluß wirklich ernst meinen, daß sie die 2008 national vorgenommenen Notoperationen nun für einen Fehler halten.

Man kann also schlußfolgern, daß die deutsche Seite dem Beschluß zur Bankenunion nur deshalb zustimmte, weil sie die Überlebenschancen der Währungsunion andernfalls als sehr gering einschätzte. Ein kurzer Rückblick weist das aus: Im Herbst 2011 stand die »freiwillige« Umschuldung der griechischen Staatsschulden bevor. Mit dem von außen erzwungenen Rücktritt der Regierung Papandreou und bevorstehenden Neuwahlen wurde die politische Lage in Griechenland aus der Sicht der bestimmenden Euro-Regierungen immer unübersichtlicher. So gelobten die Euro-Lenker, ihre jeweils heimischen Banken gegenüber einer Staatspleite plus Euro-Austritt Griechenlands wetterfest zu machen. Die Bundesregierung reaktivierte das alte Bankenrettungsprogramm von 2008 und reservierte für diesen Zweck wie damals 480 Milliarden Euro. Ohne nennenswerten Widerstand verabschiedete das Parlament Anfang 2012 diesen Rettungsfonds, dessen Belastung für den Bundeshaushalt potentiell deutlich höher ist als die Anteile des Bundes für die europäischen Rettungsfonds EFSF und ESM. Die wenigsten anderen Euro-Länder konnten es sich nicht leisten, so zu handeln, zumal jene nicht, deren Banken aktuell in Schwierigkeiten waren.

Im Zuge der langsamen Wiedereintrübung der Weltkonjunktur und im Gefolge der mit Brüssel abgesprochenen Austeritätspolitik der Regierung Rajoy begannen zugleich einige spanische Banken, sichtbar zu wackeln. Spanien hat besonders viele und besonders große Banken, vor allem dank des bis zum Ausbruch der Finanzkrise ausufernden Immobilienbooms. Die Verschuldung des spanischen Staates war zwar zu Beginn der Krise geringer als die Deutschlands. Eine umfassende Rettung der spanischen Banken aber hätte seine Finanzen überfordert. Und eine umfassende Zwischenfinanzierung des spanischen Staates und der spanischen Banken wie bei den bisherigen Notoperationen in den Fällen Griechenland, Portugal und Irland über die offiziellen Rettungsschirme EFSF oder ESM wäre an die Grenzen dieser Fonds gestoßen. Außerdem hätte es den Schuldenstand des spanischen Staates dramatisch erhöht und es dem Land noch schwerer gemacht, am Kapitalmarkt zu tragbaren Zinsen an frisches Geld zu kommen. In Erwartung dessen stiegen die Risikoprämien für spanische (und italienische) Anleihen steil an.

Ackermann, Monti und Asmussen

Vor diesem Hintergrund gewann der Plan einer Bankenunion an Fahrt. Sein Ursprung läßt sich auf die internationale Vereinigung der Großbanken (IIF – Institute of International Finance) zurückführen, deren Vorsitzender der damalige Chef der Deutschen Bank, der Schweizer Josef Ackermann war. Im politischen Euro-Europa war es Mario Monti, der von Frau Merkel, Nicolas Sarkozy und seinen früheren Kollegen aus der EU-Kommission erwählte Ministerpräsident Italiens. Obwohl er von Merkel in dieses Amt geschubst worden war, war Monti in der Lage, die Interessen der italienischen Kapitalisten mit denen der internationalen Finanzhäuser unter einen Hut und im Europäischen Rat eine Mehrheit gegen die deutsche Regierung in Stellung zu bringen. Das war natürlich kein Alleingang Montis. Er erhielt auch Unterstützung aus der EZB, wo es Mario Draghi gelungen war, die auf extreme deutsche Dominanz pochende Bundesbank und ihren Präsidenten Jens Weidmann im Zentralbankrat zu isolieren. Einer der ganz frühen Befürworter einer Bankenunion war Jörg Asmussen, der von Angela Merkel ins Direktorium der EZB geschickt worden war und sich dort wenig überraschend erneut als Stimme seines wahren Herrn Josef Ackermann erwiesen hat. Asmussen knüpfte dabei an sein für die Banken so segensreiches Wirken im Jahr 2008 an. Damals war er im Berliner Finanzministerium unter dem beredten, aber ziemlich ahnungslosen Peer Steinbrück noch nicht einmal Staatsekretär. Und dennoch gelang es ihm, unglaublich viel Staatsknete zunächst zur Rettung der Hypo Real Estate und anderer unwichtiger Institute und sodann 480 Milliarden. Euro zur freundlichen Subvention aller deutschen Banken locker zu machen. Der Dank der Banker war ihm gewiß, und so sorgten sie dafür, daß der Herr mit SPD-Parteibuch von der ab 2009 amtierenden schwarzgelben Regierung nicht nur übernommen wurde, sondern dortselbst auch Karriere machen konnte.

Zur Vorbedingung für die Installation der Bankenrettung wurde in der entscheidenden Gipfelkonferenz der EU am 28./29. Juni 2012 in Brüssel auf Drängen der deutschen Regierung eine wirksame europäische Bankenaufsicht erhoben. Auch dies war ein Eingeständnis vorangegangener Fehlentscheidungen. Erst Anfang 2011 war mit großem Pomp die European Banking Authority (EBA) in London installiert worden. Sie war Resultat der deklarierten Bemühungen der EU, nach dem Desaster der Finanzkrise die gesamte, bisher nur national organisierte Aufsicht über den Finanzsektor zu reformieren und überhaupt eine effektive Aufsicht auf europäischer Ebene zu schaffen. Entgegen den Behauptungen der Regierenden und der Parlamentarier in Europa wurde keine wirkliche Finanz- und Bankenaufsicht geschaffen sondern nur eine Reihe von Koordinierungsgremien.

Eine wirkliche Bankenaufsicht hätte die Macht, bei Gefahr im Verzug eine Bank zu schließen, ihre Geschäftsführer zu entlassen oder ihre Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Tut sie es nicht, ist der Staat, in dessen Namen sie agiert, praktisch gezwungen, die Bank zu stützen, damit das Finanzsystem nicht zusammenbricht. Der Mechanismus wurde zu Genüge in der Finanzkrise durchexerziert. Diese Durchgriffsrechte, Entscheidungskompetenzen und Initiativrechte hat die 2011 geschaffene und immer noch agierende EBA nicht. Vielmehr ist sie ein Gremium, das die Koordination der nationalen Aufsichtsbehörden übernehmen und in Streitfällen zu einer Entscheidung beitragen soll. Den über die Grenzen hinweg tätigen Banken stand und steht auch nach Gründung der EBA und seiner Schwesteraufsichtsbehörden für Versicherungen und Wertpapierhändler keine transnationale Aufsicht auf EU- oder Euro-Ebene gegenüber.

»Technokratischer Staatsstreich«

In der Juni-Konferenz faßten die Regierungschefs keine konkreten Beschlüsse darüber, wann und wie eine solche Bankenaufsicht errichtet werden sollte. Ein unrealistischer Zeitplan sah vor, daß die Dinge bis Ende 2012 im Prinzip geregelt sein sollten. Außerdem wurde vorgeschlagen, diese Aufgabe der EZB zu übertragen. Die Gipfelkonferenz Mitte Dezember 2012 regelte wenig mehr darüber hinaus. Weil sich die Lage, wie oben geschildert, an den Finanzmärkten etwas entspannt hatte, wurde der extrem ambitionierte Zeitplan entzerrt. Nun soll die europäische Bankenaufsicht im Frühjahr 2014 ihre Arbeit aufnehmen. Es blieb dabei, daß man die EZB mit dieser Aufgabe betrauen wollte. Der erste Grund dafür ist, daß es die EZB als neben der Kommission einzige funktionierende transnationale EU-Institution bereits gibt. Zudem sind die Zentralbanken, welche die EZB in fast allen Euro-Ländern, so auch in Deutschland die Bundesbank, tragen, mit der praktischen Überwachung der Banken bereits befaßt. Der zweite Grund ist, daß sie als Schöpferin des Geldes über unbegrenzte Mittel verfügt und damit jederzeit in der Lage ist, die Schulden fallierender Banken zu übernehmen. Drittens ist die EZB nicht nur die gemeinsame Zentralbank der EU-Staaten, sondern vor allem die Bank der Banken in Euro-Land. Sie sorgt mit ihren Kreditfazilitäten täglich, ja stündlich für das Überleben und Wohlergehen der Geschäftsbanken. Sie hat sie in der Krise effektiv gestützt und ihnen erklärtermaßen und auch in der Realität immer soviel Geld geliehen, wie sie brauchten.

Die Bankenaufsicht in der Hand der EZB wäre die Komplettierung dessen, was Jacques Attali, der ehemalige Berater des französischen Präsidenten François Mitterrand, als »technokratischen Staatsstreich« (FAZ, 21.1.2013) bezeichnet hat. Attali stellt dabei darauf ab, daß die EZB-Gremien darüber entscheiden, welches Land zu welchen Konditionen weiteren Kredit erhält und welche Wirtschafts- und Verteilungspolitik es dafür betreiben muß. Die Entscheidung darüber, welche Bank unter welchen Konditionen überlebt, welche hochgepäppelt wird und welche abgewickelt werden soll, all das soll künftig, wenn die Gipfelbeschlüsse Wirklichkeit werden, ebenfalls von diesem verfassungs- und vertragsgemäß niemandem verantwortlichen Expertengremium gefällt werden. Die »Bankenunion« wäre also die Krönung eines solchen Staatsstreiches. Die Regierungen übergeben dabei die letzten Teile ihrer Macht, Wirtschaftspolitik zu betreiben, an einen kleinen Trupp von Technokraten, die keinen Zweifel daran lassen, daß sie diese Macht planvoll im Sinne des zu beaufsichtigenden Finanz- und Spekulationskapitals ausüben werden.

Eine kleine – vielleicht optimistisch stimmende – Schlußbemerkung: Noch ist die euro-weite Bankenunterstützungsmaschine nicht Realität. Auf dem Weg dahin müssen noch viele kontroverse Entscheidungen getroffen werden. Vor allem aber: Der Sondervorteil niedriger Zinsen, den deutsche Unternehmen derzeit genießen, wäre dahin. Schwer vorstellbar, daß eine deutsche Regierung dem zustimmt.