Die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige ist überfällig

Rede von Dr. Barbara Höll

26.04.2013 / linksfraktion.de, 24.04.2013
Redebeitrag von Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.) am 24.04.2013 um 16:00 Uhr (236. Sitzung, TOP ZP1)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing, Ihre pseudojuristischen Darlegungen können Sie sich sparen

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP ‑ Holger Krestel (FDP): Jetzt redet die Blinde von der Farbe!)

Wir müssen klar feststellen: Die strafbefreiende Selbstanzeige gab es schon 1919 in der Reichsabgabenordnung. Es ist ganz klar, dass das eine Besonderheit im Strafrecht ist. Niemand, der in der Straßenbahn schwarz fährt, seine 40 Euro Strafe bezahlt hat und nach dem dritten Mal Erwischtwerden eine Strafanzeige am Hals hat, kann hingehen und sagen: Ich bin bereit, 100, 200, 300 Euro zu zahlen; die Anzeige aber bitte lasst das unter den Tisch fallen.

(Gisela Piltz (FDP): Frau Kollegin, das ist doch kein Strafrecht!)

Durch solche Bagatellfälle werden die Gerichte en gros belastet. Auch dagegen müssten wir endlich einmal etwas tun.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist doch Quatsch! Wenn einer bekannt ist, kann er sich nicht mehr anzeigen! So ein Quatsch!)

Für den Bereich der Selbstanzeige gilt ‑ das sagen Juristen; Herr Präsident, ich erlaube mir, Rechtsanwalt Carsten Wegner zu zitieren ‑:

Die Selbstanzeige ist rein fiskalisch motiviert und nebenher Folge eines nicht zu leugnenden behördlichen Ermittlungsnotstands.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sie sind Justiziar der Linken?)

Mit ihr will sich der Staat bislang unbekannte Steuerquellen erschließen und verzichtet im Gegenzug auf seinen Strafanspruch...

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Hört! Hört!)

Der vom Staat erstrebte finanzielle Zweck heiligt die strafrechtlichen Mittel.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ist es!)

Das ist die Realität. Das ist der Kern der strafbefreienden Selbstanzeige, und deshalb gehört sie abgeschafft, ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns einmal das deutsch-schweizerische Steuerabkommen an. Es wird immer gesagt, demjenigen, der Steuern umgeht, müsse unbedingt eine Brücke in die Ehrlichkeit gebaut werden. An diesem Brückenbauen ist schon Herr Eichel gescheitert. Vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2005 konnte man sich selbst anzeigen: Steueramnestie, Strafzahlung, und alles war schön. Herr Eichel dachte, dass er 5 Milliarden Euro einnehmen wird; herausgekommen sind 1,39 Milliarden Euro. Es ist gescheitert. Die Steuersünderinnen und ‑sünder ‑ dieser Begriff klingt schon ein wenig beschwichtigend ‑, also diejenigen, die wirklich kriminell gehandelt haben, haben einen Teufel darauf gegeben, diese Möglichkeit zu nutzen. Jetzt haben wir eine etwas andere Situation. Das hat sicher auch mit dem angebotenen Ankauf der Steuer-CDs zu tun. Nun können sich die Steuersünder eben nicht mehr sicher sein, was passiert.

Es gab also Verhandlungen mit der Schweiz. Vor kurzem gab es auch ein Treffen der G-20-Staaten, und siehe da: Selbst die Schweizer Finanzministerin, Frau Eveline Widmer-Schlumpf, will sich jetzt dem automatischen Datenaustausch anschließen. Meinen Sie denn, das hätte die Schweizer Finanzministerin getan, wenn das Steuerabkommen abgeschlossen worden wäre? Mitnichten!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie hatten vorgeschlagen und wollten durchziehen, dass die sogenannten Altfälle anonym bleiben. Nach Ihren Unterlagen hätten diese 21 bis 41 Prozent des nicht versteuerten Geldes nachzahlen müssen. Ich verweise auf den Berliner Steuerprofessor Frank Hechtner, der gesagt hat, dass wahrscheinlich 78 Prozent mit einer Nachzahlung von 21 Prozent davongekommen wären. Die 41 Prozent waren also eine totale Luftnummer.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Woher weiß der denn das?)

Außerdem hätte die Nachzahlung durch die Schweizer Banken erhoben werden sollen. So hätte keine deutsche Finanzbehörde die Möglichkeit der Prüfung gehabt. Wo sind wir hier denn? Wir haben die Hoheit.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD ‑ Joachim Poß (SPD): Die sind ja untadelig, die Schweizer Banken!)

Zudem sollte die Sache anonym bleiben. Es ging also um ein Verschonen auf der ganzen Linie. Das wäre nichts anderes als eine verkappte Großamnestie gewesen. Dem konnte Rot-Rot-Grün im Bundesrat nicht zustimmen, und das war richtig so.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Jetzt ist es schon einmal ausgesprochen: „Rot-Rot-Grün“!)

Bei den Neufällen wollten Sie die Abgeltungsteuer erheben. Dazu sage ich: Was gibt uns denn die Sicherheit, dass sie von den Schweizer Behörden richtig erhoben und abgeführt wird? Wir haben keine Sicherheit. Sie wissen selbst, dass die Abgeltungsteuer eine schwierige Angelegenheit ist. Die Abgeltungsteuer, die Sie unter der Überschrift „Steuervereinfachung“ eingeführt haben, hat mitnichten zur Steuervereinfachung beigetragen. Das ist eine Verkomplizierung. Die Auslegung dieser Vorschrift füllt regelrecht Bände. Man kann Fehler machen; aber das ist einfach nur Unsinn. Sie wollten das wieder der Schweiz überlassen. Wir können diese Unkultur der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung nur beseitigen, wenn klar ist: Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, und die wird als Straftat verfolgt, und man kann sich nicht einfach freikaufen.

Wir brauchen auf internationaler Ebene einen automatischen Informationsaustausch. Wir brauchen Maßnahmen und Druck, um sicherzustellen, dass die Staaten, die sich auf dem Papier bereit erklärt haben, zu helfen, auch tatsächlich mitwirken. Wir müssen uns auch die Aktivitäten der deutschen Banken anschauen. Wir müssen zum Beispiel schauen, wie es mit den Niederlassungen der Deutschen Bank in Steueroasen aussieht.

Hier gibt es also viel zu tun. Ich freue mich auf die Debatte am Freitag und auf Ihr Abstimmungsverhalten zu unserem Antrag zur Bekämpfung von Steueroasen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Rede können Sie im nachfolgenden Podcast sehen