Europäische Wirtschaft: Atempause, keine Trendwende

Von Joachim Bischoff

21.08.2013 / sozialismus.de, vom 15.08.2013

Nach sechs Quartalen wirtschaftlicher Schrumpfung hat sich die Ökonomie der Eurozone leicht erholt. Deutschland, aber auch Frankreich sind stärker als erwartet gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt der 17 Eurostaaten stieg im zweiten Quartal (April-Juni) gegenüber dem Vorquartal um 0,3%.

Deutschlands Bruttoinlandsprodukt wuchs im zweiten Quartal um 0,7%. Ob die in der Öffentlichkeit beschworenen Bilder von »starkem Comeback« oder »Befreiung aus der Rezession« die wirkliche Entwicklung einfangen, soll bezweifelt werden. Im sechsten Jahr nach dem Ausbruch der Großen Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Bundesrepublik das Vorkrisenniveau des Wirtschaftsprodukts um 3% überschritten.

Kräftiges Wachstum sieht anders aus. Faktisch werden hier leichte Veränderungen im Ein-Prozentbereich zu einer Trendwende hochstilisiert, wobei nicht einmal alle Länder einbezogen sind und die vorläufigen Werte in der Regel korrigiert werden. Vergleicht man zudem die aktuellen Zahlen mit dem Quartal des Vorjahres (also 2012) zeigt sich ein anhaltender Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die Schrumpfung beträgt 0,2% sowohl in der gesamten Europäischen Union, als auch in der Eurozone. Zwar konnte Deutschland bei diesem Vergleich immer noch um 0,5% zulegen. Jedoch sind die eigentlichen Krisenländer noch nicht aus dem Krisenmodus befreit: Rauschte Griechenland mit -4,6% in den Keller, mussten Italien -2,0%, Zypern -5,2%, die Niederlande -1,8% und Portugal -0,2% verkraften.

Ein Großteil der Experten warnt daher vor zu optimistischen Bewertungen. Das zweite Quartal sei ein Ausreißer in der Entwicklung, denn ein Großteil des deutschen Wachstums ist sehr wahrscheinlich auf Nachholeffekte zurückzuführen. Die verschiedentlich ausgerufene Fortsetzung der Aufschwungbewegung in der zweiten Jahreshälfte sei durch die aktuellen Indizes nicht gedeckt. Auch künftig werden Politik und Gesellschaft mit einer längeren Periode niedriger Wachstumsraten oder einer stagnierenden Ökonomie umgehen müssen. Selbst der Industrieverband BDI warnt vor einer überzogenen Wachstumseuphorie und senkte seine Jahresprognose deutlich von 0,8 auf 0,5%, da von einem Exportzuwachs von 3,5%, wie ursprünglich erwartet, nicht mehr auszugehen sei.

Die Erholung der Euro-Zone wird in diesem Jahr nur sehr schleppend vorankommen. Die extrem hohe Arbeitslosigkeit in Südeuropa wird den Konsum auf lange Sicht bremsen. In Italien und Spanien, den dritt- und viertgrößten Volkswirtschaften der Euro-Zone, hat sich der Abschwung zwar verlangsamt, doch der Schrumpfkurs hielt auch im zweiten Quartal an.

Im weltwirtschaftlichen Umfeld zeichnen sich fragile Rahmenbedingungen ab, die einen Aufschwung in Europa nachhaltig beeinflussen werden. Zwar stehen die Zeichen in den Vereinigten Staaten von Amerika auf Erholung, doch dafür melden die Schwellenländer und insbesondere der asiatische Raum nachlassende Wachstumsraten – mit entsprechend gedämpften Aussichten für die Exportindustrie in Europa. Die wirtschaftliche Schwäche der Schwellenländer erreicht aktuell neue Ausmaße. China, Russland, Brasilien, Indien und Co. werden im laufenden Jahr erstmals seit 2007 weniger zum globalen Wachstum beitragen als die lahmenden kapitalistischen Hauptländer.

Die strukturellen Ungleichgewichte in der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Länder sind nicht wirklich beeinflusst worden. Die Arbeitslosigkeit ist in den südlichen Eurozonenländern extrem hoch, und von einem sich selbsttragenden Aufschwung kann nirgends die Rede sein. Wichtig wäre, dass die fatale Austeritätspolitik gestoppt und die leichte Atempause in der Konjunkturentwicklung für ein umfassendes öffentliches Investitions- und Strukturprogramm genutzt wird. Leider sieht es nicht danach aus, dass in der Eurozone oder in Europa der Übergang zu einer wachstumsorientierten Stabilitätspolitik zustande kommt.

Trotz der überzeichneten Hoffnung angesichts der aktuellen Wachstumszahlen fehlen zu vielen Ländern sowohl unmittelbare Wachstumsaussichten als auch langfristige Wachstumsmotoren. Daher wird die Überschuldung ein Problem bleiben. Kapitaleigentümer werden weiterhin zurückhaltend agieren und sich nicht mit einer Ausweitung von Investitionen hervortun. In den Krisenländern werden weiterhin die Jobs und die Kapitalinvestitionen fehlen, die für dauerhaften Wohlstand und eine Überwindung der sozialen Spaltung unabdinglich sind.

Es bedarf in der Eurozone massiver konjunkturpolitischer Anreize, um eine Erholung herbeizuführen. Das Ziel einer Stabilisierung der gesellschaftlichen Entwicklung kann mit der Geldpolitik der Notenbanken nicht erreicht werden, auch wenn sie sich noch so unorthodox gestaltet. Das Vertrauen ist zu schwach, um Geschäftsbanken in die Lage zu versetzen, Kredit in jenem Ausmaß zu schaffen, das nötig wäre, um zu Vollbeschäftigung und einem Wachstumstrend auf Vorkrisenniveau zurückzukehren.

Unter dem Strich dürften daher jene Ökonomen Recht behalten, die davon ausgehen, dass die Wirtschaft im Euroraum frühestens 2014 aus der Rezession herauskommen kann. Mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 0,9% werde der »Aufschwung« aber auch dann sehr bescheiden ausfallen. Für 2015 erwarten sie ein Plus von 1,5%.