Plötzlich schuldenfrei: US-Initiative kauft mittels Spendengeldern Verbindlichkeiten von Privatleuten auf und erlässt sie ihnen
Von Max Böhnel
Viele US-Amerikaner haben Schulden - Arztrechnungen und das private Bildungssystem sind die Hauptgründe. Eine Initiative hat sich nun vorgenommen, möglichst viele Bürger davon zu befreien.
Hunderte US-Amerikaner waren in den vergangenen Monaten fassungslos über die gute Nachricht, die im Briefkasten lag: »Hiermit sind Sie ihrer Verpflichtung entbunden, diese Schulden bei ihrem Schuldner oder sonstigen Rechnungseintreiber zu begleichen«, stand in 2693 Briefen, die verarmte Adressaten querbeet in den USA erhielten.
Als gute Fee entpuppte sich die Initiative »Rolling Jubilee«. Die Nichtregierungsorganisation war Ende letzten Jahres von Aktivisten der »Occupy«-Bewegung gegründet worden. Die Idee besteht darin, möglichst vielen hoch verschuldeten Privathaushalten die finanziellen Verbindlichkeiten abzunehmen. Dies erfolgt mit dem Aufkauf von Schuldpapieren auf dem sogenannten sekundären Schuldenmarkt. Konkret funktioniert das so: »Rolling Jubilee« sammelt Spendengelder ein und tilgt damit Schuldenbündel - Bonds, die zu einem Bruchteil ihres »Werts«, etwa zwei Cent pro Dollar, von den Banken abgestoßen wurden, weil diese mit keiner Abzahlung mehr rechnen. Neue Gläubiger, vor allem dubiose Geldeintreiberfirmen, versuchen wiederum, die Schulden mit rabiaten und illegalen Methoden einzutreiben und damit Profite zu erzielen.
»Rolling Jubilee« kommt dem in wenigen Fällen zuvor und kauft Schuldenbündel auf. Ursprünglich habe man erwartet, Schulden in einem Verhältnis von 1 zu 20 zu tilgen, sagte der Mitgründer und Soziologieprofessor an der New York University Andrew Ross. Tatsächlich habe »Rolling Jubilee« die Schulden aber viel billiger erstehen können. Mit nur 400 000 Dollar Spendengeldern habe die Gruppe fast 15 Millionen Dollar an Verbindlichkeiten aufkaufen und erlassen können, hieß es am 15. November, dem ersten Jahrestag der Gruppe, in einer Presserklärung. In drei Aufkäufen seien für insgesamt 13,5 Millionen Dollar Arzt- und Krankenhausschulden getilgt worden. »Niemand sollte sich verschulden müssen, weil er krank wird«, sagte Mitorganisatorin Laura Hanna dem britischen »Guardian«.
62 Prozent aller Privatschulden in den USA entstehen durch Krankenhauskosten. Zudem existieren inzwischen Studienschulden von insgesamt 1,2 Billionen Dollar. Die gesamten Privatschulden betrugen laut der US-Notenbank Fed zur Jahresmitte 2013 mehr als 11 Billionen Dollar.
»Öffentliche Erziehung« nennen »Jubilee«-Aktivisten den spektakulären Schuldenaufkauf. Man sei sich bewusst, dass 15 Millionen Dollar Tilgung »nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind«, gesteht Ross aber auch ein. Deshalb hoffe man auf Nachahmer. Das innerhalb eines Jahres aufgebrachte Spendenvolumen bezifferte »Rolling Jubilee« auf 631 000 Dollar.
Doch das Projekt wächst nur langsam. Der marxistische New Yorker Autor und Radioproduzent Doug Henwood kritisiert zu Recht die ausschließliche Blickrichtung auf Schulden und deren Abgleichung. Das Schuldenproblem müsse eine öffentliche Diskussion über die Ursachen einleiten, etwa stagnierende und sinkende Reallöhne und steigende Lebenshaltungskosten. Die riesigen Hypothekenschulden der US-Amerikaner seien auf das steuerfinanzierte Wohnungseigentum zurückzuführen, das »praktisch zur amerikanischen Religion« wurde. Und die horrenden Studienschulden resultierten aus der Privatisierung der Bildung.
Er teile das Ziel von »Occupy« und »Rolling Jubilee« - eine schuldenfreie Gesellschaft. Aber die Wurzel allen Übels »im Geld und im Finanzsystem zu suchen«, ohne die Verbindung zum »Rest des Systems«, dem Kapitalismus, herzustellen, sei typischer US-Populismus. »Solange sich die Bewegung auf Schulden versteift, ohne sie zum Ausgangspunkt für eine tiefergreifende Diskussion zu machen«, sei sie alle paar Monate auf Medienberichte »ohne Wirkung« begrenzt, meint Henwood.
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