Die Mofawende - Frankreichs Staatspräsident in Aktion
Von Thomas Nord
Hat er? Oder nicht? Nur von einem Bodyguard geschützt? Allein auf offener Straße? Mit einem Mofa? Vom Palast in ein Haus, das einem korsischen Mafioso gehört? Maitresse oder neue Premiere Madame? Die Weltpresse stellt die Lauscher auf und hält den Atem an. Die jährliche Neujahrspressekonferenz des französischen Präsidenten am 14. Januar ist mit 600 Journalist_innen aus aller Welt gut besucht.
Ach ja, da war ja noch etwas. Noch etwas? Frankreichs Wirtschaft ist auf abrutschendem Ast. Die Arbeitslosigkeit hoch wie lange nicht. Der Präsident hat innerhalb von nur einem Jahr so schlechte Umfragewerte wie kaum ein Präsident zuvor. Da wird ihm Nicolas Sarkozy auf dem Weg nach Südafrika zur Trauerfeier für Nelson Mandela einen Rat gegeben haben. Steht der Scheinwerfer zu lange auf einem Thema, nimm einen größeren Scheinwerfer und halte ihn auf ein neues Thema. Schon ist das andere langweilig. Der Beliebtheitswert steigt um einen Punkt. Das Ding mit dem Mofa bringt die Wende.
Das andere Thema klingt schon fast wie eine alte Leier. Das deutsch-französische Verhältnis ist GUT. Aber Frankreich ist im Vergleich wirtschaftlich und politisch von der Symmetrie in die Asymmetrie gerutscht. La Grande Nation ist nicht auf dem deutschen, sondern auf einem italienischen oder gar griechischen Weg. Im vergangenen Jahr wurde ein Latin-Empire gefordert, ein politischer Kräfteschluss von Italien, Spanien und Frankreich gegen Deutschland, um die EU- und Euro-Symmetrie wieder herzustellen. Letztens hat der Franzose François Heisbourg die Idee verkündet, Merkel und Hollande mögen gemeinsam vor die Presse treten und das Ende des Euro verkünden. Nur so scheint es ihm möglich, die deutsch-französische Freundschaft und das europäische Projekt zu retten.
Das Unstrittige an seiner Einschätzung ist, dass der Euro als Währung sein Ende findet, wenn Frankreich über Italien nach Griechenland rutscht, das Domino der Rating-Agenturen weiter zuschlägt und die Asymmetrie zwischen Deutschland und Frankreich nur noch als deutsche Dominanz daherkommt. Wenn Volker Kauders (CDU) Satz Wahrheit wird, dass in der EU wieder deutsch gesprochen wird.
Was also tun? Das ist die Frage, die nicht nur den französischen Präsidenten seit Beginn seiner Amtszeit beschäftigt, sondern auch die konservative deutsche Presse. Aussitzen wie von Helmut Kohl oder Attacke wie von Gerhard Schröder praktiziert? Seit der Pressekonferenz vom 14. Januar scheint Hollande den Weg der Neuen Mitte zu gehen. »Wenn Frankreich seinen Einfluss in der Welt und in Europa behalten will, muss es unbedingt seine wirtschaftliche Stärke wiedererlangen«, sagte er vor den Medienvertreter_innen. Diese Stärke will er mit einem neoliberalen Rezept wiedererlangen, das nicht Agenda 2020 heißt, sondern »Pakt der Verantwortung«. Eine Mischung aus Sparen und Reformen soll dem Land aus der Krise helfen, im Elysée-Palast kündigte er Entlastungen für die Wirtschaft und Einsparungen im Staatshaushalt an.
Frankreichs Unternehmen sollen künftig keine Abgaben zur Familienkasse mehr entrichten müssen, deren Mittel Familien mit Kindern zu Gute kommen. Nach den Worten Hollandes werden die Lohnnebenkosten von 2015 bis 2017 um 30 Mrd. Euro sinken. Den Umfang der im gleichen Zeitraum vorgesehenen Streichungen im Staatshaushalt bezifferte er auf 50 Mrd. Euro, in etwa 4% der gesamten öffentlichen Ausgaben. Zur finanziellen Entlastung der Wirtschaft soll eine administrative kommen. Der Paragrafendschungel, der Unternehmen »unnütze und teure Verfahren« zumute, werde gelichtet, sagte Hollande.
Als Gegenleistung für die in Aussicht gestellte Entlastung der Wirtschaft verlangt der Staatschef von den Unternehmen Investitionen und vor allem Arbeitsplätze. Senkung von Lohnnebenkosten und Schaffung neuer Jobs seien Teile eines mit der Unternehmerschaft zu schließenden Pakts der Verantwortung. Aber während Umfang und Zeitpunkt der Abgabenreduzierung schon benannt sind, soll die Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze sowie gleichfalls als Gegenleistung eingeplanten Jobs für Senior_innen und Auszubildenden erst noch Branche für Branche festgeschrieben werden. Der Unternehmerverband Medef hat grundsätzliche Zustimmung zum angebotenen Pakt signalisiert, nennt die Vorschläge gar »interessant«, und lehnt konkrete Einstellungsvorgaben ab.
Folge der Politik dürfte eine Stärkung des Nationalen sein. Der Staat wird als souveräner Wirtschaftsraum ausgewiesen, der seine Währung jedoch in einem vielstaatlichen Verbund hat. Mit den politischen Reaktionen auf Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise wurden zusätzliche Entscheidungszentren aus der nationalen in die EU-Ebene verlagert. Dennoch wird so getan, als sei der Nationalstaat ein politischer Souverän. Ohne wettbewerbsfähige französische Wirtschaft sind im globalen Prozess keine dauerhaften Arbeitsplätze zu schaffen, so Hollande. Dies bedeutet, sich im Rahmen einer gemeinsamen Währung auf die Logik einzulassen, nach der sich ein Land gegenüber den Investoren als der bessere, also der billigere Standort anbieten muss. Genau aus dieser Logik aber resultiert die aktuelle deutsch-französische Asymmetrie.
Teile und herrsche ist das Motto des Euro-Kapitalismus. Das eine Land ist mit Schröder neoliberal im Standortdumping für Investitionen vorgeritten. Das andere muss nun hinterher traben. Eine alternative Strategie ist die europapolitische Einigung auf soziale Standards, um die Asymmetrie zwischen Investoren und Standortanbietern zu reduzieren und den Gemeinschaftsgedanken zu stärken.
Bereits Ende 2012 hatte Hollande Steuererleichterungen für Unternehmen in Höhe von 20 Mrd. Euro auf den Weg gebracht, aber gleichzeitig beschlossene Steuererhöhungen führten zu einer weitgehenden Verpuffung der Maßnahme. Auch staatlich subventionierte Jobs brachten keine Trendwende bei den Arbeitslosenzahlen. Der Präsident konnte sein Versprechen, die Arbeitslosenrate bis Ende 2013 zu senken, nicht einlösen. Wenn man der unbeliebteste Präsident ist, hilft die Politik der ruhigen Hand nicht weiter. Die Methode Aussitzen ist dann keine Option mehr. Bei den jetzt vorgestellten Vorhaben gibt er sich optimistisch, dass seine linke Parlamentsmehrheit die geplante kapitalfreundliche Politik mitträgt. Mehr Arbeitsplätze, mehr Kaufkraft, mehr Steueraufkommen, mehr Wirtschaftswachstum hält er für eine Politik im Sinne der Sozialisten. Gleichzeitig räumt er ein, dass er für seine Präsidentschaft mit dem »Pakt der Verantwortung« Risiken eingeht.
Hollandes Paket soll nun den Impuls auslösen, den Louis Gallois in seinem von der Regierung in Auftrag gegebenen Bericht vom November 2012 gefordert hat. »Die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie geht seit zehn Jahren zurück«, heißt es darin, als ökonomisch-politische Maßnahme zur Erneuerung der Wettbewerbsfähigkeit hat der ehemalige Bahnchef und EADS-Vorsitzende Gallois einen »Vertrauensschock« gefordert. Dieser wird bei den angekündigten Reformen nicht auf der Unternehmerseite eintreten, hier wird Vertrauen in das Wachstum von Gewinnen wieder hergestellt. Er wird auf die Leute abgewälzt, die sich ökonomisch, politisch und sozial nicht europäisieren können und denen der Euro keinen Vorteil bringt. Das Ding mit der Mofawende wird schnell verhallen, die alte Leier für das Konzert sorgen und der Beifall für Freude schöner Götterfunken mager ausfallen.
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