Textilarbeiterinnen in Bangladesch und der 1. Mai
Von Otto König und Richard Detje
Niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und unmenschliche Arbeitsbedingungen sind heute für die Textilindustrie kennzeichnend, wie die Berichte über die Demonstrationen über Streiks von TextilarbeiterInnen in Bagladesh zeigen. Bereits seit dem Beginn der Arbeiterbewegung stand die Textilbranche immer wieder im Zentrum harter Klassenauseinandersetzungen.
Herausragende Beispiel aus der Geschichte sind der Streik der TextilarbeiterInnen 1903 in Crimmitschau (Sachsen) für den Zehnstundentag, der Kampf der Näherinnen in Lawrence/Massachusetts (USA) 1912 für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen und der Streik der Petrograder TextilarbeiterInnen 1917 gegen Hungerlöhne. Letzterem schlossen sich 90.000 Menschen an. Sie führten zum Generalstreik und zur Februar-Revolution in Russland.
Heute ist im Zuge der Globalisierung die »Karawane der Mode-Labels« vom europäischen Kontinent nach Asien weitergezogen. So stehen in Bangladesch die Demonstrationen der TextilarbeiterInnen auch am diesjährigen 1.Mai im Zeichen des Kampfes gegen Sklavenlöhne und Ausbeutung – aber auch im Zeichen der Trauer.
Denn vor einem Jahr – wenige Tage vor dem Tag der Arbeit – kam es zu dem schlimmsten Industrieunglück in Bangladesch. In Sabhar, nordwestlich der Hauptstadt Dhaka, stürzte am 24. April 2013 binnen weniger Minuten der neunstöckige Rana-Plaza-Gebäudekomplex ein. Als das baufällige Hochhaus, in dem auf sechs Stockwerken fünf Textilfabriken untergebracht waren, wie ein Kartenhaus zusammenfiel. In ihm starben 1.135 Frauen, Kinder und Männer. Sie hinterließen 800 Waisen. 2.500 TextilarbeitInnen konnten sich retten. Aber viele von ihnen verloren Gliedmaßen oder sind heute gelähmt.
Der Einsturz des Rana Plaza war der traurige und zugleich schändliche Höhepunkt in einer Reihe von Katastrophen in den Textilfabriken Bangladeschs. In denen aus Profigier immer wieder Beschäftigte gezwungen werden, in maroden Fabrikgebäuden zu arbeiten. »Tatsächlich ist das größte Risiko für die ArbeiterInnen in den zum Teil abbruchreifen Fabriken das Feuer: Zwischen 2006 und 2012 kamen mindestens 579 Arbeiter bei Hunderten von Bränden ums Leben. Im November 2012 starben beim bislang schwersten Brand im Betrieb der Tazreen Fashions Ltd. 117 Menschen.«[1]
Ein Jahr nach der verheerenden Katastrophe fehlt den Überlebenden noch immer Geld für den Arzt, eine Prothese, Miete und Essen. Am Jahrestag sollten ihre Familien eine erste Vorauszahlung von 50.000 Taka (ca. 465 Euro) erhalten, so die »Kampagne für saubere Kleidung« (CCC). Auf Initiative der nationalen Gewerkschaften und ihrer internationalen Dachverbände UNI Global Union und IndustrieALL sowie von CCC wurde Anfang 2014 der »Donors Trust Fund« eingerichtet.
Unter Beaufsichtigung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf sollen aus dem Fonds Entschädigungen an die Opfer ausgezahlt werden. Laut ILO-Berechnungen sind dazu 40 Mio. US-Dollar notwendig. Dies entspricht etwa der Summe, mit der die medizinische Versorgung und die Lohnausfälle der Opfer abgedeckt werden könnten.
Die Bilanz zum Jahrestag fällt jedoch ernüchternd aus. Anfang April waren gerade mal 15 Millionen Dollar in den Fonds eingezahlt. Die Summe ist auch nur deshalb so hoch, weil der irische Textilkonzern Primark mehr als sieben Millionen Dollar zuschoss. Neben ihm sind mindestens 28 weitere US-amerikanische und europäische Textil-Unternehmen und Handelsketten, die bei den Zuliefer-Fabriken im Rana-Plaza-Komplex u.a. Jeans und T-Shirts produzieren ließen, aufgefordert, einzuzahlen. Unter ihnen auch deutsche Firmen wie Adler und NKD, KiK, Güldenpfennig und auf dem deutschen Markt präsente Bekleidungshäuser wie C&A, Benetton und Mango.
Doch nach wie vor weigert sich der Großteil der internationalen Mode-Labels, die auf das »Geschäftsmodell Ausbeutung« setzen, in den Entschädigungsfonds einzuzahlen. Die Auftraggeber der bangladeschischen Zulieferer wie Benetton, die Adler-Modemärkte oder die Billigkette KiK reden sich aus der Verantwortung. So bestreitet Adler direkte Lieferbeziehungen zu den Produzenten in diesem Gebäude. Ein Teil der Ware sei ohne ihr Wissen von dort untergebrachten Textil-Unternehmen produziert worden.
Auch das Tochterunternehmen des Tengelmann-Konzerns, der Billigstanbieter KiK, ließ erst verlautbaren, von der Produktion in diesem Hochhaus nichts gewusst zu haben. Anfang März gab die Handelskette schließlich auf Druck von NGO‘s bekannt, 500.000 Dollar in den Fonds zu zahlen und weitere 500.000 Dollar zu spenden (Zeitonline 24.4.2014).
Was hat sich seit dem 24. April 2013 verändert? Zu den geringfügigen Verbesserungen gehört sicherlich der »Accord on Fire and Building Safety in Bangladesch« – ein Rahmenabkommen zur Gebäudesicherheit und Brandschutz. Dieser Vertrag wurde von ca. 150 internationalen Modefirmen – darunter deutsche Unternehmen wie Adidas und Aldi, Esprit und Lidl sowie Otto, Puma und Tchibo – mit den bangladeschischen Gewerkschaften, und der ILO im September 2013 abgeschlossen. Allerdings haben sich bisher nur 1.500 der 5.000 Textil-Unternehmen in dem südostasiatischen Land dem Abkommen angeschlossen.
Zwischenzeitlich sind wohl ein Drittel dieser 1.500 Fertigungsstätten unter die Lupe genommen worden. »Die 100 zuständigen Kontrolleure schaffen pro Woche gerade einmal 45 Fabrikinspektionen« (Christy Hoffman, Vizegeneralsekretärin des Gewerkschaftsbundes UNI Global Union).[2] Und als kürzlich die Feuerschutzvorschriften in vier Fabriken bemängelt wurden, ließen die kapitalistischen Besitzer die Tore schließen und 5000 Textil-ArbeiterInnen auf die Straße setzen, statt Verbesserungen einzuleiten.
Tatsächlich hat sich an der menschenunwürdigen Ausbeutung in den Textilfabriken in dem südostasiatischen Staat fast nichts geändert. Zwar wurde der Mindestlohn für Näherinnen in Bangladesch im Herbst von umgerechnet 30 auf 53 Euro pro Monat angehoben, doch aufgrund der hohen Inflation hat dies netto kaum mehr Lohn gebracht. Zum Leben reicht dies auf keinen Fall: Das Einkommen müsse laut ILO mindestens bei 256 Euro liegen, um eine vierköpfige Familie ohne Überstunden ernähren zu können.
Der 1. Mai steht weltweit für den Kampf der ArbeiterInnen für gerechte Löhne, faire Arbeitsbedingungen, für mitbestimmte Verhältnisse in der Arbeitswelt, für soziale Absicherung. Menschen in den asiatischen Ländern, die als verlängerte Werkbank des Westens fungieren, begehren auf.[3] Sie setzen den langen Kampf der TextilarbeiterInnen für ein Leben in Würde fort.
Für die Zukunft der bangladeschischen Textilarbeiterinnen ist es wichtig, dass sie sich das Recht erkämpfen, sich in unabhängigen Gewerkschaften organisieren zu können. Nur so sind sie in der Lage gemeinsam und selbstbewusst für ein besseres Leben zu streiten. So wie die streikenden ArbeiterInnen in Lawrence/Massachusetts vor über hundert Jahre sangen:
»Wenn wir zusammen geh‘n,
kommt mit uns ein bessrer Tag.
Die Menschen die sich wehren,
wehren aller Menschen Plag.
Zu Ende sei, dass kleine Leute schuften für die Großen!
Her mit dem ganzen Leben:
Brot und Rosen!«[4]
[1] Vgl. Otto König/Richard Detje: Ausbeutung als Geschäftsmodell. Tödliche Arbeitsbedingungen, skandalöse Hungerlöhne, Menschenrechtsverletzungen – Profit auf Kosten der TextilarbeiterInnen in Bangladesch, in: Sozialismus 1/2014.
[2] Junge Welt vom 24. April 2014
[3] Vgl Otto König/ Richard Detje: Aufstand der Niedriglöhner – Streiks der TextilarbeiterInnen in Kambodscha, Sozialismus Aktuell, 6.1.2014.
[4] Das Zitat Brot und Rosen stammt aus einer Rede der New Yorker Gewerkschafterin Rose Scheidemann: The woman worker needs bread, but she needs roses too. James Oppenheim verarbeitete es in einem Gedicht. 1912 wurde »Bread and Roses« das Streiklied der mehr als 20.000 Textilarbeiterinnen in Lawrence/Massachusetts (USA).
Ähnliche Artikel
- 26.04.2012
- 25.10.2011
GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen
- 28.12.2012
- 12.11.2012
Sozial verantwortliche öffentliche Beschaffung in Europa - Praxisbeispiele zu Nachweisverfahren
- 26.04.2012