HSH Nordbank AG Prozess: Freispruch und Ohrfeigen für die Angeklagten
Von Knut Persson
9. Juli 2014. Pünktlich um 10.02 Uhr wurde im Strafjustizgebäude des Landesgerichtes Hamburg am Sievekingplatz das Urteil verkündet: Die Angeklagten werden freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. So erfreulich das Urteil für die Angeklagten war, so unerfreulich war die Urteilsbegründung der Kammer für das Sextett Berger, Nonnenmacher, Friedrich, Visker, Strauss und Rieck.
Ob der Staatsanwalt in Revision gehen wird, dazu wollte er sich vor dem Saal nicht äußern. Ob es zu einem Zivilprozess kommen wird, wurde mit dem früheren schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister, Marnette, debattiert. Offen ist, wer klagen kann bzw. muss. Überraschend ist das Urteil keinesfalls. Schon Ende April deutete sich diese Entscheidung aufgrund eines Gutachtens an.[1]
»Untreue in einem besonders schweren Falle«, lautete die Anklage in diesem Prozess. Der Staatsanwalt sprach von einem Vermögensschaden in Höhe von 158 Mio. EUR. Im Zentrum der Untersuchung stand ein undurchschaubares Projekt »Omega 55«, mit dessen Hilfe faule Wertpapiere im Dezember 2007 in ein SPV ausgelagert werden sollten. Der Deal wurde über die London Branch der HSH abgewickelt. Der Geschäftspartner war die französische Bank BNP Paribas (BNPP), eine der führenden Geschäftsbanken Frankreichs und u.a. im Investment Banking sowie Asset Management tätig. BNPP ist zur Zeit gerichtsnotorisch wegen Geschäften mit »Schurkenstaten« und faulen Krediten. Der Nebenanklagepunkt war Urkunden- bzw. Bilanzfälschung gegenüber dem damaligen Finanzvorstand Nonnenmacher.
Das Projekt »Omega 55« war so sinnlos wie dieser Prozess. Nonnenmacher, damaliger Finanzvorstand seit Oktober 2007, hatte im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg schon darauf hingewiesen, dass die aufsichtsrechtlichen Kennziffern auch ohne dieses Projekt eingehalten worden wären. Er wiederholte diese Aussage am Anfang des Prozesses.
Der finanzielle Umfang des Projektes betrug 2,4 Mrd. Euro. Bei einer Bilanzsumme 2007 in Höhe von 200 Mrd. Euro war das gerade mal ein Prozent. Es gab wesentlich größere Entlastungsaktionen. Überhaupt war das Projekt nur eines von fünf oder sechs Entlastungsaktionen Ende 2007. »Omega 55« war also relativ unbedeutend, das ausgelagerte Portfolio über Mathias Ltd. per CDS abgesichert und ohnehin mit »Triple A« versehen, und im April 2008 sollte die ganze Sache ohnehin gekündigt werden, das Risiko war demnach gering. Das Ganze kostete drei Mio. Euro Transaktionskosten. Ein Pappenstiel. Das sich die Mitarbeiter in der London Branch daran gut taten – indem sie Arbeit hatten und mehr – wurde im Prozess deutlich. Aber die waren ja gar nicht angeklagt und später schwer erreichbar. Also unterschrieb der Vorstand problemlos Ende Dezember 2007 und wunderte sich später über die Aufregung, die da geschah ob des Projektes. Man wusste, die Bafin-Beamten sind in Vorweihnachtsstimmung. Man lerne aus diesem Prozess: Wenn man eine nicht ganz koschere Sache in einer Bank vorhat, realisiere man diese am besten kurz vor Weihnachten.
Wegen »Omega 55« ist die Bank 2008 nicht ins Schlingern geraten. Ins Schlingern geriet sie wegen des wesentlich größeren Shipping-Portfolios. Aber auch das war nicht Gegenstand des Prozesses.
Die deutliche Worte fanden die Richter über den Ablauf des Omega 55-Projektes: »sinnlos, nutzlos, wertlos«. Hier sei mit einem »Advokatentrick« gearbeitet worden. »Förmlich fehlerhaft« war die Dokumentation, der Vorstand habe sich »formell unzureichend informiert« usw. Das waren Ohrfeigen für den Vorstand. Unterschiedliche Verantwortung für das »Omega 55«-Projekt fanden die Richter nicht. Das Projekt war ein Großkredit im Sinne des KWG (§13, §19 Kreditwesengesetzes), deswegen mussten alle Vorstände unterschiedslos unterschreiben.
AktG: § 93 Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder
(1) Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
Zentral war die Frage, ob der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hatte. Eine Pflichtverletzung liegt nur dann vor, wenn ein Schaden entstanden ist. Der war aber nicht entstanden. Hier tat sich das Gericht schwer in der Begründung. Schon der Gutachter H. von der »Frankfurt School of Finance and Management« hatte festgestellt, dass der inkriminierte synthetische Single Tranch CDO zwar zeitweise unter Wasser war, die Richter sprachen von 25 Mio. Euro (zeitweisen) Schaden, aber spätestens 2010 war der Verlust wieder aufgeholt. Nun hatten die Richter im Verfahren schon den Begriff der »Vermögensverfügung« eingeführt und danach war Anfang 2008 ein Vermögensschaden von 25 Mio. Euro eingetreten – also war Untreue in einem besonders schweren Falle faktisch vorhanden, also ab in den Knast mit dem Sextett. 2010 war der Schaden aber dann auf wundersame Weise verschwunden, also Freispruch.
Wie kommt man da raus aus dem Begründungsschlamassel, den man sich selber eingebrockt hat? Man relativiert den Pflichtverstoß, den man zweifelsfrei festgestellt hat, und argumentiert folgendermaßen: Untreue sei nur bei »gravierenden« Pflichtverstößen, die außerdem »evident« sein müssen, gegeben. Aber was ist »evident«? Jedenfalls kam in der weiteren Begründung heraus, dass niemand hätte ahnen können, dass sich die Krise im Oktober 2008 (Lehman Pleite) derart zuspitzen würde. Das Gericht urteilte »in dubio pro libertate« (die Stimme des Vorsitzenden Richters hob sich merklich!). Jetzt wird es interessant!
»In dubio pro libertate –›Im Zweifel für die Freiheit‹. Dieser Grundsatz des Römischen Rechts bestimmte, dass im Fall der testamentarisch nicht zweifelsfrei verfügten Freilassung eines Sklaven dieser als frei zu gelten habe. Mit der Zeit wurde die Geltung des Satzes dahingehend ausgeweitet, dass eine Verpflichtung aufgrund eines Gesetzes oder Vertrags bei strittiger Auslegung abzulehnen sei. Heute ein rechtswissenschaftlicher Grundsatz, nach dem im Zweifel zugunsten freier Grundrechtsausübung entschieden werden soll.« (Quelle: Wikipedia)
Es ist auszuschließen, dass es sich bei den Angeklagten um Sklaven handelt – Marnette wird da sicherlich anderer Meinung sein. Wie dem auch sei: Da Pflichtverstöße zweifelsfrei vorlagen – und das haben die drei Richter und die zwei Schöffen ausführlich dargelegt – seien diese aber in strittiger Auslegung eben nicht »evident« und »gravierend«. Die Angeklagten wurden in die Freiheit entlassen.
Kommen wir zum Kern zurück: Ziel des Projektes »Omega 55« war die Entlastung des Eigenkapitals um 128 Mio. Euro (»A-Teil« des Projektes »RWA-Entlastung«). Das ausgelagerte Portfolio in Höhe von zwei Mrd. Euro wurde via Mathias Ltd. mit einem CDS gegenüber BNPP abgesichert (BNPP bekommt Geld von der HSH). Das Risiko liegt bei BNPP. Das wollte BNPP so nicht. Also wurde der B-Teil erfunden, der »synthetische Single Tranch CDO«. Der aber referenzierte auf den A-Teil. Geht der CDO unter Wasser, konnte BNPP darauf eine Liquiditätsfazilität ziehen zu sehr günstigen Bedingungen. Was dann ja auch geschah (BNPP bekommt wieder Geld von der HSH). Dadurch ging das Risiko, was man auslagern wollte, – regulatorisch und ökonomisch – lückenlos auf die HSH zurück. Somit fand die Entlastung des Eigenkapitals nicht statt – nur scheinbar für die offiziellen Kennziffern. Der Vorstand schwor Stein und Bein, die Rückübertragung des Risikos nicht gesehen zu haben. Das Gericht glaubte Ihnen nicht. Also ab in den Knast mit dem Sextett. Nein, es war ja kein Schaden entstanden – evident und gravierend.
Die Akteure im Prozess
Der Angeklagte Hans Berger – damaliger Vorstandsvorsitzender und u.a. zuständig für das Ressort Recht und Group Compliance – ist letztendlich der Dreh und Angelpunkt des Verfahrens. Sein Ressort Recht musste die aufsichtsrechtliche Unbedenklichkeit der »Omega 55«-Transaktion feststellen nach »Basel I«. Es ging um die Frage, ob die Entlastungswirkung des Eigenkapitals in Höhe von 128 Mio. Euro tatsächlich im »A-Teil« des Omega 55 Projektes (zwei Mrd. Euro) stattgefunden hat. Dazu musste die Mitarbeiterin Vera S. ein Dokument erstellen. Das Dokument ist verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Tatsächlich war es so, dass ein Kreislaufgeschäft stattfand. Die Tragik von Berger liegt darin: Hätte seine Mitarbeiterin Vera S. mit ihrer Stellungnahme das Projekt gestoppt, wäre der HSH Nordbank 3-5 Mio. Euro Transaktionskosten, viel Ärger und dieser unsinnige Prozess erspart geblieben.
Der Angeklagte Peter Rieck – damaliger stellvertretender Vorstandsvorsitzender und u.a. zuständig für Immobilien und für das desaströse Shipping Portfolio – ist der Initiator des »Omega 55«-Projektes. Im Portfolio des A-Teils lagen seine Immobilienwerte. Er veranlasste den Eilbeschluss und machte Druck. Im Gerichtssaal daddelte er häufig am Laptop herum, legte eine Patience, ihm ging das Ganze nichts an. Außerhalb des Gerichtssaals formulierte er sein völliges Unverständnis für den Prozess.
Der Angeklagte Jochen Friedrich ist ein weiterer Dreh und Angelpunkt im »Omega 55«-Projekt. Friedrich ist zuständig für Asset und Investment Management, Capital Markets und die London Branch, in der das »Omega 55«-Projekt abgewickelt wurde. Friedrich verfügte über »Sonderwissen« – so die Richter. Friedrich musste gewusst haben, dass die RWA-Entlastung so nicht stattgefunden hat. Ein Zeuge im Prozess sagte aus, dass ein solches Projekt normalerweise »eigentlich« in Kiel in der Zentrale abgewickelt wird. Der Staatsanwalt und die Richter vergaßen nachzufragen, wer denn entschieden hat, in London abwickeln zu lassen. Berger? Friedrich? Rieck?
Prof. Dr. Dirk Jens Nonnenmacher – »Dr. No« – war zuständig für Finanzen und Steuern. Die Anklage lautete speziell ihm gegenüber auf Bilanz- und Dokumentenfälschung. Dieser Punkt wurde im Prozess nebenbei abgehandelt. Die Dokumente und Beweise erwiesen sich hierfür als nicht belastbar. Die Verbindung zum »Omega 55«-Projekt blieb völlig im Dunkeln. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Punkt lediglich für die Galerie aufgenommen wurde. Von der Presse wurde Nonnenmacher seit 2008 als Buhmann aufgebaut.
Hartmut Strauss war zuständig für Group Risk Management (GRM) und Kreditrisikomanagement (KRM). Das Risikomanagement bei der HSH Nordbank war antiquiert und unterentwickelt. Er soll das Projektpapier mit vielen Anmerkungen versehen und Bedenken geäußert haben. Aber auch er hat das Unsinns-Projekt nicht gestoppt.
Strauss, Nonnenmacher und Bernhard Visker (Sparkassen, Private Banking u.a.) haben wohl mit der Abwicklung des Projektes »Omega 55« wenig bzw. gar nichts zu tun gehabt, verantwortlich aber sind sie allemal. Ob man Rieck wegen des desaströse Shipping Portfolios später noch zur Rechenschaft ziehen wird, bleibt offen. Offen ist auch, ob ein Zivilprozess folgt und eine Revision des Verfahrens.
Der Vorsitzende Richter sprach abschließend von »Rechtsfrieden« und »Demut« und von einem »hochstreitigen Verfahren«. Man wird allerdings den Verdacht nicht los, dass – wie wir am 25. Juli 2013[2]schrieben –, es auch um ein »Hornbergerschießen« geht. Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen. Die Verfahrenskosten und nicht nur die trägt die/der Bürger/in. Ist irgendwas geregelt worden, geklärt worden? Es gibt auch Gewinner in diesem Verfahren: Die Verteidiger haben am Freispruch eher weniger mitgewirkt, das hat der Gutachter H. für sie erledigt.
[1] Weitere Prozessberichte finden sich auf der website von vorortLINKS: www.vorort-links.de/nc/analysen_ansichten/
[2] vgl. Knut Persson HSH Nordbank AG – Der Prozess gegen führende Vorstandsmitglieder hat begonnen.www.vorort-links.de/index.php.
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