Wer bekommt den schwarzen Peter? EZB warnt vor überhitzten Wertpapiermärkten
Von Joachim Bischoff
Die Wirtschaftsprognosen für 2014 waren überwiegend positiv. Die Experten rechneten weltweit mit einem höheren und vor allen Dingen ausgewogeneren Wirtschaftswachstum als in den vergangenen Jahren. Die USA agieren bei dieser Einschätzung als Haupttreiber. Auch in Europa sollte die Wirtschaft insgesamt wieder aufwärts gehen.
Bedingt durch die relativ starke US-Konjunktur und die Erholung in Europa sollte China deutlich anziehende Exporte verzeichnen. Das Zinsniveau sollte weiterhin niedrig blieben und die Notenbanken – allen voran die US-Notenbank FED – könnte schrittweise von der expansiven Geldpolitik abrücken. Der zyklische Aufschwung würde auch durch unübersichtliche Kräfteverhältnisse in der Politik nicht wesentlich beeinträchtig werden.
Von diesem Optimismus ist wenig geblieben. Die US-amerikanische Wirtschaft ist im ersten Quartal erstmals seit drei Jahren geschrumpft, die Wirtschaftsleistung lag tiefer als im Schlussquartal 2013. Ende 2013 hatte die Wirtschaft in den USA noch unter Volldampf gestanden und war um 2,6% gewachsen.
Als Grund für den Einbruch gilt die Kältewelle, die Teile des öffentlichen Lebens lahmlegte und besonders der Baubranche zusetzte. Zudem hat die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) zu Jahresbeginn damit begonnen, ihre milliardenschweren Geldspritzen niedriger zu dosieren. Das 45 Mrd. US-Dollar starke Programm zum Ankauf von Wertpapieren, das die Wirtschaft ankurbeln sollte, wird in diesem Jahr auslaufen. Dennoch prognostiziert der Fed-Notenbanker Dennis Lockhart, dass die US-amerikanische Wirtschaft trotz des konjunkturellen Fehlstarts in diesem Jahr wachsen wird. Er rechnet damit, dass letztlich eine Drei vor dem Komma stehen wird.
Auch die Eurozone kommt über ihre Konjunkturschwäche nicht hinweg, die Wirtschaftsleistung des ersten Quartals ist mit 0,2% bescheiden und im Wesentlichen erneut dem europäischen Konjunkturtreiber Deutschland zu verdanken. Schließlich kommt zum wenig freundlichen Ausblick hinzu, dass in Japan im April die Industrieproduktion gegenüber dem Vormonat um 2,5% gesunken ist.
Angesichts dieser wenig ermutigenden Entwicklung erwarten Wirtschaftsexperten eine weitere Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB). Deren Chef Mario Draghi betonte kürzlich auf einer EZB-Konferenz, dass die Kreditklemme in einigen Euro-Ländern das Wirtschaftswachstum hemme. So gehöre etwa Portugal neben Italien zu den Ländern in der Euro-Zone, in denen es bei der Darlehensvergabe am stärksten harkt. Die EZB treibt zudem die Sorge um, eine zu lange Phase niedriger Inflation könne dazu führen, dass Firmen und Verbraucher in Erwartung eines Preisverfalls Ausgaben und Investitionen aufschieben.
Laut EZB-Direktor Yves Mersch erwägt daher die Zentralbank ein Bündel von stimulierenden Maßnahmen. Gerechnet wird neben einer Senkung des Leitzinses von derzeit 0,25% auch mit Negativzinsen für Geld der Banken, das bei der EZB geparkt ist. Die Banken sollen damit dazu gebracht werden, ihre überschüssigen Mittel nicht mehr zu horten, sondern in die Kreditvergabe zu stecken. Zudem ist eine Geldspritze der EZB im Gespräch, die Finanzhäuser zielgerichtet zur Darlehensvergabe an Mittelständler nutzen sollen.
Allerdings haben schon bisher die Wirtschaftsunternehmen die gefüllten Tröge nicht genutzt. Die Kredite sind extrem billig, gleichwohl blieben weitere Investitionen aus. Wenn die bisher in den Markt gepumpten Billionen nicht geholfen haben, warum sollte ein noch günstigeres Geldangebot das Problem lösen?
Tatsächlich erleben wir seit Monaten die Inszenierung einer Liquiditätsfalle: Die EZB hält im Verbund mit den anderen Notenbanken das Zinsniveau tief. Die Banken können sich bei der EZB das billige Geld holen, dafür Staatsanleihen kaufen und diese dann als Sicherheiten für noch mehr billiges Geld hinterlegen. Mit dem Geld können die Banken dann Global Assets kaufen oder sich an risikoreichen Kapitalanlagen beteiligen. Die Finanzmärkte und Börsen boomen – aber die Realökonomie stagniert weiter.
Deshalb sieht selbst die EZB die Finanzstabilität im Euroraum durch die Jagd der Investoren nach höheren Renditen gefährdet – so die These im Finanzstabilitätsbericht. Zudem belaste das schwache Wirtschaftswachstum die Bilanzen der Banken. Obwohl es in einigen Ländern zaghafte Anzeichen gäbe, dass die Bildung notleidender Kredite ihren Höhepunkt erreicht hat, sei doch keine durchgreifende Entspannung erkennbar. Angesichts anhaltender Abwärtsrisiken für eine brüchige Erholung in der Eurozone dürfte eine hohe Verschuldung im Privatsektor in vielen Ländern, verbunden mit nur langsam besser werdenden Aussichten für Einkommen und Gewinne, die Fähigkeit der Kreditnehmer zum Schuldendienst belasten.
Deutlicher kann ein auf die Spitze getriebener Widerspruch nicht artikuliert werden: Die EZB verlängert die expansive Geldpolitik und warnt die Finanzinvestoren zugleich vor einem Crash, einem erneuten Kurseinbruch. Wegen der Suche der Investoren nach Rendite steigen die Risiken für die Finanzstabilität. Dies könnte die »Möglichkeit eines scharfen und ungeordneten Abbaus der jüngsten Kapitalflüsse« auslösen. »Ich habe keine Empfehlung für die Investoren, aber sie sollten sich dieser Risiken bewusst sein und versuchen, sich zu schützen«, sagte EZB-Vizepräsident Vitor Constancio.
Sollte es zu dem befürchteten Crash an den Märkten und im Zuge dessen zu einem kräftigeren Anstieg der Renditen für Staatsanleihen kommen, bedeute dies nicht nur Belastungen für die Regierungen – so die EZB im erwähnten Bericht –, sondern auch Verluste für die Institute. Deshalb sei es wichtig, die Aufsicht über die Banken zu stärken.
Die Notenbanken sind nicht der Grund für diese Fehlentwicklung. Mit ihrer expansiven Geldpolitik reproduzieren sie »bloß« die aus der chronischen Überakkumulation entspringende Scherenentwicklung von stagnierender Realökonomie und überreichlicher Geldkapitalakkumulation. In der Reaktion auf den globalen Crash vor sechs Jahren sind die Notenbanken zu einem Krisenmanagement übergegangen: Angeführt vom Fed haben sie mit der expansiven Geldpolitik alles unternommen, um einen Zusammenbruch der Märkte zu verhindern. Aber seither sind sechs Jahre vergangen und nun stellt sich heraus, dass die Notenbanken gleichsam Gefangene ihrer eigenen »Rettungspolitik« sind.
Der Großteil der entwickelten kapitalistischen Länder hat in den Jahren vor 2007 einen beispiellosen Kreditboom zugelassen und befördert. Das Resultat war ein massiver Crash und schlagartig ein Schuldenüberhang sowohl der öffentlichen wie der privaten Akteure. Die Notenbanken konnten den Absturz verhindern, aber eine Ablösung des Schuldenüberhanges ist ihre Sache nicht.
Um den Schuldenüberhang zu lösen, müssten faule Kredite restrukturiert oder abgeschrieben werden. Das ist aber eine Aufgabe der Regierungen. Die von den Notenbanken geschaffene Atempause hat allerdings die Möglichkeit der Verschleppung des Problems eröffnet. Die reichliche Geldversorgung überdeckt die faktische Insolvenz zahlreicher Akteure infolge notleidender Kredite und wertgeminderter Aktiva.
Die relevanten Notenbanken haben ihre Bilanz massiv ausgeweitet (mit Ausnahme der EZB), demnächst müssen sie die expansive Geldpolitik zurücknehmen. Es zeichnen sich dabei drei Szenarien ab, wie sich der Ausstieg abspielen wird. Die aktuell verfolgte Variante: Die Geldpolitik war erfolgreich, die Wirtschaft festigt ihren Wachstumskurs und das hohe Niveau auf den Wertpapierbörsen wird durch die Rekonstruktion der realen Akkumulation eingeholt. Danach kann das Fed aussteigen, die Zinsen am langen Ende können allmählich steigen, und alle Marktteilnehmer könnten sich in Ruhe an das neue Umfeld gewöhnen.
In einem zweiten Szenario festigt sich zwar das Wachstum, doch die Anpassung an den Finanzmärkten verläuft unkontrolliert. Die langfristigen Zinsen könnten abrupt steigen, überschießen und abrupte Anpassungsbewegungen auslösen. Die Notenbanken müssten in diesem Fall zu ihrem Krisenmanagement zurückkehren.
Im dritten Szenario zeigt sich, dass die Rekonstruktion der Realakkumulation unzureichend war, die Überschuldungskonstellation tritt schlagartig in Erscheinung und es bleibt offen, ob die Notenbanken ein weiteres Mal die schlagartige Entwertung der notleidenden Kredite und wertlosen Aktiva auffangen können.
Immerhin: Die EZB hat für diesen Fall vorgesorgt und eine deutliche Warnung vor der »Möglichkeit eines scharfen und ungeordneten Abbaus der jüngsten Kapitalflüsse« ausgesprochen. Der schwarze Peter ist damit an die Regierungen weitergereicht, die sich einer Politik des Abbaus des Schuldenüberhanges entzogen haben.
Alle Beteiligten wussten von Beginn an, dass die expansive Geldpolitik keine dauerhafte Lösung ist , um angesichts eines chronischen schwachen Wachstums und eines schleichenden Abwertungswettlaufs den realen Akkumulationsprozess ohne Vernichtung notleidender Kredite und Wertpapiere zu sanieren.
Ähnliche Artikel
- 12.11.2013
- 24.10.2012
- 27.05.2014
- 15.05.2014
- 22.04.2014
Euro-Kritik von rechts: Die Alternative für Deutschland (AfD)