Mitsprache bei Werkverträgen und mehr Geld

Von Otto König und Richard Detje

20.07.2014 / sozialismus.de, 19.07.2014

Arbeitsalltag bei der ThyssenKrupp Steel Europe AG in Duisburg: An der Seite der 13.000-köpfigen Stammbelegschaft arbeiten rund 1.200 Beschäftigte von Fremdfirmen. 1.146 davon auf Frühschicht, 113 auf Mittagsschicht und 63 auf Nachschicht – unter ihnen 313 aus anderen Firmen unterverliehen. Diese Daten weist eine der täglichen Zugangsübersichten des Unternehmens aus, die der zuständige Betriebsrat einsehen kann. Das Recht dazu hat sich die Interessenvertretung beim Branchenprimus im Ruhrgebiet erstritten.

Rund 250 Kilometer weiter nördlich wies der Betriebsrat der Arcelormittal Bremen GmbH immer wieder akribisch nach, dass viele Werksvertragler im Stahlwerk täglich bis zu zehn Stunden und mehr gearbeitet hatten. Das veröffentlichten die Interessenvertreter in der Betriebsversammlung. Schließlich konnten sie Verhandlungen über eine Sozialcharta durchsetzen, die allen Fremdfirmen der Hütte verbindliche Sozialstandards vorgeben soll.

Zwei Beispiele von vielen, wie sich Betriebsräte in der Stahlindustrie Rechte erkämpft haben, um Werkvertragsarbeit betrieblich fairer zu gestalten.[1] Wie wichtig das ist, belegen IG Metall-Recherchen. Demnach werden ein Drittel aller Arbeitsstunden in den Stahlbetrieben inzwischen von Werksvertraglern geleistet. Aufbauend auf diese betriebliche Praxis in den Unternehmen gelang es nun der IG Metall, in der Stahl-Tarifrunde 2014 einen »Tarifvertrag zum Einsatz von Werkverträgen« abzuschließen.

Beim Versuch, tarifvertragliche Regelungen zur Ausweitung der Beteiligungsrechte der Betriebsräte bei Werksvertragsarbeit einzuführen, gelang es, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Folgende Regelungen konnten vereinbart werden:

  • Fairer Lohn: Stahlunternehmen sollen künftig nur noch Werkvertragsunternehmen mit Tarifbindung zulassen und die Einhaltung der Mindestlohnregeln kontrollieren. Das gilt auch für Sub-Subunternehmen.
  • Eigen vor Fremd: Vor der Auftragsvergabe an ein Fremdunternehmen ist zu prüfen und mit dem Betriebsrat zu beraten, ob die Arbeit technisch und ökonomisch auch von eigenen Beschäftigten ausgeführt werden kann.
  • Unterbeauftragung: Das Stahlunternehmen muss sich vom Werksvertragsunternehmen zusichern lassen, dass auch beauftragte Subunternehmen die Standards einhalten.
  • Arbeitszeit: Die Stahlunternehmen wirken darauf hin, die Arbeitszeit der Werkvertragsunternehmen einzugrenzen und zu kontrollieren. Die Arbeitszeit-Vorschriften sind einzuhalten.
  • Arbeitssicherheit: Sicherheitseinweisungen müssen rechtzeitig vor dem Einsatz im Betrieb stattfinden.
  • Beschwerderechte: Werkvertragsbeschäftigte haben ein Beschwerderecht bei den Betriebsräten der Stahlunternehmen, die den Auftrag vergeben haben.

Das Ziel der IG Metall, nach dem Pilotabschluss zur Regelung der Leiharbeit im Herbst 2010[2] mit dem Thema Werkverträge einen weiteren »Leuchtturm« in der Stahlbranche zu setzen, gelang jedoch nur ansatzweise. Positiv sind die erweiterten Informations- und Konsultationsrechte der Betriebsräte. Ansonsten wurden gesetzliche Mindeststandards wie die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns bei nicht tarifgebundenen Werkvertragsunternehmen und die Einhaltung arbeitszeitrechlicher Regelungen vereinbart – im Grunde Selbstverständlichkeiten, die angesichts der Tarifregelungen in der Stahlindustrie als solche weder Lohndumping noch überlange Arbeitszeiten verhindern.

Die »Eigen vor Fremd«-Regelung bei technischer und ökonomischer Gleichwertigkeit wird sich erst noch in der Praxis bewähren müssen – im Zweifelsfall ist die Vergabe von Werkverträgen für das Unternehmen die billigere Lösung. Angesichts der betrieblichen Praxis und der Bedeutung der Betriebsräte in den Stahlunternehmen mag dies alles nicht so problematisch sein. Doch es schränkt die Übertragbarkeit auf andere Tarifbereiche ein.

Nach vier Verhandlungsrunden und Warnstreiks, an denen rund 16.000 Stahlarbeiter teilnahmen, lenkten die Arbeitgeber Anfang Juli auch beim Entgelt ein, nachdem sie zu Beginn der Tarifrunde die IG Metall-Forderung nach 5% mehr Lohn als »inakzeptabel« zurückwiesen hatten. Das zwischenzeitlich von den Mitgliedern der Großen Tarifkommission abgesegnete Verhandlungsergebnis lautet im materiellen Teil für die 75.000 Beschäftigten in den nordwestdeutschen Stahlwerken[3] (NRW, Niedersachsen und Bremen):

  • Für Juni 2014 gelten die bisherigen Löhnen und Gehälter weiter – also Nullmonat.
  • Ab 1. Juli steigen sie um 2,3% – für zehn Monate.
  • Am 1. Mai 2015 werden die Einkommen um weitere 1,7% – für weitere sechs Monate bis zum 31. Oktober 2015 – erhöht.
  • Die Auszubildenden erhalten ab dem 1. Juli monatlich 36 Euro mehr. Darüber hinaus gilt für sie bis zum 31. Januar 2018 die unbefristete Übernahme auf einen Arbeitsplatz.

Zusätzlich wurde der Tarifvertrag zur Altersteilzeit bis zum 31. Oktober 2015 fortgeschrieben, womit es gelang, die Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt zu sichern. Es wurde vereinbart, dass die Ansprüche der Beschäftigten aus dem Tarifvertrag zur Altersteilzeit auch mit der Einführung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren erhalten bleiben. Wer sich in einer laufenden Altersteilzeit befindet, wird auch künftig seine vereinbarte 85-prozentige Nettoentgeltabsicherung bekommen.

Ein kräftiges Lohnplus ist dieser Stahlabschluss nicht. Zwar wird am Ende der 17-monatigen Laufzeit eine Erhöhung der Tabellenlöhne um 4% stehen, gegenüber 3% nach 15 Monaten in der vorhergehenden Tarifrunde. In der Laufzeit selbst fallen die Erhöhungen – auch ohne die Westrick-Formel[4] zur Berechnung heranzuziehen – magerer aus.

Bei einer Preissteigerung von rund 1,1% in diesem Jahr konnte mit der ersten Stufe von 2,3% zwar ein leichter Reallohnanstieg realisiert werden, doch der verteilungsneutrale Spielraum, der nach Prognosen der Bundesregierung für das Jahr 2014 auf 2,6% geschätzt wird, wurde nicht ausgeschöpft. Zugleich liegt der Abschluss in Zeiten einer mauen Stahl-Konjunktur deutlich unter den Ergebnissen anderer Branchen. Laut WSI-Tarifarchiv lagen die Tariferhöhungen im ersten Halbjahr 2014 im Durchschnitt bei 3,1%. 2015 könnte sich die Kluft sogar noch ausweiten, wenn der 1,7% Erhöhung im Stahlbereich Lohn- und Gehaltssteigerungen im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt von 2,9% gegenüberstehen, wie die Bundesbank prognostiziert.

Sowohl das Volumen wie die gefundenen tarifvertraglichen Regelungen zum Thema Werksvertragsarbeit sind keine Blaupause für die Tarifbewegung 2015 in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn die bezirklichen Tarifkommissionen im Herbst den Empfehlungen des Vorstandes der IG Metall folgen, werden bei den qualitativen Forderungen in der Metall-Tarifrunde andere Prioritäten gesetzt: neue Regelungen zu Bildungsteilzeit, um den Qualifikationsbedarfen Rechnung zu tragen, und Altersteilzeit, die neue Modelle des Ausgleitens aus dem Erwerbsleben ermöglichen soll (Jörg Hofmann in der FAZ und Hans-Jürgen Urban in der ZEIT, jeweils vom 17.7.2014).

Ersteres hat der Arbeitgeberverband Gesamtmetall – trotz fortgesetztem Lamentieren über eine wachsende »Facharbeiterlücke« - grundsätzlich abgelehnt; letzteres will er auf besonders belastete Berufe begrenzen. Die Lohnforderung für das kommende Jahr wird die IG Metall im November beschließen.

[1] Vgl. Werksvertragsarbeit fair gestalten. Gute Praxis in der Stahlindustrie. Hrsg.: Hans Böckler Stiftung Düsseldorf und IG Metall-Vorstand Frankfurt a.M., Juni 2014.
[2] Otto König/Richard Detje: Tarifabschluss Stahl »Ein Meilenstein gegen Lohndumping«, in Sozialismus 11/2010.
[3] Das Verhandlungsergebnis vom 8. Juli 2014 in der nordwestdeutschen Stahlindustrie wurde zwischenzeitlich auch für die 8.000 Beschäftigten in der ostdeutschen Stahlindustrie abgeschlossen. In der saarländischen Stahlindustrie beginnen die Tarifverhandlungen erst am 2. September 2014.
[4] Ludger Westrick war Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Seine Formel dient dazu, Tarifabschlüsse mit längeren Laufzeiten auf eine Laufzeit von zwölf Monaten umzurechnen und zu vergleichen. Dabei wird der tariflich vereinbarte Prozentsatz durch die vereinbarte Laufzeit des Tarifvertrages in Monaten geteilt und anschließend mit zwölf als Faktor für eine einjährige Laufzeit multipliziert.