Kommunen aus der Finanznot helfen?
Von Martin Nees
»So viel Geld vom Land wie nie«, so titelt der Kölner Stadtanzeiger in seiner Berichterstattung über die Einbringung des Gesetzentwurfes zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 in Nordrhein-Westfalen. Rund 9,6 Mrd. Euro sollen an die Kommunen wegen gestiegener Steuereinnahmen verteilt werden.
Diese Landesmittel werden erstmals nach einer neuen Berechnungsgrundlage verteilt. Die Sozialkosten der Städte und Gemeinden werden wieder stärker berücksichtigt. Ebenso wird die Anzahl der Schüler, die Flächengröße und die Oberzentren neu gewichtet und berechnet. Durch die Berücksichtigung mehrerer Jahre sollen teilweise große Schwankungen in der Berechnung der Landesmittel vermieden werden.
Dies führt dazu, dass für einen Teil der Kommunen die Zuweisungen des Landes geringer ausfallen. Die rechnerisch gestiegenen örtlichen Steuereinnahmen sollen die Verluste wieder ausgleichen bzw. sogar übertreffen. Andere Kommunen bekommen mehr.
Der Anstieg der verteilbaren Finanzausgleichsmasse, so der Fachbegriff, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es angesichts der schwierigen Finanzsituation der nordrhein-westfälischen Kommunen nach wie vor Handlungsbedarf gibt.
In der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 wird zu Recht festgestellt, dass trotz der leicht positiven Finanzentwicklung die kommunalen Liquiditätskredite im Jahr 2013 erneut deutlich gestiegen sind. Sie summierten sich auf 25 302 Mio. Euro (31. Dezember 2012: 23 508 Mio. Euro). Die Finanzlage vieler Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist weiterhin angespannt.
In Nordrhein-Westfalen ist seit der Jahrtausendwende ein kontinuierlicher und vergleichsweise starker Anstieg der kommunalen Liquiditätskredite auszumachen. In den Jahren ab 2009 haben sich diese krisenbedingt besonders stark erhöht.
Liquiditätskredite (Kassenkredite) sind von der langfristigen Kreditaufnahme zu unterscheiden: Der Kreditfinanzierung von Investitionen liegt die Überlegung zugrunde, dass der Nutzen dieser Ausgaben sich auf einen längeren Zeitraum verteilt und deshalb auch die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer über den von ihnen zu leistenden Schuldendienst zumindest zum Teil zu ihrer Finanzierung beitragen sollten. Selbst die viel zitierte schwäbische Hausfrau begleicht z.B. in den seltensten Fällen die Rechnung für den Erwerb eines Eigenheimes bzw. einer Eigentumswohnung aus Erspartem. Auch sie nimmt Kredite auf, damit sie und ihre Kinder zukünftig keine Mietkosten mehr tragen müssen.
Liquiditätskredite dienten im Gegensatz zur langfristigen Kreditaufnahme ursprünglich der Überbrückung kurzfristiger finanzieller Engpässe. Sie haben sich aber mittlerweile zu einem Dauerfinanzierungsinstrument entwickelt. Liquiditätskredite sind ein besonders hervorstechender Indikator für die prekäre Haushaltslage von Gemeinden. Sie sind im Wesentlichen bei wirtschaftlich schwächeren Kommunen mit hohen Sozialausgaben feststellbar. Die Ausgaben sind deshalb in solchen Kommunen, oftmals schon seit Jahrzehnten, höher als die Einnahmen.
Durch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sind die Länder verpflichtet, ihre Haushalte so aufzustellen, dass das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts spätestens 2020 erreicht wird. Die Landesregierung plant deshalb, die Nettoneuverschuldung Schritt für Schritt abzusenken, so dass ab dem Jahr 2020 die Vorgabe des Grundgesetzes erfüllt werden kann. Rückschläge zur Erreichung dieses Zieles sind in der Finanzplanung der Landesregierung nicht vorgesehen.
Neue Finanzierungsmodelle gerade zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten sind deshalb gefragt. Da Versicherungen wegen der geringen Marktzinsen nach Möglichkeiten suchen, die Beiträge ihrer Kunden sicher und gewinnträchtig anzulegen, wollen Bunderegierung und EU-Kommission ihnen die Investition in Infrastrukturprojekte ermöglichen. Entsprechend den Regelungen der EU muss deshalb die Risikobewertung geändert werden. Solche Investitionen müssen deshalb sicherer als bisher eingestuft werden.
Die Allianz Lebensversicherung z.B. kann sich dann vorstellen in die Infrastruktur zu investieren, wenn die Rendite stimmt. »Wenn wir Eigenkapital einsetzen, erwarten wir schon etwa sieben Prozent«,[1] so der Vorstandsvorsitzende der Allianz, Markus Faulhaber, zum Tagesspiegel. Neben einer Mautpflicht könnten dies auch Zinszusagen der öffentlichen Hand sein, so die Vorstellungen.
Die Konditionen für Kommunalkredite für Städte und Gemeinden sind wesentlich günstiger. So verlangte die genossenschaftliche Finanzgruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken dafür eine Verzinsung von 1,66% bei einer 10-jährigren Zinsbindung und 3,08% bei einer 30-jährigen Zinsbindung.[2] Die Kommunalkredite würden die Bürgerinnen und Bürger weniger als die Hälfte kosten wie die Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch Versicherungen.
Die Vorgaben der Landesregierung setzen insbesondere finanzschwache Kommunen einem enormen Handlungsdruck aus. Weitere massive Leistungseinschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten drohen.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young GmbH hat mit ihrer Kommunenstudie 2014 »Kommunen in der Finanzkrise: Status quo und Handlungsoptionen« die Ergebnisse einer Befragung von 300 deutschen Kommunen im September 2014 vorgelegt. Auf die Frage nach bereits umgesetzten oder geplanten Reduzierungen von Leistungen wurden u.a. folgende Maßnahmen genannt: Reduzierung der Straßenbeleuchtung, Reduzierung oder Aufgabe von Angeboten in der Jugendbetreuung bzw. Seniorenarbeit, Schließung von Veranstaltungshallen bzw. Bürgerhäusern, Schließung oder eingeschränkter Betrieb von Hallen- und Freibädern, eine Reduzierung des ÖPNV-Angebots, Kita-Schließungen bzw. die Einschränkung des Angebots und die Schließung von Theater bzw. Oper.
Selbst solche drastischen Ausgabenkürzungen werden vielen nordrhein-westfälischen Kommunen nicht helfen ihren Haushalt auszugleichen. Dies ist erst dann absehbar, wenn die Summe der Einnahmeverbesserungen allein für Nordrhein- Westfalen zusätzlich mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr betragen würde. Zusätzliche Ausgaben z.B. Investitionen in die kommunale Infrastruktur sind selbst bei solchen Mehreinnahmen noch nicht möglich.
Landtag und Landesregierung könnten sich an den Forderungen des letzten DGB-Bundeskongresses bzw. anderer Organisationen orientieren und sich für eine Korrektur der steuerpolitischen Fehler der Vergangenheit einsetzen. So müssen z.B. eine verfassungskonforme Vermögensteuer und eine deutlich gestärkte Erbschaftsteuer wieder erhoben werden, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes umgesetzt und die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer unter Einbeziehung aller Unternehmen, Freiberufler und Selbständigen weiter entwickelt werden, die Zurverfügungstellung der nötigen Geldmittel zur Erfüllung der den Kommunen durch Bundesgesetze zugewiesenen Aufgaben endlich konsequent umgesetzt werden – Konnexität: »Wer bestellt, muss auch bezahlen«.[3]
Mit Mehreinnahmen von 2,9 Milliarden Euro für Nordrhein-Westfalen hätte eine Wiedereinführung eine Vermögensteuer die stärkste Aufkommenswirkung, gefolgt von der Erbschaftsteuer, deren Verdopplung in Nordrhein-Westfalen mit 875 Millionen Euro zu Buche schlagen würde. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes würde zusätzliche Mehreinnahmen von gut 400 Millionen Euro bringen, so der nordrhein-westfälische DGB.
Auf einer so gestärkten Finanzbasis hätten die Kommunen wieder eine Perspektive, um ihren Bürgerinnen und Bürgern qualitativ hochwertige Leistungen bieten und die dringend erforderlichen Investitionen tätigen zu können. Aber dieser Weg ist durch ideologisierte Politiker derzeit nicht gangbar. Steuererhöhungen für Unternehmen und Reiche darf es nicht geben, so ihr Mantra.
Martin Nees ist Gewerkschaftssekretär im ver.di Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Fachbereich Gemeinden. Zum Thema Kommunalfinanzen siehe auch die PowerPoint-Präsentation von Joachim Bischoff unter Herunterladen.
[1] www.tagesspiegel.de/wirtschaft/chef-der-allianz-lebensversicherung-wir-wuerden-gerne-autobahnenfinanzieren/10795234.html
[2] Internetabfrage, 11.10.2014: www.dghyp.de/de/oeffentliche-finanzierungen/kommunale-kredite/konditionen....
[3] Antrag zum DGB Kongress 2014: »Kommunen in Finanznot – Reiche höher besteuern«, veröffentlicht in: Newsletter Gemeinden, Ausgabe 6, Juli 2014. Der Newsletter ist unter www.gemeinden.nrw.verdi.de frei zugänglich.
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