Ungleichheit: Deutschland liegt vorn
Böckler Impuls Ausgabe 05/2015
Die Vermögen in modernen Gesellschaften sind extrem ungleich verteilt – so lautet eine zentrale Erkenntnis von Thomas Piketty in „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Miriam Rehm und Matthias Schnetzer zeigen, dass dies in Europa in besonderem Maße für Deutschland und Österreich gilt.
Die beiden Wissenschaftler der Arbeiterkammer in Wien haben den Household Finance and Consumption Survey (HFCS) ausgewertet. Diese im Jahr 2010 durchgeführte Erhebung enthalte erstmals für die meisten Länder der Eurozone vergleichbare Daten zur Vermögensverteilung, schreiben Rehm und Schnetzer. Dank zusätzlicher sozioökonomischer Informationen sei es möglich, der von Piketty beschriebenen Konzentration von Vermögen „ein Gesicht zu geben“.
Das reichste Prozent der Deutschen besitzt den HFCS-Daten zufolge etwa 24 Prozent am gesamten Privatvermögen. Tatsächlich dürfte der Anteil sogar noch höher ausfallen, so die Forscher. Das liege daran, dass sich die Vermögen von Superreichen in einer freiwilligen Erhebung schwer erfassen lassen. Nach Schätzungen könnte in Deutschland bis zu einem Drittel des Vermögens beim reichsten Prozent konzentriert sein, in Österreich sogar gut 40 Prozent.
Auch der sogenannte Gini-Koeffizient – ein verbreitetes Maß für Ungleichheit – belegt, dass Vermögen in Österreich und Deutschland besonders ungleich verteilt sind. Je näher der Gini-Koeffizient am Wert 1 liegt, desto größer ist die Ungleichverteilung. Laut HFCS kommen Österreich mit 0,77 und Deutschland mit 0,76 auf die höchsten Gini-Werte in der Eurozone. Dahinter folgen Zypern mit 0,7, Frankreich mit 0,68 und Portugal mit 0,67.
Die Analyse von Rehm und Schnetzer zeigt außerdem, dass es große Unterschiede in der Form gibt, die Vermögen annimmt: Das Vermögen derjenigen, die zur unteren Hälfte der Verteilung zählen, bestehe hauptsächlich aus Kraftfahrzeugen. Bei der „oberen Mitte“ gewinne das Eigenheim deutlich an Bedeutung, zum Teil auch Aktien und Fonds. Erst bei den „Reichen“, in diesem Fall den obersten fünf Prozent der Vermögensverteilung, seien Immobilien als Kapitalanlage sowie Unternehmensbeteiligungen sehr verbreitet. Diese Gruppe verfüge deutlich häufiger über Anleihen, Aktien, Fonds und risikobehaftete Investments.
Während die große Mehrheit der Österreicher ihr Einkommen hauptsächlich aus Arbeit erziele, ändere sich dies am oberen Rand der Verteilung. Das oberste Prozent der Vermögenden in Österreich beziehe etwa ein Drittel seines gesamten Einkommens aus Kapitalanlagen. Die Vermögenseinkommen seien noch viel ungleicher verteilt als die Arbeitseinkommen, schreiben die Forscher.
Auch bei Erbschaften zeigen die Daten eine Schieflage: Je vermögender ein Haushalt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, in den Genuss einer Erbschaft zu gelangen. Unter den reichsten zehn Prozent der österreichischen Haushalte erbten etwa 70 Prozent, unter den ärmsten zehn Prozent nur jeder zehnte Haushalt. Dabei steige auch die Höhe der empfangenen Erbschaft. Bei den reichsten zehn Prozent betrage eine durchschnittliche Erbschaft 300.000 Euro, bei den ärmsten zehn Prozent am anderen Ende der Verteilung etwa 20.000 Euro. Die Wissenschaftler sehen darin einen Beleg für die „starke dynastische Bedeutung“ von Erbschaften.
Piketty kommt in seinen empirischen Analysen zu einem ähnlichen Ergebnis. Eine zentrale Erkenntnis bei ihm lautet, dass es deutlich wahrscheinlicher sei, große Vermögen durch Erbschaften aufzubauen, als durch Arbeit. Diese Schlussfolgerung werde durch die neuen Daten gestützt, so Rehm und Schnetzer.
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