Steuerschätzung des IMK: Einnahmen steigen bis 2020 auf 807 Milliarden Euro - Aufkommen aus Erbschaftsteuer verdoppeln

Pressemitteilung Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung

03.05.2016 / Hans-Böckler-Stiftung, 02.05.2016

Bund, Länder und Gemeinden können infolge des stabilen, binnenwirtschaftlich fundierten Wirtschaftsaufschwungs in diesem und in den kommenden Jahren bis 2020 mit kontinuierlich steigenden Steuereinnahmen rechnen. 2016 wird das Aufkommen aus Steuern und Abgaben zwar noch recht moderat um 2,7 Prozent auf gut 691 Milliarden Euro wachsen. Das sind aber immerhin 5 Milliarden mehr als der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ beim Bundesfinanzministerium im vergangenen November prognostiziert hat. Grund für das vergleichsweise langsame Wachstum sind die Erhöhung von Grund- und Kinderfreibeträgen, leichte Entlastungen beim Steuertarif und Erstattungen nach Gerichtsurteilen. Ab 2017 beschleunigt sich die Einnahmeentwicklung spürbar. 2020 werden Bund, Länder und Gemeinden knapp 807 Milliarden Euro einnehmen. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Steuerschätzung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, die heute als IMK-Report auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt wird. Laut IMK nimmt die öffentliche Hand bis 2020 zusammengerechnet über 45 Milliarden Euro mehr ein als im November vom Arbeitskreis erwartet.

Während sich das Aufkommen somit positiv entwickelt, weist das deutsche Steuersystem laut IMK aber weiterhin deutliche Defizite auf beim Ziel, der gewachsenen sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken. Das zeige sich sehr deutlich auch bei den Plänen der Großen Koalition zur Neuregelung der Erbschaftsteuer. Die bisherige Gesetzgebung wurde Ende 2014 unter anderem für verfassungswidrig erklärt, weil die steuerfreie Übertragung von großen Betriebsvermögen ohne Bedürfnisprüfung eine unverhältnismäßige Überprivilegierung darstellt und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verstößt. Der daraufhin vorgelegte Gesetzentwurf „steigert das Aufkommen nur unzureichend, beseitigt kaum die Privilegierung des Betriebsvermögens und birgt weiterhin verfassungsrechtliche Risiken“, schreiben die IMK-Steuerexpertin Dr. Katja Rietzler, der Berliner Wirtschaftsprofessor Prof. Dr. Achim Truger, der Steuerfachmann Dieter Teichmann und Birger Scholz von der Freien Universität Berlin. In der IMK-Steuerschätzung legen die vier Wissenschaftler ein verfassungsgerechtes Alternativkonzept vor, mit dem sich außerdem das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer langfristig verdoppeln ließe – ohne bei der Übertragung von Betrieben Arbeitsplätze zu gefährden.

Die IMK-Steuerschätzung beruht auf der aktuellen Frühjahrsprognose des IMK von Ende April, die um einen mittelfristigen Ausblick ergänzt wurde. „Die vom IMK erwarteten Mehreinnahmen kommen angesichts der finanzpolitischen Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise zur rechten Zeit“, konstatieren die Forscher. Sie resultierten primär aus der positiven Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung, seien jedoch auch der Tatsache zu verdanken, dass die Politik „sich nicht – wie früher in Jahren guter Einnahmenentwicklung – zu kostspieligen Steuersenkungen hat verleiten lassen“, betonen die Experten. Dafür sehen sie auch in den kommenden Jahren keinerlei Spielraum: „Zentrale Zukunftsinvestitionen in Bildung und Infrastruktur müssen – wegen der Flüchtlingskrise mit nochmals erhöhter Dringlichkeit – getätigt werden und viele Länder und Kommunen brauchen dringend finanzielle Unterstützung, um ihre Kernaufgaben erfüllen und die Konsolidierungsziele erreichen zu können.“

45 Milliarden mehr als in der Herbstschätzung erwartet


Im Vergleich zur letzten Prognose des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ beim Bundesfinanzministerium vom November 2015 prognostizieren Rietzler, Truger, Teichmann und Scholz erhebliche Mehreinnahmen. So rechnen sie für 2017 mit gesamtstaatlichen Steuereinnahmen von 725,6 Milliarden Euro, acht Milliarden mehr als vom Schätzerkreis im November erwartet (siehe auch Tabelle 3 im Report; Link unten). Für 2018 geht die IMK-Schätzung von einem Gesamtaufkommen von 755,2 Milliarden aus (+10,6 Milliarden). Zusammengerechnet nimmt die öffentliche Hand zwischen 2016 und 2020 laut IMK 45,6 Milliarden Euro mehr ein als der AK „Steuerschätzungen“ im vergangenen November prognostiziert hat.

Das binnenwirtschaftliche Fundament des aktuellen moderaten Wirtschaftsaufschwungs schlägt sich nach der IMK-Analyse deutlich nieder in einem fortgesetzt kräftigen Wachstum bei Lohnsteuern, Umsatzsteuern und bei Zöllen für Importe.

Erbschaften: Verfassungsgerechte und praktikable Alternative zur massiven Privilegierung von Betriebsvermögen


Stark gestiegen ist 2015 auch das Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer sowie aus der Erbschaftsteuer. Letzteres erklären die Forscher allerdings zum Teil mit Vorzieheffekten: Angesichts der zu erwartenden gesetzlichen Neuregelung sei im vergangenen Jahr sehr viel Betriebsvermögen über Schenkungen übertragen worden. Dabei profitierten insbesondere die Empfänger sehr großer Betriebsvermögen noch von der massiven Privilegierung dieser Vermögensart, obwohl sie das Bundesverfassungsgericht 2014 für verfassungswidrig erklärt hat. Da vor allem wohlhabende Haushalte Betriebsvermögen halten und verschenken oder vererben, führt diese Privilegierung zu einem weitgehend regressiven Steuerverlauf bei Schenkungen und Erbschaften insgesamt, zeigen die Wissenschaftler anhand von Daten des Statistischen Bundesamts: So wurden Schenkungen in Höhe von 5000 bis 10.000 Euro 2014 im Durchschnitt effektiv mit 10,2 Prozent besteuert. In der Größenklasse über 20 Millionen Euro, in der viel Betriebsvermögen weitergegeben wird, lag die effektive Besteuerung dagegen lediglich bei 0,4 Prozent. Erbschaften über 20 Millionen Euro wurden effektiv zwar höher besteuert. Doch lag die Belastung mit 7,8 Prozent deutlich niedriger als in den übrigen Größenklassen ab 50.000 Euro (siehe auch Tabellen 6 und 7)

Die von der Bundesregierung geplante „minimalinvasive“ Novelle der Erbschaftsbesteuerung werde an diesem Missverhältnis nur wenig ändern, konstatieren die Steuerexperten. Mit sehr weitgehenden Verschonungsregeln privilegiere die Regierung Firmenerben weiterhin weitaus stärker als nötig sei, um Arbeitsplätze bei der Übertragung auf die nächste Eigentümergeneration zu sichern.

Das vorgeschlagene Alternativmodell orientiert sich daher am Gesetzentwurf der Regierung, baut die pauschale Verschonung des Betriebsvermögens aber so weit wie möglich ab, „ohne dass die Fortführung des Betriebes steuerlich gefährdet würde“. So sieht der Alternativ-Vorschlag weiterhin eine Bedürfnisprüfung vor, mit der verhindert werden soll, dass Empfänger von Betriebsvermögen finanziell überfordert werden. Anders als im Gesetzentwurf vorgesehen, würde auch Empfängern ohne ausreichendes Privatvermögen die Steuer langfristig nicht komplett erlassen. Vielmehr müssten auch sie bis zu 15 Prozent Steuern zahlen – mindestens den halben tarifären Steuersatz der Steuerklasse I. Durch großzügige Möglichkeiten zu einer verzinsten Stundung der Steuerzahlung über bis zu 15 Jahre sei dabei aber sichergestellt, dass die Erben ihre Steuern auf jeden Fall aus den laufenden Erträgen des übertragenen Unternehmens bezahlen können. Ohne dass Arbeitsplätze gefährdet würden, könne so „das Aufkommen der Erbschaftsteuer langfristig problemlos verdoppelt werden und die Erbschaftsteuer einen deutlich größeren Beitrag zur Korrektur der Einkommens- und Vermögensverteilung leisten“, resümieren die Wissenschaftler.

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