Entscheidet euch: Es gibt keine Mitte zwischen Antifaschismus und Faschismus
Positionspapier des Instituts Solidarische Moderne
Die parlamentarische Demokratie stand nach den diversen Wahlen in 2019 vor einer neuen Herausforderung. Denn in den neuen Bundesländern sind wegen der beschämenden Ergebnisse der AfD komplizierte Voraussetzungen für Regierungsmehrheiten entstanden. Um dieses Problem aufzulösen, bedarf es Mehrheiten jenseits der alten Bündnisse.
In Sachsen haben sich unter einem Ministerpräsidenten Kretschmer die SPD und erstmals auch Bündnis90/Die Grünen an einer Koalition beteiligt, obwohl es erhebliche inhaltliche Differenzen gab und bei der OB-Wahl in Görlitz hat ein Bündnis aller Parteien (auch die Linke) knapp einen AfD-Oberbürgermeister verhindert. Doch CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer reklamierte das als Erfolg für die CDU und zeigte schon damals die Unfähigkeit ihrer Partei, mit der neuen Situation umzugehen.
In Thüringen wäre daher die logische Konsequenz gewesen, dass entweder die FDP oder die CDU über ihren Schatten gesprungen wäre - um den Faschist*innen rund um Höcke Einhalt zu gebieten. Jedoch ist eine Katastrophe sondergleichen geschehen. Deshalb verdeutlicht #Dammbruch das Geschehnis perfekt.
Wegen des inhaltsleeren Fokus allein auf Machterhalt und der Phrase des „Kandidaten der Mitte“ hat sich Gelb/Schwarz von der AfD zum Narren halten lassen. Den Parteispitzen rund um Lindner und AKK war die Taktik der AfD bewusst. Sie hatten weder die Durchgriffsmöglichkeit noch Interesse daran, das absehbare Ergebnis aktiv zu verhindern. Es gab sogar viele Sympathisant*innen für diese Idee und kurz nach der Wahl einige Jubel-Tweets prominenter Politiker*innen. Der Hass auf die Linke und die Liebe zur Macht waren einfach zu groß, und deshalb sind sie machttrunken ins offene Messer gelaufen. Dass nur der Ostbeauftragte Hirte seinen Hut nehmen musste – damit ist es nicht getan. Vielmehr zeigt sich in der aktuellen Situation eine massive Krise des Konservativismus, das Auseinanderdriften von (neo-)liberalen, wertkonservativen, nationalkonservativen bis hin zu völkischen Strömungen, die von der Parteiführung nicht mehr zusammengehalten werden können – wie sich am Führungsverzicht der CDU-Vorsitzenden ablesen lässt – und teilweise schon in die AfD abgewandert sind.
Wenn wir die Brandmauer gegen Rechts als Konsens aller demokratischen Parteien ernstnehmen, brauchen wir eine Antwort auf diese verstrickte Situation: Und diese heißt Rot-Grün-Rot – in Thüringen wie im Bund 2021. In Thüringen gibt es mit Bodo Ramelow einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, der den Respekt der Menschen in Thüringen genießt und bewiesen hat, dass er eine Amtszeit erfolgreich gemeistert hat, eine klare Abgrenzung zu den Faschist*innen markiert und dafür 70% Zustimmung unter den Wähler*innen erhält. Vor allem aber steht er einer Koalition vor, die diesen Kampf geschlossen und inhaltlich aufnehmen will. Diesem Kampf gegen den Faschismus müssen sich von Zeit zu Zeit CDU und FDP in Thüringen ebenfalls anschließen. Sie haben immer noch die Möglichkeit über ihren Schatten zu springen und den über alle Parteien hinweg geachteten Politiker Bodo Ramelow zum MP zu Wählen. Oder den Weg für Neuwahlen freimachen. Etwas Drittes gibt es nicht. Eine Mitte im Kampf gegen den Faschismus kann es nicht geben!
Die Gründung des ISM vor 10 Jahren war von der Überzeugung getragen, dass die Perspektive einer sozial-ökologischen Transformation eine politische Machtposition benötigt, und dass eine notwendige Verschiebung auf dem politischen Terrain wiederum auf eine zivilgesellschaftliche Basis angewiesen ist. Eine wirkliche Alternative entsteht nicht zufällig, sondern muss vorbereitet und organisiert werden. Zu dieser Vorbereitung gehört auch, dass die politischen Akteur*innen aus den linken Parteien, der kritischen Wissenschaft, den Gewerkschaften, NGOs, sozialen Bewegungen und Kulturschaffenden zusammen an diesem Projekt arbeiten, sich dabei kennen- und verstehen lernen und so gemeinsame Positionen entwickeln. Auch wenn das rot-grün-rote Projekt bisher auf Bundesebene nicht zustande gekommen ist, sehen wir – wie wir in unserem aktuellen Positionspapier „Aufs Ganze gehen!“ erläutern – keine Alternative dazu. In zwei Bundesländern jedoch sind solche progressiven Regierungen trotz massiver Widerstände und nicht ohne Widersprüche Realität geworden, in Berlin und in Thüringen – und dass sie einen qualitativen Unterschied machen, demonstrieren nachgerade die aktuellen Ereignisse in Thüringen. Auch in Thüringen war R2G alles andere als selbstverständlich, die Konkurrenz und Entfremdung zu groß. Eine erste solche Regierung kam daher zunächst nicht zustande.
Doch über die gemeinsamen Regierungsjahre haben sich Linkspartei, SPD und Grüne angenähert, ein gemeinsames Verständnis entwickelt und politische Projekte umgesetzt, die die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Transformation verbessern. Unterstützt wurden sie auch aus der Zivilgesellschaft. Aus der Perspektive des ISM kann das alles nur ein Anfang sein. Aber es war ein Anfang. Und das Ergebnis zeigt sich jetzt deutlich: Es gibt nun einen progressiven Koalitionsvertrag, der die sozial-ökologische Frage in seinem Zentrum hat – und der zugleich ein Wahlprogramm für die dringend gebotenen Neuwahlen in Thüringen darstellt. Und damit können die drei Parteien, in der historischen Situation des Versagens der konservativen Parteien angesichts der Destruktionspolitik der neonazistischen AfD, erstmals mit einem gemeinsamen Programm – zur Wahl antreten. Über die konkrete historische Situation hinaus kann das ein starkes Signal zu einem Neuanfang für das rot-grün-rote Projekt sein. Es kann ein Beispiel dafür werden, wie die drei Parteien gemeinsam, vorbereitet und abgestimmt, gestützt und vorangetrieben von den Vielen, in die Offensive geraten können. Das wird auch höchste Zeit: Angesichts der Bedrohung durch die ökologische Krise und die faschistische Gefahr, die unerträgliche Situation an den europäischen Außengrenzen und die Zerstörung der sozialen Infrastruktur im globalen Ausmaß ist eine linke, auf soziale Bewegungen gestützte Regierung – die zur Zeit nur R2G heißen kann – die Brandmauer gegen rechts und zugleich die Option für eine emanzipative Veränderung der Verhältnisse. Die CDU hat das zumindest schon längst begriffen: Während sie die Etablierung der AfD bewusst in Kauf genommen hat, verortete die Strategie im letzten Wahlkampf den Hauptgegner in Rot-Grün-Rot. Es wird jetzt Zeit, damit Ernst zu machen und diese Auseinandersetzung von links anzunehmen. Entscheidet euch: Es gibt keine Mitte zwischen Antifaschismus und Faschismus.