Abschaffung der kostenfreien „Bürgertests“ erhöht Gesundheitsrisiko von Menschen mit geringen Einkommen und gefährdet Existenz von Kultureinrichtungen
Die 95. Gesundheitsministerkonferenz hat mit ihrem Beschluss vom 1. Juli 2022 richtig festgestellt, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Aktuell stehen wir am Beginn einer Sommerwelle. Für den Herbst und Winter ist mit einer weiteren Zunahme des Infektionsgeschehens zu rechnen. Es ist nicht sicher vorhersagbar, aber möglich, dass Virusmutationen wieder zu einer größeren Gefährdung der Bürgerinnen und Bürger und einer erneuten kritischen Belastung des Gesundheitssystems führen werden.
Ein Fortschritt ist, dass seit den zurückliegenden Winterwellen massentaugliche PCR-Tests, AntigenTests zur Eigenanwendung, zahlreiche Impfstoffe und spezifische antivirale Medikamente zur Verfügung stehen. Allerdings entfällt nun mit der neuen Testverordnung des Bundes ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Corona, nämlich die kostenfreien Bürgertests. Das ganze Vorhaben ist kritisch: Für weite Bevölkerungsgruppen ist die Eigenbeteiligung finanziell nicht tragbar, andere Teile haben gar keine Zugangsberechtigung mehr. Durch die bürokratische Umsetzung der Eigenbeteiligung droht das bislang breite Angebot an Testungen zu scheitern.
Menschen mit geringem Einkommen sind aufgrund verschiedener Faktoren einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, und mit schwerem Verlauf zu erkranken. Vor einer Infektion können sie sich bereits schlechter schützen. Jetzt noch weitere Hürden aufzubauen, sei es bürokratischer oder finanzieller Natur, birgt Risiken für alle, gefährdet das Erreichte – auch im Kultursektor: Wir sind angewiesen auf flächendeckende und kostenfreie Tests, weil wir nur so unsere Schutzmaßnahmen für Kultureinrichtungen möglichst sicher gestalten können, unnötige Risiken vermeiden und Zugänge für alle anbieten können.
Den Zugang zu Bürgertests mit Hürden zu versehen, trifft vor allem Menschen in Berufen, in denen man sich aufgrund beengter Arbeitsverhältnisse oder durch zahlreiche Kontakte besonders schlecht schützen kann. Wird der Zugang zu Corona-Tests einem Teil der Bevölkerung verwehrt, bleiben Infektionen unentdeckt und der Infektionsdruck steigt weiter. Das ist alles andere als ein Beitrag zur Armutsbekämpfung, obwohl flächendeckende soziale Entlastungen so notwendig sind wie lange nicht.
Die Teilhabe an Kunst und Kultur, die Auseinandersetzung mit kulturellen Formaten, die Reibung an künstlerischen Positionen ist wesentlicher Bestandteil der Verständigung innerhalb unserer Gesellschaft. Menschen, die die Eigenbeteiligung nicht tragen können, werden ausgeschlossen. Dieser Umstand ist unwürdig und unhaltbar!
Die Abschaffung der kostenfreien „Bürgertests“ sollte von der Bundesregierung dringend überdacht werden. Das ist nicht nur geboten, um sozialer Ungleichheit und Gesundheitsgefahren insbesondere von Menschen mit geringen Einkommen und Armutsbetroffenen entgegenzuwirken, sondern auch eine Frage der ökonomischen Vernunft. Über zwei Jahre haben wir enorme Mittel in die Hand genommen, um beispielsweise Künstler*innen und Kultureinrichtungen zu schützen, ihr Überleben zu sichern. Dies auch, weil wir ihren Wert für unser Miteinander erkannt haben. Die kostenfreie Testung war wesentlicher Bestandteil von Öffnungsszenarien und sicherem Kulturerleben. Das Ende der Kostenfreiheit unterläuft diese Bemühungen massiv, gefährdet uns alle und verhindert Teilhabe, wo sie zu ermöglichen ist.
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