Einer nach dem anderen holt die Leichen aus dem Keller
FREIER FALL AN DEN BÖRSEN - Keine Regierung und keine Zentralbank ist derzeit in der Lage, die ausgebrochene Weltfinanzkrise regional oder national einzudämmen
Seit dieser Woche ist es an den Börsen mit der trügerischen Ruhe vor dem Sturm endgültig vorbei. Professionelle Gesundbeter wie Jürgen Stark, Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB), hatten wieder und wieder verkündet, die "Turbulenzen" seien vorüber, von einer Krise könne keine Rede sein. Stattdessen gingen in nur wenigen Tagen die Kursgewinne eines ganzen Jahres verloren.
Seit Anfang Januar sind gut 800 Milliarden an Börsenwerten in Rauch aufgegangen. Fast jede Großbank musste in ihren Jahresberichten Milliardenverluste aus fehlgeschlagenen Spekulationsgeschäften einräumen. Mit jeder neuen Verlustmeldung stieg das Misstrauen der Banken untereinander. Die Kreditkrise hielt an - allen Versuchen der Zentralbanken zum Trotz, den Geldmarkt mit Liquiditätsspritzen und Zinssenkungen wieder flott zu bekommen, die Rezessionsfurcht konnte nicht gedrosselt werden. Was in den USA auf dem Hypothekenmarkt als Subprime-Krise begann, hat längst alle Finanzmärkte infiziert und die "Realwirtschaft" dazu.
Am 21. Januar 2008, einem wirklich "schwarzen Montag", hat die grassierende Angst vor der großen Weltwirtschaftskrise zur Panik an den Weltbörsen geführt. In wenigen Stunden rauschten die Aktienkurse, voran die Finanzwerte, in den Keller. Die Aktienindizes verzeichneten überall - in Europa, in Asien, in den USA - dramatische Verluste von fünf bis acht Prozent. Seit dem 11. September 2001 hat es an einem einzigen Börsentag nicht mehr derartige Verluste gegeben. Es bleibt nur der schwache Trost, dass die Verluste die offiziell definierte Marke eines Börsenkrachs - einen Absturz von mehr als zehn Prozent an einem Tag - knapp verfehlt haben. Nur in Indien fiel der Nifty-Index, der sich auf die 50 größten Unternehmen des Landes bezieht, um 10,68 Prozent. Aber seit Beginn des Börsenjahrs haben die Weltbörsen ein Minus von satten 15 Prozent zu verkraften (der DAX allein fast zehn Prozent).
Der Wohnungsbau in den USA ist um mehr als 40 Prozent eingebrochen
Anders als während der Asienkrise vor zehn Jahren gelingt es heute keiner nationalen Regierung und keiner Zentralbank mehr, die Krise regional oder national einzudämmen. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Alle - von den US-Investmentbanken bis hin zu biederen deutschen Industrie- und Handelsbanken und sogar den Landesbanken - haben sich an dem hochriskanten Spiel mit Kreditderivaten beteiligt, der Umfang des globalen Handels mit "strukturierten Finanzprodukten" erhöhte sich seit 2001 etwa um das Dreißigfache. Kaum eine Bank, die nicht mit speziell gegründeten Hedgefonds oder sonstigen "Zweckgesellschaften" mitspekuliert hat. Und hypothekenbesicherte Anleihen waren und sind eben nur eine Art von Derivaten, hinter denen faule Kredite lauern.
Als die US-Hypothekenkrise im Juli 2007 begann, war ihr ganzes Ausmaß nur zu erahnen. Doch stand von Anfang an außer Frage - weltweit saßen Großbanken, Versicherungen, Finanzkonzerne oder deren Tochtergesellschaften auf Massen von unverkäuflichen, entwerteten Papieren. Weltweit versuchten Bankmanager, die Dimensionen des Desasters vor ihren Aktionären zu verbergen.
Die Banken drehten einander den Geldhahn zu, schraubten die Geldmarktzinsen auf unerhörte Höhen, verschärften die Kreditkonditionen und horteten Geldkapital. Als Wochen später die ersten Quartalsberichte fällig wurden, zeigte sich, wie Recht sie hatten, einander zu misstrauen. Eine international tätige Großbank nach der anderen musste die Leichen aus dem Keller holen. Die City Bank, Merrill Lynch, J.P. Morgan, die schweizerische UBS, die Deutsche Bank und viele andere mussten für das dritte Quartal Verluste in vielfacher Milliardenhöhe einräumen. Über 145 Milliarden Dollar sind bisher offiziell abgeschrieben worden - dennoch sitzen Banken, Versicherungen und Investmentfonds weiter auf Bergen unverkäuflicher Spekulationspapiere. Es wird geschätzt, dass sich allein dadurch die Verluste weltweit auf 400 bis 500 Milliarden Dollar summieren.
Für die Deutschen besonders schockierend: Auch Landesbanken wie die SachsenLB und die WestLB haben auf abenteuerliche Weise mitgezockt und Milliardenverluste eingefahren. Beide Institute standen kurz vor dem Bankrott und sind nur gerettet worden, weil die sächsischen wie nordrhein-westfälischen Steuerzahler für einen erheblichen Teil der Verluste gerade stehen müssen. Nachdem auch die als grundsolide geltende Münchner Hypo Real Estate fast 400 Millionen Euro an faulen Kreditpapieren abschreiben musste, darf man getrost annehmen: Es gibt kaum eine deutsche Großbank, die von dieser Finanzkrise nicht betroffen ist.
Die internationale Krise aber steht erst am Anfang - ihren Zenit hat sie noch lange nicht erreicht. Selbst die Krise auf dem US-Immobilienmarkt, mit dem alles begann, kommt erst jetzt richtig in Fahrt. Seit Monaten sinken die Immobilienpreise, steigt die Zahl der Zahlungsausfälle und Zwangsversteigerungen rapide. Der Wohnungsbau in den USA ist um mehr als 40 Prozent eingebrochen! In diesem Jahr stehen in jedem Monat 20 bis 30 Milliarden Dollar an Wackelkrediten zur Refinanzierung oder Verlängerung an - jeweils zu erheblich höheren Zinsen. Hunderttausende, vielleicht Millionen Hausbesitzer in den USA werden ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können, die Welle von Zwangsversteigerungen (mit entsprechendem Verlust für die Banken) rollt. 1,4 Millionen Zwangsverkäufe gab es 2007 - 2008 wird mit mindestens 1,5 Millionen gerechnet. Seit Mitte 2007 sind die Preise für Wohnhäuser in den USA kräftig gesunken - um über 20 Prozent auf dem Lande, um bis zu 40 Prozent in den Städten.
Die absehbaren Gesamtverluste dieser Immobilienkrise werden die Verluste, die beim Platzen der New-Economy-Blase 2000/2001 eintraten - über zwei Trillionen Dollar - deutlich in den Schatten stellen. Diese Finanzkrise übersteigt alles bisher Gekannte.
Auch in Europa steht eine Immobilienkrise bevor
Kaum überraschend krachen die übrigen Konsumentenkredite. Seit Juli 2007 sind die Ausfälle bei Autofinanzierungen in den USA rapide gestiegen und steigen weiter. Fatal für den größten Automarkt der Welt, wo weit über 80 Prozent aller Käufe mit Krediten finanziert werden. Der Konsumboom auf Pump - ermöglicht und beschleunigt durch scheinbar endlos steigende Immobilienpreise - ist ausgereizt (nicht nur in den USA). Also werden die Banken, die Autokäufe, Kreditkarten und andere Konsumentendarlehen finanziert haben, weitere Forderungen in Milliardenhöhe abschreiben dürfen. Und zwar so, dass auch der Markt für Kreditausfallversicherungen (credit default swaps) nicht ungeschoren davon kommt. Selbst die größten Versicherungsfirmen sehen sich derzeit außerstande, die Verluste zu kompensieren, die durch den dramatischen Preisverfall von Kreditderivaten und Wertpapieren eintreten. Es wird geschätzt, dass mehr als 3,3 Billionen Dollar an solchen Versicherungen in den Vereinigten Staaten in Umlauf sind, so dass die großen US-Versicherer, die kräftig mitspekuliert haben, nun ebenfalls ins Schleudern geraten und Milliarden abschreiben. Dieser Trend wurde zum Auslöser für die Panik der Weltbörsen in dieser Woche. Denn: Wenn auch die Anleiheversicherer wanken, ist kein Ende der Kreditkrise in Sicht.
So hat in den USA die Rezession de facto schon begonnen. In Europa stehen etliche Spekulationsblasen ebenfalls kurz vor dem Platzen - in Spanien, Großbritannien, Irland und Belgien dämmern Immobilienkrisen herauf, die europäische Banken - darunter auch deutsche - noch sehr viel stärker erschüttern werden als die US-Subprime-Krise das bisher getan hat. In den genannten Ländern gibt es seit geraumer Zeit immer mehr Zwangsversteigerungen. Allein in Spanien sind etwa 700 Milliarden Euro an Hypothekenkrediten vergeben, verbrieft und weiterverkauft - und die werden in absehbarer Zeit in Massen "faul". In Großbritannien ist der Hypothekenmarkt bereits eingebrochen. Das dicke Ende - eine wirkliche Weltwirtschaftskrise - kommt bestimmt. Vermutlich schneller als gedacht.
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