Eltern in Deutschland sind arm dran
Die meisten Familien wünschen sich eine gleichberechtigte Arbeitsteilung – die Realität sieht anders aus
Elternsein war noch nie so schwer wie heute. Nur die wenigsten schaffen, was sich viele wünschen, nämlich die Vereinbarung von Familie und Job in einer gleichberechtigten Partnerschaft. Das ergab eine am Montag in Berlin vorgestellte forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift »Eltern«.
Mangelnde Betreuungsplätze, Erziehungsnotstand und Verwahrlosung. Deutschland ist besorgt um seine Kinder. Doch wie geht es eigentlich den Eltern? Diese Frage ist Gegenstand einer forsa-Umfrage, die die Zeitschrift »Eltern« gestern vorstellte. Rund 1000 Väter und Mütter mit Kindern unter elf Jahren wurden nach ihrem Lebensgefühl befragt. Das Ergebnis: 62 Prozent der Eltern wünschten sich eine gleichberechtigte Aufgabenverteilung in der Familie, in der beide Elternteile berufstätig sind und sich ebenfalls beide um die Kindererziehung kümmern. Dieser Wunsch ist für wenige Realität. Nur 29 Prozent der Befragten leben dieses moderne Familienmodell. Besonders die Ostdeutschen bevorzugen eine Arbeitsteilung. Während 79 Prozent der Ostdeutschen dieses Modell favorisieren, sind es in den alten Bundesländern nur 50 Prozent. Vor allem Mütter versuchen nach wie vor einen Spagat zwischen Beruf und Familie. So wünscht sich fast die Hälfte aller Frauen mehr arbeiten zu können, haben aber keine befriedigende Betreuungslösung und bemängeln fehlendes Verständnis in der Arbeitswelt. Auch die Väter wünschen sich im Berufsleben mehr Respekt gegenüber ihrer Rolle zu Hause. 60 Prozent der Väter würden gerne mehr Zeit für ihre Kinder haben, der Job lässt es jedoch nicht zu.
»Eltern, die wenig verdienen oder keine gute Ausbildung haben, können Familie und Berufsleben besonders schlecht vereinbaren«, sagte »Eltern«-Chefredakteurin Marie-Luise Lewicki. Die Politik müsse ihr Augenmerk auf diese Gruppe richten, statt sich nur mit den Problemen der Akademiker auseinanderzusetzen. »Eine Verkäuferin, die bis 20 Uhr im Laden steht, hat weniger Möglichkeiten, sich um ihre Kinder zu kümmern als Akademiker, die in der Regel flexiblere Arbeitszeiten haben und sich Kinderbetreuung leisten können«, sagte Lewicki. Kinder bei der Oma abzugeben funktioniere nicht mehr, da die Großeltern nur noch selten im gleichen Ort leben wie die Eltern.
Trotz Eltern- und Kindergeld finden Mütter und Väter, dass sie in Deutschland arm dran sind. »Insgesamt gibt es mehr als 150 familienbezogene Leistungen. Diese scheinen jedoch nicht bei den Familien anzukommen, zumindest nicht im Bewusstsein«, meinte Lewicki. Mehr als drei Viertel der Befragten haben ganz oder überwiegend das Gefühl draufzuzahlen. Die meisten fühlen sich im Vergleich zu kinderlosen Paaren benachteiligt. 44 Prozent haben das Gefühl, mit Kindern auf vieles verzichten zu müssen. Und mehr als ein Drittel findet, dass man mit Kindern in Deutschland nicht gut leben kann. »Die Ursachen dafür liegen vor allem in der finanziellen Belastung. 90 Prozent finden die Lebenshaltungskosten zu hoch«, sagte »Eltern«-Redakteurin Anke Willers. Zu wenige Kinderbetreuungsmöglichkeiten kritisierten ebenfalls viele Befragte. Mehr als die Hälfte meint, dass Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko darstellen. 60 Prozent der Befragten haben sogar die Befürchtung, dass es ihren Kindern später finanziell schlechter gehen wird als ihnen selbst. Besonders die jungen Eltern zwischen 18 und 29 Jahren und Eltern mit Hauptschulabschluss sind in diesem Punkt pessimistisch.
Außerdem beklagten sich die Eltern wegen mangelnder Anerkennung in der Gesellschaft. Oft gebe es Beschwerden wegen zu lauter Kinder oder man ernte böse Blicke beim Restaurantbesuch mit der ganzen Familie. Auch das Bild in den Medien verärgere die Eltern. »Viele Eltern haben das Gefühl unter Generalverdacht zu stehen, weil sie denken, dass Einzelfälle von Kindesmisshandlungen verallgemeinert werden«, erklärte Anke Willers.
Die Studie belegt jedoch, dass Väter und Mütter eine klare Vorstellung von der Erziehung ihrer Kinder haben, die sie oft problemlos umsetzen können. Zwar gaben 41 Prozent an, ab und zu Zweifel zu bekommen und sich an Freunde zu wenden. Aber nur fünf Prozent nahmen schon einmal professionelle Hilfe in Anspruch. In diesem Punkt zeigten sich die jüngeren Eltern selbstbewusster als die älteren. »Das hängt damit zusammen, dass jüngere Eltern meist jüngere Kinder haben und das wiederum heißt weniger Probleme«, sagte Beate Minsel, Psychologin am Staatsinstitut für Frühpädagogik.
Wer glaubt, dass man sich den Ergebnissen der Studie zufolge um die Eltern hierzulande große Sorgen machen muss, der irrt. Trotz der schwierigen Lage vieler Eltern sind 62 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen zufrieden mit ihrer Situation. »Die meisten sind zufrieden, weil sie ihre Kinder lieben und es Spaß macht, sie um sich zu haben. Trotzdem fehlt die Balance zwischen Familien- und Berufsleben«, sagt Beate Minsel.
Einen guten Grund für den Kinderwunsch äußerten 60 Prozent der Befragten: Das Schönste für sie sei zu sehen, wie sich ihr Nachwuchs entwickelt. 36 Prozent finden, dass sie durch ihre Kinder mehr über sich selbst lernen und sich ebenfalls dadurch weiterentwickeln. Für knapp ein Drittel ist das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden, das Schönste am Elternsein.
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