Verlorene Retter
FINANZKRISE - Die Finanzwelt bebt - doch die eigentliche Krise steht uns noch bevor
Vor knapp zwei Wochen galt das internationale Finanzdesaster als bewältigt. Mit der Verstaatlichung der beiden US-Hypotheken-Giganten Fannie Mae und Freddie Mac, so hieß es allenthalben, sei das Schlimmste ausgestanden. Ein beispielloser Bankenkrach an der Wallstreet hat die Welt zu Wochenbeginn eines Besseren belehrt und in nur 24 Stunden sämtliche Weltbörsen erschüttert, eine Kettenreaktion ohnegleichen. Über Nacht hat sich so die Kreditkrise drastisch verschärft. Ein Indikator dafür ist die Hektik, mit der fast alle Zentralbanken Geld in die Märkte pumpen. Von "Turbulenzen" redet inzwischen keiner mehr, denn das US-Finanzsystem erlebt eine Systemkrise. Obwohl das so ist, will die US-Regierung weder für Lehman Brothers noch für Merrill Lynch, die Nummer drei an der Wall Street, den Retter geben. Auch der Versicherungskonzern AIG bettelt im Weißen Haus vergeblich um die milde Gabe von respektablen 40 Milliarden Dollar. Hundert weitere US-Banken wackeln bedenklich.
Das globale Börsenbeben hat die Aktienindizes überall in den Keller geschickt, in London, Zürich, Paris, Madrid und Mailand sackten sie um vier bis fünf Prozent - der Dow Jones verbuchte den tiefsten Stand seit dem 11. September 2001. Am schlimmsten hat es die Finanzwerte erwischt, Bank- und Versicherungsaktien mussten Verluste von bis zu 30 Prozent an einem Tag hinnehmen - allein der erwähnte Versicherungskonzern AIG verlor fast die Hälfte seines Börsenwerts.
Die Konsequenz wird sein: Investoren werden künftig selbst den altehrwürdigsten Banken nicht mehr trauen. Es gilt die Devise, rette sich, wer kann, denn Anleger flüchten weltweit aus den Bank- und Versicherungsaktien, um sich auf Staatsanleihen zu stürzen. Wieder einmal soll es der Staat sein, von dem die Finanzwelt Rettung aus selbst organisierter Not erwartet. An einem Tag stiegen die US-Schatzscheine mit zehnjähriger Laufzeit um zwei volle Punkte, das größte Plus seit über 20 Jahren. Ja, wenn es die guten alten Staatsschulden nicht gäbe - es bliebe verängstigten Investoren nur noch die Flucht in die Schatzbildung. Teilweise findet die jetzt statt, Gold wurde in dieser Woche gekauft wie verrückt.
Das ändert freilich nichts daran, dass die Banken vor den Folgen der Pleite an der Wall Street zittern. Soviel steht außer Frage: Durch Notverkäufe werden die Hypothekenanleihen und sonstigen "strukturierten Finanzprodukte" weiter verlieren. Neue Milliardenabschreibungen werden kaum zu vermeiden sein, so dass weitere Banken über die Insolvenzkante rutschen, während für die Realökonomie Stagnation und Rezession ihren Lauf nehmen.
Dass die Börsen so panisch reagiert haben, durfte niemanden überraschen. Bisher war es üblich, dass der Staat den Finanzkonzernen in der größten Not zu Hilfe kam und über Hand nehmende Spekulationsverluste mit Steuergeldern auffing. Die Bundesregierung, die britische Regierung, die spanische und die US-Regierung, alle haben sie das zuletzt wieder und wieder vorexerziert. Mit Milliarden wurden Banken gerettet, die sich verzockt hatten - notfalls sogar vom Staat übernommen. Zum ersten Mal hat sich nun die US-Regierung verweigert und Lehman Brothers dem freien Fall überlassen - der Brocken war offensichtlich zu groß. Genau deshalb haben Banker und Börsianer derzeit so eiskalte Füße wie noch nie, seit diese Finanzkrise ausgebrochen ist.
Nicht zufällig wollten deshalb zehn internationale Großbanken - darunter die Deutsche Bank und die Schweizer UBS - nicht länger warten mit ihrem Notfonds. Der staatlichen Einlagensicherung wird misstraut, soll das wohl heißen. Ein Votum des Zweifels mit einer eher symbolischen Botschaft, denn die Konzentration von Finanzkapital wird durch Fusionen und Übernahmen weiter Fahrt aufnehmen. Mit dem Notfonds lässt sich nicht mehr bewirken als mit dem Frisieren von Bilanzen - es wird Zeit gewonnen.
So bleiben nur die Zentralbanken als letzte Retter in der Not. Die tun, was sie schon seit vielen Monaten tun - sie verbilligen Kredite und pumpen Geld in die Märkte. Die US-Federal Reserve ebenso wie die Bank of England, die eine Liquiditätsspritze von fünf Milliarden Pfund verteilt, oder die Europäische Zentralbank, die weitere 30 Milliarden Euro auf den Kapitalmarkt wirft. Nützen wird das nichts, weil in einer Börsen- und Kreditkrise alle nur verkaufen wollen. Keine Zentralbankintervention kann das Kardinalproblem lösen: die Überschuldung durch fiktive Vermögenswerte.
Das Schlimmste steht uns noch bevor, das wissen inzwischen auch die Börsengurus. Ein Gutes hatte der Börsen-Tsunami vom 15. September auf jeden Fall: Selbst Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), Deutschlands größter Schönredner, kann die Krise nicht mehr leugnen.
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