Weihnachtsmänner im Frühherbst

Sinkende Arbeitslosigkeit und Beitragssatzsenkungen in Zeiten der Rezession

05.10.2008 / Von Richard Detje , Sozialismus

In Krisenzeiten sind Lichtblicke begehrt. Diese scheinen gegenwärtig vom Arbeitsmarkt zu strahlen. 3.080.000 registrierte Arbeitslose meldet die Bundesagentur für Arbeit (BA) für September. Das sind 463.000 weniger als vor einem Jahr, 115.000 weniger als im Vormonat, saisonbereinigt immer noch minus 29.000 gegenüber August.

Die Arbeitslosenquote ist damit auf 7,4% gesunken. In den ostdeutschen Bundeslän­dern sieht das nach wie vor anders aus: Dort liegt die Quote bei 12,2%. Aber im Westen der Republik sind es nur noch 6,1% – nach 9,9% im Jahresdurchschnitt 2005.

Für den Bundesarbeitsminister ist das wie vorgezogenes Weihnachten. Es wäre "ei­nes der besten Signale", wenn es bis zum Jahresende gelänge, dass die Arbeitslosig­keit "unter die drei Millionen sinkt", gab Olaf Scholz zu Protokoll. Würde dies doch sig­nalisieren, "dass die arbeitsmarktpolitischen Reformen nachhaltig wirken".

Assistiert wird Scholz vom Chef der BA. Frank-Jürgen Weise sieht den Arbeitsmarkt im Herbst 2008 "noch unbeeindruckt" von Rezessionsentwicklungen. Für das laufende Jahr rechnet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Durchschnitt mit 3,26 Millionen Arbeitslosen.[1] Das entspricht zwar nicht ganz Scholz' Erwartungen, aber auch in Nürnberg wächst die Vorfreude auf ein erfolgreiches Jahr 2008, geht man dort doch "bislang davon aus, dass die Krise auf den Finanzsektor begrenzt bleibt".

So werden in einer konzertierten Aktion die Geschenkpakete schon mal gepackt und der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter abgesenkt. Zwar erreicht die Bun­desregierung damit nicht mehr ihr Ziel, die Gesamtabgabenquote unter 40% zu senken. Aber das "Signal" will man rüberbringen, dass man entschlossen daran festhält, "den Faktor Arbeit" zu entlasten, was nach der in Berlin und Nürnberg weiterhin herrschen­den Meinung positive Beschäftigungseffekte zeitigen werde.

Was sind das für Weihnachtsmänner im Ministerium und in der Agentur? Notorische Optimisten, Schönredner, politische PR-Agenten? Um im laufenden Jahr bei 3,26 Mio. Arbeitslosen zu landen, bedarf es eines Wirtschaftswachstums von zweieinviertel Pro-zent.[2] Damit wird nicht nur nicht mit einer Rezession gerechnet – selbst ein kleiner Abschwung wird für das laufende Jahr ausgeschlossen. Wo leben die Leute?

Um den Beitragssatz auf 3% senken zu können, ohne die Rücklagen der BA überzu-strapazieren, bedarf es im kommenden Jahr eines Wirtschaftswachstums von rund ei­nem Prozentpunkt. Dann rutscht der BA-Haushalt zwar mit 3,2 Mrd. Euro ins Minus, was aber durch die Rücklage aus 2007 (6,6 Mrd.) ausgeglichen werden kann. Aller­dings: Sollte die Rezession der deutschen Ökonomie anhalten, wird die Rücklage derart abgeschmolzen, dass es selbst zu einer Schwankungsreserve nicht mehr reicht. Als Faustformel gilt, dass 0,5% weniger Wirtschaftswachstum zu einer Mehrbelastung der BA von einer Milliarde führt.

Die Politik der Beitragssatzsenkung ist eine Politik der sozialen Spaltung. Zumindest aus zwei Gründen. Zum einen, weil keine arbeitsmarktpolitische Vorsorge für einen er­neuten Anstieg der Arbeitslosigkeit in Rezessionszeiten getroffen wird. Jeder weiß,

dass der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Markt ist: zuerst gehen die Auftragseingänge zurück, dann die Investitionen und schließlich die Beschäftigung. Statt gegen die Ent­wicklung zu halten, werden die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik heruntergefah­ren: von 21,9 Mrd. Euro auf 15,2 Mrd. in den Jahren 2001-2007.[3] Zum zweiten, weil Rücklagenbildung zwecks Beitragssatzsenkung auf Kosten der Arbeitslosen erfolgt.

Der Rückgang der gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit von 92 Mrd. (2004) auf 68 Mrd. Euro (2007) – also um 24 Mrd. in gerade mal drei Jahren – ist nur zu einem Teil der Zunahme der Beschäftigung im Aufschwung seit 2005 zu verdanken. Infolge der Hartz IV-Gesetze sind seit 2005 die Ausgaben je Arbeitslosem um 7% herunterge­fahren worden, "vor allem weil Alg-II-Empfänger weniger Kosten verursachen als früher die Alhi-Empfänger"[4] – wie es entgegen aller Aktivierungs-Rhetorik von vornherein intendiert war. Arbeitslosigkeit wurde billiger – für Langzeitarbeitslose hingegen selbst in den Aufschwungjahren weder kürzer noch weniger. Vielmehr "wuchsen die Zugänge in Arbeitslosigkeit im Rechtskreis des SGB II zwischen 2005 und 2007 Jahr für Jahr."[5]

Nachdem der Aufschwung in den vergangenen Jahren an den Langzeitarbeitslosen vorbei gelaufen ist, werden Abschwung und Rezession die Reihen der "industriellen Reservearmee" in den kommenden Monaten wieder anschwellen lassen. Die Weih­nachtsmänner von heute werden ihr Kostüm dann schnell gegen das von Sparkommis­saren eintauschen.

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[1] H.-U. Bach/H.Gartner/S. Klinger/Th. Rothe/E.Spitznagel: Projektion 2009 – Der Arbeitsmarkt tritt auf der Stelle, IAB-Kurzbericht 13/2008.

[2] Ebd., Tabelle A1, S. 11.

[3] H.-U. Bach/E. Spitznagel: Staatsfinanzen – Die Kosten der Arbeitslosigkeit sind gesunken, IAB-Kurzbericht 14/2008, Tab. 3, S. 9.

[4] Ebd., S. 5.

[5] IAB-Kurzbericht 13/2008, S. 3.