Ein fragwürdiges Interview des Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle über die ostdeutsche Wirtschaftslage
Prof. Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), gab am 4.5. der Frankfurter Rundschau ein Interview zu einigen Fragen der ostdeutschen Krisenlage. Seine Ausführungen können in einigen wichtigen Punkten nicht unwidersprochen bleiben.
Bemerkenswert ist diese Frage des Interviewers: “Seit der Wende flossen 2 Billionen Euro Transfers in den Osten. Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit noch immer doppelt so hoch wie im Westen, ein selbsttragender Aufschwung nicht in Sicht. Eine enttäuschende Bilanz?”
Ausweichend die Antwort des Ostexperten Prof. Blum: “Man sollte nicht alles schlechtreden.”
Von einer Analyse der ostdeutschen Aufholproblematik durch Blum kann schlechterdings nicht die Rede sein. Offenbar kam es Prof. Blum eher drauf an, vom Kern dieser Problematik im Wahljahr 2009 abzulenken.
Folgen wir nun einigen makroökonomischen Kernaussagen Blums.
- “Die neuen Länder sind von der Wirtschaftskrise deutlich weniger betroffen als der Westen.”
“Die Krise kommt im Osten mit Verzögerung.”Beide Aussagen erfolgten nicht quantifiziert belegt, und sie entsprechen einer Momentbeurteilung. Der ostregionale Krisenprozess ist jedoch voll im Gange und nicht konkret absehbar. Bis zum Jahresende 2009 kann sich die Relation zwischen Ost und West verschieben: eine Verzögerung bedeutet dann nicht unbedingt auch geringere Betroffenheit. Der Zweckoptimismus Blums zugunsten Ostdeutschlands schimmert damit durch.
- “In den letzten drei Jahren jedoch hat der Osten deutlich aufgeholt.”
Betrachten wir die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes für die Neuen Bundesländer (ohne Berlin):
Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt)
Veränderungsrate gegenüber d. Vorjahr in Prozent
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Wie diese Daten zeigen, konnten die NBL nur im Jahre 2006 ein um vier Zehntel Prozent höheres Wachstum gegenüber den ABL erreichen, während in den übrigen drei angeführten letzten Jahren kein Vorsprung bestand, in zwei Jahren sogar ein Rückstand.
Wie kann man aus diesen Daten folgern, dass in den letzten drei Jahren “der Osten deutlich aufgeholt” hat?
Es deutet also bei dieser Blumschen Aussage alles auf eine grobe Manipulation hin, für die es eigentlich keine Entschuldigung für einen Experten dieser „Ansehensklasse“ gibt.
- ” Momentan liegt das Wirtschaftswachstum nach unseren Studien noch ein bis zwei Prozentpunkte (!) über dem Westen.”
Hier könnte (nach Tabelle 1) natürlich kein preisbereinigtes BIP-Wachstum gemeint sein. Betrachtet man die Relation der Wertschöpfung Ost-West an der deutschen Gesamtwertschöpfung (in laufenden Preisen), dann kann man auch keinen signifikant wachsenden Anteil der NBL in den letzten drei Jahren feststellen: zwischen 2005 und 2008 halten die ALB ihren Anteil mit 84,9 % am gesamtdeutschen Ergebnis unverändert. (VGR der Länder, R1B1, Tabelle 2.1, Stand 11.5.2009) Dies schließt jedes „ein bis zwei Prozentpunkte“ über dem Westen liegende, effektive Wachstum für die NBL aus.
Auch in diesem Punkte kann man nicht umhin, eine direkte Manipulation durch Prof. Blum für beabsichtigt zu halten.
- “In diesem Jahr schrumpft die Wirtschaft im Osten nach unseren Prognosen um 5 Prozent, in ganz Deutschland um sechs Prozent. Der Einbruch im Westen ist also höher.”
Die NBL leiden also nur um ein Prozent geringerer Schrumpfung ihres Wachstums als ganz Deutschland unter der für 2009 vermuteten Krisenwirkung. Die Differenz der NLB zu den ALB ist nun keineswegs so hoch, dass hieraus ein deutlicher Vorteil für die NBL abgeleitet werden müsste. Nachdem sich das angeblich - nach Blum - für die letzten drei Jahre höhere Wachstum der NBL als bloße Fiktion bereits erwiesen hat, ist der angebliche Vorteil der NBL im Krisenjahr 2009 eine wenig überzeugende Schlussfolgerung Blums.
- “Und daher kann es sein, dass auch Ab- und Rückwanderung von West nach Ost einsetzt.”
Hierzu kann man sagen, dass der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Einen solchen “Sog des ostdeutschen Arbeitsmarktes” zu unterstellen, grenzt bei der effektiv doppelten Höhe der ostdeutschen Unterbeschäftigung im Vergleich zum Westen eher an Blasphemie.
- ” Im Osten ist die Arbeitslosigkeit auch deshalb höher, weil die Erwerbstätigenquote höher ist.”
Zu diesem Argument hier ein Zitat aus dem eigenen Hause des Prof. Blum: “Die Erwerbstätigenquote, die den Anteil der Erwerbstätigen an den Erwerbsfähigen - dies sind die Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren - angibt, ist seit dem Jahre 2005 deutlich gestiegen. Zwar war der Anstieg kräftiger als in den Alten Bundesländern. Der Abstand zum westdeutschen Vergleichswert beträgt allerdings noch vier Prozentpunkte.” (IWH, Wirtschaft im Wandel, 11/2008, Seite 417) Dies wird der Leser zweifellos so deuten, dass die ostdeutsche Erwerbstätigenquote um vier Prozentpunkte niedriger als die westdeutsche - also nicht höher ist.
- “Der Osten muss lernen, mit weniger Transfers auszukommen.”
“Wichtiger als eine Debatte um mehr oder weniger Transfers sind Strukturreformen, zum Beispiel die Entschuldung der Länderhaushalte.”Die jetzt einsetzende Kürzung der staatlichen Transfers nach dem Solidarpakt II kumuliert sich bekanntlich mit den Wirkungen von Steuersenkungen auf die Länderhaushalte sowie mit den bevölkerungsabhängigen Minderungen im föderalen Finanzausgleich. Hinzu kommen die weiteren konjunkturellen Mindereinnahmen nach der Steuerschätzung im Monat Mai. Die Neuen Bundesländer stehen demnächst schon vor einer schweren Belastung in der Haushaltsplanung. An eine weitere eigenständige Entschuldung ihrer Länderhaushalte (nach den letzten Mittelfristigen Finanzplanungen) glaubt im Osten kaum jemand.
Die Situation ist von politischer Sprengkraft, was die einsetzende Diskussion z. B. auch in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt verdeutlicht.
Wie die Debatte um Strukturreformen zwecks Entschuldung der Länderhaushalte in den NBL geführt werden könnte, während die regulären Ländereinnahmen absehbar massiv schrumpfen, gleicht als Aufgabe zweifellos der “Quadratur des Kreises”. Für Prof. Blum scheint dies jetzt aber die “wichtigere Debatte” zu sein. Man könnte über Wissenschaftler im “Wolkenkuckucksheim” lächeln, wenn die Probleme nicht das Leben der einfachen Bürger massiv treffen würde.
- “Trotzdem hängen noch 500 000 bis 600 000 ostdeutsche Arbeitsplätze direkt oder indirekt von den Transfers ab. Dafür brauchen wir bis 2019 Ersatz.”
Hier stößt Prof. Blum tatsächlich auf eine Kernfrage der ostdeutschen Langzeitperspektive. Leider überspielt er hier die fehlende Antwort, woher die “Ersatz”-Lösung für die ostdeutschen Arbeitsplätze eigentlich kommen soll. Offenbar scheut er sich, die beachtliche Größenordnung der hierfür erforderlichen volkswirtschaftlichen Endnachfrage zu quantifizieren, die der Wegfall der West-Ost-Transfers bis 2019 kompensatorisch erfordern würde.
Dies näher zu bestimmen ist natürlich kein politisch attraktives Thema im Wahlkampfjahr 2009 und bleibt daher auch für die Politikberatung der ferneren Zukunft überlassen.
Das aktuelle “Memorandum 2009″ der Memorandum-Gruppe (Bremen) stellt soeben wiederum klar:
“Die Politik steht vor der Alternative, die Bedingungen zu verbessern, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Ostdeutschlands schrittweise an das Niveau der westdeutschen Bundesländer heranzuführen und die verfassungsrechtliche Forderung nach gleichwertigen Lebensbedingungen durchzusetzen, oder die Perspektive Ostdeutschlands als eine unterentwickelte und von Finanztransfers abhängige Region Deutschlands dauerhaft zu verfestigen. Darüber wird nicht zuletzt im Wahlkampf 2009 durch die Bürgerinnen und Bürger entschieden”. (”Memorandum 2009″, S. 230)