Das Kapital am Kabinettstisch
Die ersten Reaktionen auf den schwarz-gelben Wahlsieg überraschen nicht. Am Tag nach der Wahl signalisierte die Börse durch einen Kurssprung die Hoffnung auf eine durch die FDP garantierte wirtschaftsfreundlichere Politik. Vor allem die aktiennotierten Unternehmen, die sich bisher durch eine regulierende Politik gegängelt fühlten, gehören zu den Gewinnern. Im Kursanstieg der Energiemonopolisten E.on und RWE wurde schon die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken eingepreist. Wenn es dazu kommt, wären hohe Extraprofite auf längst abgeschriebene AKW zu erwarten. Solarunternehmen wurden bereits abgestraft, denn die FDP drohte eine Senkung der staatlich fixierten Energieeinspeisung an.
Die Privatisierung des Gesundheitssystems ließ am Tag nach der Wahl die Unternehmen, die mit der Gesundheit Geld verdienen, an der Börse glänzen. Abgesehen von Einzelprofiteuren verhalten sich die Funktionäre der Wirtschaftsverbände zurückhaltend, aber entschieden. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hatte bereits in die Bundestagswahl sein Sofortprogramm zur Bewertung der Erfolge der ersten hundert Tage vorgelegt.
Dagegen sind die Erwartungen der von Arbeit und Sozialleistungen Abhängigen gering: Die Gefahr eines sozialen Kahlschlags prägte die Bundestagswahl. Gemessen an den Belastungen künftiger Politik durch hohe Arbeitslosigkeit, instabiles Wirtschaftswachstum auf niedrigem Niveau, hohe Staatsschulden und den Klimawandel wird es wohl nicht zu massivem Sozialabbau kommen. Zu rechnen ist mit vielen faulen Kompromissen. In der Gesamtwirkung addieren sich diese jedoch zu einem deutlichen Machtgewinn der Unternehmen gegenüber der Politik. Spiegelbildlich dazu wird die Abhängigkeit der Arbeitnehmer zunehmen. Das Kapital wird am schwarz-gelben Kabinettstisch Einfluss gewinnen. Dagegen drohen die Gewerkschaften an den Katzentisch verbannt zu werden.
Wie die von den Wirtschaftsverbänden sowie Hausökonomen gehandelten Listen zu einer noch wirtschaftsfreundlicheren Korrektur der Politik zeigen, ist mehr denn je eine inhaltlich begründete Opposition inner- und außerhalb des Parlaments gefordert. Diese Rolle muss die SPD allerdings noch lernen. Sie sollte einen entschiedenen Schlussstrich unter ihre bisherige Politik der Deregulierung der Arbeitsmärkte vor allem durch Hartz IV und der einzig und allein den Neurentnern aufgebürdeten Lasten durch den Rente mit 67 ziehen. Die Resozialdemokratisierung der SPD bietet die einzige Chance zu neuer Stärke.
Der Streit um die richtige Politik wird sich klarer denn je auf die Frage konzentrieren, welche Folgen ein auf unternehmenswirtschaftliche Grundsätze reduzierter Staat für Arbeit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit produziert. Leitlinie bei der Bewertung der in den nächsten Monaten anstehenden Maßnahmen sollten die jüngsten Erkenntnisse aus der Krise sein. Dabei geht es nicht nur um eine Beschränkung der Macht der Banken. Zur Ordnungspolitik gehören auch die Sicherung eines fiskalisch handlungsfähigen Staats, der Einsatz eines staatlichen Zukunftsinvestitionsprogramms zur Stärkung der Binnenwirtschaft und der Umwelt, ein flächendeckender Mindestlohn, die Rückkehr zu einem funktionsfähigen Tarifvertragsystem, der Verzicht auf Lockerungen des Kündigungsschutzes, die Einschränkung der Leiharbeit, der Ausbau der Mitbestimmung, eine vom sozialen Status unabhängige Gesundheitsversorgung, armutsvermeidende Alterssicherung sowie Zugang zu Bildung ohne Studiengebühren.Ähnliche Artikel
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