Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist von vorn bis hinten Etikettenschwindel

Rede zur 1. Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz)

15.11.2009 / Drucksache 17/15

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Die Rede können Sie untenstehend als Video sehen.
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Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fricke, Sie beklagen als Erstes das Erbe von Schwarz-Rot: die hohen Schulden. Was aber ist Ihre erste Gesetzesinitiative? Sie treiben die Schulden weiter nach oben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Ganze nennen Sie dann Wachstumsbeschleunigungsgesetz und Konjunkturpaket III. So verkaufen Sie Ihre eiligst zusammengeschusterte erste Initiative. Das ist von vorn bis hinten Etikettenschwindel.

(Beifall bei der LINKEN)

Konjunkturpolitisch ist dieses Gesetz nahezu wirkungslos. Führende Wirtschaftsinstitute, zum Beispiel das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, sehen keinerlei Anlass, ihre Konjunkturprognosen für 2010 deswegen zu korrigieren. Ich zitiere ferner Joachim Scheide, den Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Er sagt:

"Die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen sind vor allem Sozialtransfers und Subventionen. Das ist nicht das, was wir Ökonomen als Wachstumspolitik bezeichnen."

Der Gipfel der Dreistigkeit ist, dass die Sozialtransfers und Subventionen zum allergrößten Teil an Reiche, Vermögende und große Unternehmen gehen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und der kleinen und mittleren Unternehmen werden tatsächlich mit Almosen abgespeist oder gehen gänzlich leer aus. Statt Wachstum beschleunigen Sie damit nur die Spaltung zwischen Arm und Reich.

(Beifall bei der LINKEN)

Skandalös ist, wie eilig Sie es mit dieser Umverteilung von unten nach oben haben. Reiche, Vermögende und große Unternehmen schlagen sich angesichts dieses Eifers der schwarz-gelben Koalition auf die Schenkel. Zudem bekannte sich die Bundeskanzlerin am Dienstag dieser Woche auch noch ausdrücklich zur Einführung eines Stufentarifs bei der Einkommensteuer.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ja! Darüber hat sich die FDP sehr gefreut!)

Wie auch immer er gestaltet ist, die Besserverdienenden dürften schon heute Eurozeichen in den Augen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Was ist mit der Gegenfinanzierung? Herr Solms, mit Verlaub: Gestern verwiesen Sie hier allen Ernstes auf die sogenannte Laffer-Kurve. Ich glaube, Sie sind mittlerweile der Letzte, der noch glaubt, dass sich Steuersenkungen im Zeitablauf selber finanzieren. Das ist so überholt, dass sogar im Gabler Wirtschaftslexikon, dem deutschsprachigen Standard-Wirtschaftslexikon, steht ich zitiere : „Die Realität hat dies widerlegt.“

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Den Skandal, dass dem Staat nicht alle Kinder gleich viel wert sind, gehen Sie überhaupt nicht an, sondern verschärfen ihn sogar noch. Das Kindergeld erhöhen Sie um nur 20 Euro pro Monat. Wer aufgrund seines hohen Einkommens den Kinderfreibetrag ausnutzen kann, wird von Ihnen weitaus großzügiger bedacht. Knapp 37 Euro pro Monat sind für die Bezieher entsprechend hoher Einkommen drin, fast doppelt so viel wie für einen Kindergeldempfänger.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Auch Sie müssten es doch irgendwann einmal begriffen haben!)

Die große Mehrheit der Kinder erhält allerdings nur Kindergeld; laut der Einkommensteuerstatistik 2001 waren es 86 Prozent. Wer gar Hartz IV oder Sozialhilfe bezieht, geht völlig leer aus.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Skandal!)

Das ist ein riesengroßer Skandal.

Herr Schäuble, ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie erhöhen das Kindergeld für die Kinder von Millionären um 37 Euro pro Monat, Sie erhöhen das Kindergeld zum Beispiel für die Kinder einer Lehrerin um 20 Euro pro Monat, aber eine arbeitslose alleinerziehende Mutter bekommt null Komma nichts. Das haben Sie eben „sozial ausgewogene Politik“ genannt. Wo leben Sie denn? Was haben Sie denn für christliche Vorstellungen?

(Beifall bei der LINKEN)

Die großen Unternehmen dagegen werden durch Ihren Gesetzentwurf mit Steuergeschenken in Höhe von 2,4 Milliarden Euro bedacht. Damit knüpfen Sie nahtlos an die Politik von Rot-Grün und der Großen Koalition an. Große Unternehmen werden seit zehn Jahren immer mehr aus der Steuerpflicht entlassen. Allein die Senkung der Körperschaftsteuer im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 entlastete die großen Unternehmen um über 10 Milliarden Euro. Nun werden selbst die wenigen Maßnahmen, die zur Gegenfinanzierung dieser Unternehmensteuerreform verabschiedet wurden, von Ihnen aufgeweicht oder abgeschafft. So werden die Verlust- und Zinsabzugsbeschränkungen entschärft, was zu Steuervermeidung und Steuerhinterziehung geradezu einlädt. Zur Erinnerung: Die Zinsschranke sollte verhindern, dass Konzerne zwecks Steuerersparnis die Verluste im Inland geltend machen und die Gewinne ins Ausland transferieren.

Die Höhe der alten Zinsschranke beträgt 1 Million Euro. Laut Schätzung des DIW waren von den 3,5 Millionen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland nur etwa 1 000 - das sind nicht einmal 0,03 Prozent - von der Zinsschranke betroffen. Jetzt soll die Zinsschranke bei 3 Millionen Euro dauerhaft bleiben. Dann sind noch viel weniger Unternehmen von der Zinsschranke betroffen. Und das nennen Sie Entlastung für kleine und mittelständische Unternehmen? Das ist absurd; diese Unternehmen haben doch überhaupt nichts davon.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem sollen die großen Unternehmen jetzt auch noch die Möglichkeit bekommen, Zinsaufwendungen über fünf Jahre so zu verrechnen, dass sie noch weniger Steuern zahlen.

Die Erbschaftsteuer höhlen Sie weiter aus. Dabei wäre gerade die Erbschaftsteuer ein zentrales Instrument für steuerliche Mehreinnahmen und für mehr Gerechtigkeit. Auf diesem Wege könnte man erreichen, dass auch die Vermögenden ihren Beitrag zur Bezahlung der Zeche für die Krise leisten. Doch das wollen Sie nicht, da trauen Sie sich nicht ran. Wenn wir eine hohe Verschuldung haben, brauchen wir doch Instrumente, um das Steueraufkommen zielgerichtet wieder zu steigern. Vermögensteuer als Millionärsteuer, Börsenumsatzsteuer, Erbschaftsteuerreform von all dem lassen Sie die Finger, weil Sie sich da in Ihrer Klientelpolitik nicht herantrauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles in allem muss man sagen: Schwarz-Gelb bleibt seinem Ruf treu. Die Reichen sollen ungestört reicher werden, der Rest zählt nicht; soll er doch sehen, wo er bleibt. Ich sage Ihnen: Mit uns nicht.

Herr Schäuble, Sie treiben die Staatsverschuldung in schwindelerregende Höhen auf Kosten der Länder, der Kommunen und der Mehrheit der Bevölkerung. Wir werden Ihnen weiter aufzeigen, wo und wie Sie Geld einnehmen können, um mehr soziale Gerechtigkeit zu erzielen. Wir lassen Sie da nicht in Ruhe; das verspreche ich Ihnen von dieser Stelle aus. Was es mit Ihrer Auffassung von sozial ausgewogen auf sich hat, werden wir hier weiter entlarven.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)